Französische Premierministerin - Madame Borne-Out

Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne soll für Präsident Macron die längst überfällige Rentenreform durchsetzen – doch das Projekt fliegt ihr gewaltig um die Ohren.

Élisabeth Borne ist als französische Premierministerin die Regierungschefin. Die Ansagen kommen jedoch von Präsident Emmanuel Macron / Denis Allard, laif
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Es war noch nie leicht, Premierminister in Paris zu sein: Das zeigt schon der Titel eines politischen Standardwerks, „Die Hölle von Matignon“. Matignon ist der Sitz des Regierungschefs, auch wenn dieser Titel etwas hochgegriffen klingt: Das Regieren, oder zumindest das Dirigieren obliegt in Frankreich dem Staatschef im Élysée-Palast. Der oder die Premier exekutiert nur den Willen des Präsidenten.

Élisabeth Borne, seit vergangenem Mai Emmanuel Macrons „première ministre“, hat es in der Machokultur der Pariser Politik doppelt schwer. Sie ist erst die zweite Frau im Hôtel Matignon nach Édith Cresson, die sich 1991 gerade mal elf Monate im Amt gehalten hatte – während deren sie als „Madame Pompadour“ (oder genauer: „Mitterrands Mätresse“) gedemütigt wurde.

Widerstand gegen die Rentenreform

Heute würden solche Sprüche auch in Paris nicht mehr durchgehen. Borne ist zudem mit ihrem trockenen, wenig flamboyanten Naturell eine schlechte Zielscheibe für hämische Männersprüche. Als Technokratin hat die geschiedene Mutter eines Sohnes eine Bilderbuchkarriere vorzuweisen: Sie war Präfektin, Strategiedirektorin der französischen Eisenbahn SNCF, Vorsteherin der Pariser Metro und Transportministerin. Im Fernsehen oder im Parlament hat es die Apothekerstochter, deren jüdisch-russischer Vater noch Bornstein hieß, aber heute schwer gegen eloquente Großmäuler wie Linkenchef Jean-Luc Mélenchon oder Gewerkschaftsboss Philippe Martinez.

Macron war dies wohl nur recht: Er wollte eine Frau im Matignon, aber keine allzu starke oder unabhängige – keine, die ihm ins Licht treten könnte. Das rächt sich in der aktuellen Rentendebatte, Macrons wichtigster Reform. Da sich der unpopuläre Staatschef bewusst aus dem Schussfeld hält, um das hart umkämpfte Vorhaben nicht zusätzlich zu gefährden, muss Borne an die Front. Und sie behauptet sich nur schwer gegen die Opposition von links- und von rechtsaußen. Die 61-jährige Regierungschefin wiederholt in der Nationalversammlung geflissentlich ihre Argumente: Selbst mit der geplanten Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre bliebe Frankreich noch weit hinter dem europäischen Durchschnittsrentenalter zurück; 64 Jahre sei das Minimum, denn auch so falle das Pensionsdefizit insbesondere im öffentlichen Sektor noch gewaltig aus.

 

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Damit aber stößt Borne in Frankreich auf taube Ohren. Vergeblich verweist sie darauf, dass sie mit der Reform auch die Netto-Mindestrente von 960 auf 1200 Euro erhöht. Nichts hilft: Bei mehreren Protesttagen seit Jahresbeginn gehen jeweils mehr als eine Million Reformgegner auf die Straße. Transparente mit der Aufschrift „Borne-out“ spielen auf den Burn-out älterer Arbeitnehmer an – und weisen der Premierministerin symbolisch den Ausgang. Der Slogan „Borne to be dead“ resümiert das Argument der Gegner, ihr Lebensweg führte vom Job direkt ins Grab, wenn das Rentenalter angehoben würde.

In der Hölle von Matignon

Borne erträgt den Zorn der Straße stoisch. Tapfer, aber immer einsamer verteidigt die heimliche E-Zigaretten-Raucherin die Macron-Reform auch in der Nationalversammlung. Dort muss sich die erklärte Feministin sogar sagen lassen, das Gesetzeswerk benachteilige die Frauen. Dabei würden die Französinnen dank ihrer höheren Lebenserwartung (85 Jahre) sechs Jahre länger Pensionen beziehen als Franzosen (79 Jahre).

Die Regierungschefin erweckt manchmal fast den Eindruck, sie stehe selber nur widerwillig zur Reform. Borne ist zwar eine loyale Macronistin, aber sie verhehlt nicht, dass sie sich politisch links verortet und dem Parti Socialiste – dem französischen Pendant der SPD – nahesteht. So hatte sie auch schon für prominente Sozialisten wie Jack Lang oder Ségolène Royal gearbeitet.
Der Parti Socialiste lehnt das Rentenprojekt kategorisch ab und wirft Borne vor, sie handle gegen ihre eigenen Überzeugungen. Die Angesprochene entgegnet, Frankreich komme nicht um die Reform herum, wenn es nicht vom wohlhabenden G-7-Staat in die Armut absinken wolle. Das französische Gesundheitswesen pfeift in der Tat aus allen Löchern, und wie sich die Altersversicherung ohne Erhöhung des Rentenalters halten soll, vermöchte kein Ökonom zu sagen.

Trotzdem bleibt Borne in der Defensive, während die Gewerkschaften bei jeder Protestdemonstration auftrumpfen und bereits von „Sieg“ sprechen. Und wenn die Premierministerin neue Konzessionen macht, um wenigstens das Rentenalter 64 zu retten, wird ihr das von allen Seiten als weitere Schwäche ausgelegt. Wie auch immer der Titanenkampf um die französischen „retraites“ (Ruhestandsgelder) ausgehen wird, eines steht schon fest: Auch der aktuellen Regierungschefin in Paris bleibt die Hölle von Matignon nicht erspart.

 

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie demnächst am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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