Europa und der Ukrainekrieg, Teil 5 - Österreich: Lieber Mozartkugeln als Nato-Pflicht

Wie wird in verschiedenen europäischen Ländern über den Ukrainekrieg, Waffenlieferungen und mögliche Friedensverhandlungen debattiert? In Österreich wurde eine Debatte über eine mögliche Abkehr von der bisherigen Neutralität vom Regierungschef beendet, bevor sie begonnen hatte.

Das Burgtor am Wiener Heldenplatz wird in den ukrainischen Farben angeleuchtet, aber in die Nato will man lieber nicht / dpa, Montage: Dominik Herrmann
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Rainer Nowak ist Journalist und war zuletzt Chefredakteur der österreichischen Tageszeitung Die Presse. Foto: Launchy (Nowak)

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Österreichs Bundeskanzler ist kein übertrieben mächtiger Mann. Sein internationaler Einfluss ist naturgemäß ebenso überschaubar wie seine Durchsetzungskraft im Inland, das de facto von den ministerpräsidentenähnlichen Landeshauptleuten regiert wird. Doch wenn es um Sicherheitspolitik beziehungsweise eine Diskussion um eben jene geht, kann der aktuelle Regierungschef Karl Nehammer in Allmachtsphantasien schwelgen. 

Als vor wenigen Monaten ein paar Dutzend Gelehrte, Außenpolitik-Spezialisten und Sicherheitsexperten angesichts des Überfalls Russlands auf die Ukraine in einem offenen Brief eine offene Debatte um Österreichs sonderbaren Status als „neutraler“ Staat und gleichzeitiges EU-Mitglied forderten, erklärte Nehammer die Debatte offiziell und wortwörtlich für „beendet“ – bevor sie überhaupt begonnen hatte. Kaiser Karl hatte gesprochen. 

Bis auf ein paar Zeitungskommentatoren und Vertreter der kleinen liberalen Oppositionspartei „Neos“ störte das keinen. Alle anderen Parteien, alle reichweitenstarken Medien, der Bundespräsident, die gesamte Regierung, die großen Interessenvertretungen: Keiner wollte Österreichs Variante des alten Märchens „Des Kaisers neue Kleider“ stören oder gar aufdecken. Das Land ist zwar nackt und könnte sich nicht allein verteidigen, aber alle beklatschen die „Neutralität“.

Sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer

Die da lautet: Österreich ist nicht neutral, Österreich ist feig und auf den eigenen Vorteil bedacht. Zwar wurden eilig ein paar Milliarden für das chronisch marode, da völlig unterfinanzierte Bundesheer versprochen. Aber nach Jahrzehnten des Sparens und der Infragestellung ist das österreichische Militär ein Schatten seiner selbst. Die Offiziere werden zwar noch in architektonisch eindrucksvollen Akademien aus der Zeit Maria Theresias ausgebildet, die Realität bringt dann aber für sie Schmalspur-Truppenführung und Ausrüstungsprobleme. 

 

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Das wohl zynischste Argument für die Neutralität und gegen einen Nato-Beitritt, den laut allen Umfragen ohnehin eine überwältigende Mehrheit ablehnt, lautet: Österreich sei von Nato-Mitgliedern und der Schweiz mit ihrer militärischen Kraft umgeben, daher müsse das Land auch nicht Risiken, Pflichten oder finanzielle Ausgaben als Mitglied des Militärbündnisses auf sich nehmen. Es drohe keine Gefahr, die Nachbarstaaten schützen uns mit, ob sie wollen oder nicht. Ein Land lebt als sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer, und keinen stört es. 

Heilige Kuh hat nicht so viel Bequemlichkeit

Zuletzt gab es wieder einen offenen Brief der alten und neuen Störenfriede – der Autor gehört zu den Unterzeichnern. Die liberalen Neos trommelten zu einer Sondersitzung des Nationalrats zusammen. Ergebnis: Egal ob Schweden und Finnland der neuen geopolitischen Situation und ihrer Verantwortung folgend der Nato beitreten wollen, Österreich bleibt bei seiner Variante. Selbst eine heilige Kuh hat nicht so viel Bequemlichkeit.

Immerhin wurde von Medien und manchen Politikern eine andere hässliche Seite der Neutralität thematisiert: Wie kein anderes Land hatte Österreichs Politik durch hochrangige Vertreter von SPÖ, ÖVP und FPÖ Wladimir Putin und die Seinen hofiert. Ähnlich wie Deutschland arrangierten sich auch Wirtschaft und Industrie mit dem Lieferanten billigen Erdgases. Als Putin die Krim annektieren ließ, wurde die energiepolitische Strategie auch nicht geändert. Wirklich selbstkritisch wurde es aber auch nicht, eine Entschuldigung eines der vergangenen Regierungschefs oder Ministers war bisher nicht zu hören.

Zumindest nahm Österreich im Vergleich überdurchschnittlich viele Flüchtlinge aus der Ukraine auf, und entgegen jedweder Logik eines neutralen Landes werden Durchfahrtserlaubnisse und Überflugsmöglichkeiten für Nato-Militär zwecks Waffenlieferungen problemlos erteilt, wie man im Verteidigungsressort hört. Das ist das Schöne an der österreichische Neutralität: Nicht einmal ihre Verteidiger nehmen sie ernst. Ein österreichischer Kanzler nannte die Neutralität einst eine alte Schablone wie Lipizzaner und Mozartkugeln. Das Problem dabei: Die lieben die Österreicher auch noch immer.
 

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