Cicero-Serie: Das Weltklima - Frankreich: Alles auf Kernkraft

In der Bundesrepublik steht Klimapolitik ganz oben auf der Agenda. Aber wie sieht es eigentlich in anderen Ländern aus? In einer neunteiligen Serie blicken wir jeden Tag über den deutschen Tellerrand hinaus. Heute geht es weiter mit Frankreich. Windparks und Atomkraftwerke sind dort kein Widerspruch.

Macron will die AKW-Laufzeiten auf über 60 Jahre verlängern / dpa, Montage: Dominik Herrmann
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Deutschland und Frankreich mögen in vielem an einem Strang ziehen – aber sicherlich nicht in der Atomfrage. Präsident Emmanuel Macron will bis 2037 den Bau von sechs Meilern der neuen Generation EPR lancieren; dazu reserviert er sich eine Option auf acht weitere Reaktoren. Atomausstieg – non merci!

Die Entschlossenheit des französischen Präsidenten bricht rhetorisch mit der Energiepolitik seines Vorgängers François Hollande: Der sozialistische Ex-Präsident hatte unter dem Druck seiner grünen Koalitionspartner verlautbart, Frankreich solle den Atomanteil an der nationalen Stromproduktion von 70 auf 50 Prozent senken. Auch Macron sagt, die Stromproduktion solle in Frankreich langfristig je zur Hälfte aus Erneuerbaren und aus der Atomkraft stammen. Die Verts (Grünen) glauben ihm aber nicht: Sie sind sicher, dass der Staatschef den nuklearen Anteil an der Stromproduktion in Wirklichkeit bei 70 Prozent belassen wolle. Dass er die AKW-Laufzeiten sogar auf über 60 Jahre verlängern will, ist für Umweltschützer ein Zeichen, wie abhängig er von der Nuklearindustrie sei.

Überall im Land gibt es vehemente Proteste gegen den Bau von Windrädern

Der Bau von Windparks und Solaranlagen wurde in Frankreich bisher jedenfalls vernachlässigt. Das ist allerdings nicht Macrons Alleinschuld: Überall im Land gibt es vehemente Proteste gegen den Bau von Windrädern, die als landschaftsverschandelnd und zu laut gelten. Wegen der Einsprachen von Fischern hat Frankreich am Atlantik eben erst seinen ersten Offshore-Windpark eröffnet.

 

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Das vergangene Jahr hat die Franzosen aber aufgerüttelt. Da war zuerst die extreme Trockenheit des Sommers. Seither untersagen die Behörden ortsweise das Rasensprengen und Autowaschen; einzelne Départements verbieten gar den Bau privater Schwimmbäder. Dazu kam im Winter eine schwere Pannenserie im alternden AKW-Park Frankreichs. Von 56 Reaktoren standen zeitweise 32 still; Frankreich musste mehr Strom denn je aus Deutschland importieren, was stark auf den nuklearen Nationalstolz drückte. Der Bau des ersten neuartigen EPR-Reaktors in Flamanville (Normandie) verzögert und verteuert sich zudem massiv.

Trotzdem stehen in Frankreich – abgesehen von den Grünen – alle politischen Parteien weiterhin zur Kernkraft, weil sie nun einmal den Vorteil hat, dass sie kein CO2 freisetzt. Zugleich scheinen die Franzosen seit dem Hitzesommer 2022 und den steigenden Strompreisen willens, die erneuerbaren Energien wirklich voranzutreiben. Wie in Spanien oder Norditalien gibt es in Südfrankreich plötzlich ganze Regionen, wo es monatelang nicht mehr regnet. Versengte Wiesen sind nicht nur für die Natur eine Katastrophe, sondern auch für den Tourismus. Direkt betroffen sind die französischen Rentner, die an der Côte d’Azur oder im Hinterland ihren Lebensabend begehen. Sie wollen heute, wie sie in TV-Reportagen unisono zum Ausdruck bringen, ohne Verzug gegen die Klimaerwärmung handeln. Und das bedeutet für sie heute: mit Windparks und mit Kernkraft. 

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