Annalena Baerbock und China - „Zeichen setzen“ mit Wirtschaftssanktionen? 

Außenministerin Annalena Baerbock hat jüngst chinesischen Unternehmen mit Wirtschaftssanktionen gedroht, wenn sie kriegswichtige Güter nach Russland liefern. Aber wären Sanktionen auch klug? Es kommt darauf an. 

Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrem chinesischen Amtskollegen Qin Gang / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute mit Sitz in Köln. Zuvor war er Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Davor bekleidete er verschiedene Funktionen bei Goldman Sachs, Salomon Brothers und – bevor er in die Privatwirtschaft wechselte – beim Internationalen Währungsfonds in Washington und Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Thomas Mayer promovierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und hält (seit 2003) die CFA Charter des CFA Institute. Seit 2015 ist er Honorarprofessor an der Universität Witten-Herdecke. Seine jüngsten Buchveröffentlichungen sind „Die Vermessung des Unbekannten“ (2021) und „Das Inflationsgespenst“ (2022).

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Nach dem Untergang der französischen Flotte am 21. Oktober 1805 bei Trafalgar versuchte Napoleon, seinen Konkurrenten Großbritannien durch Handelsbeschränkungen in die Knie zu zwingen. Er sperrte alle Häfen im französischen Machtbereich für britische Schiffe und untersagte den Handel zwischen dem Kontinent und den britischen Inseln. Zwei Jahre später schloss sich Russland der „Kontinentalsperre“ an. Großbritannien schlug zurück, indem es seinerseits alle Häfen von Frankreich und seinen Verbündeten boykottierte. Schiffe aus neutralen Länden oder Übersee mit Ziel auf kontinentale Häfen mussten den Briten einen Schutzzoll von 25 Prozent auf die geladenen Waren zahlen. Weitere fünf Jahre später griff Napoleon nicht Großbritannien, sondern Russland militärisch an. 

Der Ausgang sowohl des Handelskriegs gegen Großbritannien als auch des Feldzugs gegen Russland sind bekannt. Napoleon verlor in beiden. Zwar richtete sein Handelskrieg in Großbritannien und auf dem Kontinent beträchtlichen Schaden an, doch konnte er damit die Briten weder besiegen noch zu einer Frankreich genehmen Politik zwingen. Ein Grund dafür war, dass die Handelssanktionen durchbrochen oder durch Umleitung der Handelsströme umgangen wurden.

Eine von dem US-Ökonomen Gary Hufbauer und seinen Ko-Autoren in Jahr 2007 veröffentlichte Studie kam zu dem Schluss, dass das Scheitern des napoleonischen Handelskriegs kein Einzelfall war. In 204 seit dem Ersten Weltkrieg verfolgten Handelskriegen waren 66 Prozent ohne jeden Erfolg und 34 Prozent nur teilweise erfolgreich für die Angreifer. Vollen Erfolg hatte keiner. 

Wirtschaftssanktionen konnten Putin nicht stoppen

In einer Analyse der im März 2014 verhängten Sanktionen gegen Russland stellte mein Kollegen Norbert Tofall schon Anfang 2015 fest: „Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die massiven Wirtschaftssanktionen gegen Russland zwar wirtschaftlichen Schaden erzeugen, aber nicht das politische Ziel erreicht haben, Russland zurück zur praktizierten Schlussakte von Helsinki zu bewegen“, die unter anderem in Europa die Unverletzlichkeit von Grenzen garantieren und die Anwendung von Gewalt ausschließen sollte.

Acht Jahre und viele Wirtschaftssanktionen später gilt dieses Urteil noch immer. Die Wirtschaftssanktionen haben der russischen Wirtschaft weniger geschadet als erwartet – weil sie wie die napoleonische Kontinentalsperre teilweise umgangen werden können –, und sie haben Wladimir Putin keinen Millimeter von seinem kriegerischen Kurs gegen die Ukraine abgebracht. 

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, chinesische Unternehmen nun mit Sanktionen zu belegen, wenn sie Russland für den Krieg gegen die Ukraine nützliche Güter liefern würden. Aller Erfahrung nach dürften die Sanktionen keinen Wechsel der chinesischen Politik gegenüber Russland erzwingen können. Annalena Baerbocks Amtskollege Qin Gang reagierte auf ihre Drohung auch sofort mit einer Gegendrohung: Peking werde „strikt und streng“ auf jede „Einmischung“ reagieren. Aber wenn die Sanktionen auch keinen politischen Erfolg haben dürften, so würden sie doch sehr wahrscheinlich beträchtlichen Schaden anrichten.  

EU und China müssten mit gravierenden ökonomischen Schäden rechnen

Die Europäische Union ist für China ein wichtiger Handelspartner. Rund 16 Prozent aller Exporte gehen in die EU und rund elf Prozent aller Importe kommen von dort. China hat mit der EU einen Handelsbilanzüberschuss. Umgekehrt scheint die Abhängigkeit der EU von China geringer. Nur gut drei Prozent der EU-Exporte gehen nach China, und neun Prozent aller Importe kommen von dort. Auf den ersten Blick scheint der Schaden eines Handelskriegs für China größer als für die EU.

 

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Wie meine Kollegin Agnieszka Gehringer jedoch kürzlich analysiert hat, ist die EU in einigen wichtigen Gütergruppen von Importen aus China abhängig. Dies gilt zum Beispiel für Computer und eine Reihe von Chemikalien und mineralischen Rohstoffen. China könnte diese Abhängigkeit nutzen und den Export dieser Güter in die EU einstellen. Welche Spannungen entstehen, wenn Lieferungen wichtiger Güter ausbleiben, war während der Pandemie im Bereich medizinischer Produkte – wie den Gesichtsmasken – zu sehen. Man müsste also mit gravierenden ökonomischen Schäden auf beiden Seiten rechnen, falls Sanktionen den Handel zwischen China und der EU wesentlich einschränken würden. 

Wirtschaftskrieg wäre Teil eines umfassenden kriegerischen Konflikts

Wenn Wirtschaftssanktionen den Gegner kaum zu einem Politikwechsel bringen können, aber auf beiden Seiten erheblichen Schaden anrichten, sollte man sie folglich nicht als Ersatz, sondern als Teil militärischer Handlungen verstehen. Nach Carl von Clausewitz ist der Krieg bekanntlich „eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“. Es geht darum, dem Gegner so lange mehr Schaden zuzufügen, als man selbst erleidet, bis er seine anstoßerregende Politik ändern oder aufgeben muss. Ein Wirtschaftskrieg ist daher Teil eines umfassenderen kriegerischen Konflikts.

Wenn Außenministerin Baerbock es also mit ihren Sanktionsdrohungen ernst meint, müsste sie zu einer Eskalation in der Konfrontation mit China bereit sein, zum Beispiel mit Waffenlieferungen an Taiwan und der diplomatischen Anerkennung des Landes als nächste Stufen. Sonst erzeugt das „Zeichen setzen“ mit Wirtschaftssanktionen nur Schaden, ohne zu nutzen.  

Diese Feststellung gilt für eine Politik, die das Wohl des gesamten Landes verfolgt. Im Gegensatz dazu können starke Posen allerdings durchaus auf das Beliebtheitskonto einzelner Politiker einzahlen. 

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