Anne Will diskutiert über die China-Politik des Kanzlers  - Zwickmühlen und andere Zwänge

Der Kurz-Trip von Olaf Scholz nach Peking ist schon vielfach besprochen worden, doch Anne Will lud noch mal zur grundsätzlichen Nachbereitung in ihre Sendung ein. Wie mit den Abhängigkeiten umgehen?  Ein Teilnehmer strich vor allem die bleibende wirtschaftliche Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit China heraus, die anderen argumentierten stärker moralisch. Und am Schluss wurde es nochmal emotional.

Über wirtschaftliche Zwänge und falsche Abhängigkeiten diskutierte die Runde bei Anne Will. /ard
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Den emotionalen Höhepunkt erreichte die ansonsten recht friedliche Anne-Will-Sendung am Sonntagabend, als Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) eine „Desinformation“ der Öffentlichkeit beklagte. Dass 69 Prozent der Deutschen sich gegen die chinesische Beteiligung an einem Terminal im Hamburger Hafen aussprächen, sei eben darauf zurückzuführen, dass die Bürger falsch unterrichtet seien. Es sei schlicht die Unwahrheit, so der SPD-Politiker, dass „kritische Infrastruktur“ an die Chinesen ginge. „Die Chinesen kaufen den Hamburger Hafen“, das seien die Titelzeilen gewesen, und die seien eben falsch gewesen.

Desinformation, das war natürlich ein Empörungsschalter, der gleich die Debatte etwas erregter werden ließ. Melanie Amann vom Spiegel widersprach denn auch prompt und entschieden, eine „Frechheit“ sei es, hier den Medien generell falsche Nachrichten zu unterstellen. Sie hatte vorher schon dem Regierungschef der Hansestadt ein zu kleines Karo vorgehalten. Man müsse das „Big picture“ sehen, und dies zeige einen wachsenden chinesischen Einfluss und eine chinesische Strategie, die eben unter dem Begriff „Neue Seidenstraße“ eine globale Vormachtstellung anstrebe. Und zwar unabhängig davon, wie groß oder klein oder wie substantiell die Beteiligung konkret in Hamburg auch sei.

Scholz und die Zeitenwende

Anne Will hatte unter dem Titel eingeladen: „Raus aus der Abhängigkeit von Autokraten – wie ernst ist es Kanzler Scholz mit der Zeitenwende?“ Eine klare Antwort wollte sich darauf nicht einstellen, auch weil die Gäste doch dazu zu sehr in ihren jeweils eigenen Zwängen und Geschichten fest steckten, um hier nüchtern zu analysieren. Zu Gast waren neben Tschentscher und Amann noch der Grünen-Chef Omid Nouripour und der CDU-Politiker Norbert Röttgen sowie die Außenhandels-Experten Stormy-Annika Mildner vom Aspen-Institut. 

Erwartbar war, dass Tschentscher seinen Hafen-Deal verteidigte, und auch war er der einzige, der sich zur beherzten Verteidigung von Olaf Scholz bereit fand. Sicher sei es richtig, die Abhängigkeiten von China zu reduzieren, doch dazu dürfe man nicht gleich zu Beginn den Hamburger Hafen von den Weltmärkten abhängen. „Wir brauchen eine eigene europäische Infrastruktur-Strategie“, so Hamburgs Erster Bürgermeister, und zwar gegen die chinesischen Pläne. Aber, so argumentierte er, bevor keine eigenen neuen Handelspartnerschaften aufgebaut seien, dürfe man die Chinesen nicht zu sehr vergraulen. Das sei auch für Deutschlands Wohlstand zu riskant. Und Olaf Scholz kümmere sich um alles, etwa auch um die Ansiedlung neuer Chip-Fabriken in Deutschland. 

Wirtschaftliche Zwänge versus Moral

Tatsächlich könnte es gut sein, dass Tschentschers pragmatische Herangehensweise und stark ökonomische Sicht durchaus mehr Zustimmung in der Bevölkerung finden könnte, als es die Umfragen zeigen. Insofern war es verblüffend, wie einseitig die Runde sich dann darbot. Denn Amann, Röttgen, Nouripour und Mildner standen doch weitgehend auf der anderen Seite, Tschentscher gegenüber, wählten den bequemeren Weg und argumentierten, wie es so verbreitet ist, stärker moralisch.

 

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Röttgen gestand immerhin dem SPD-Bürgermeister und Scholz-Nachfolger in diesem Amt das Feststecken in einer „Zwickmühle“ zu, in der sich aber Deutschland als Ganzes befinde. Am Beispiel des Hamburger Hafens: Ohne chinesische Beteiligung droht die Abkopplung Deutschlands, aber mit der Beteiligung wird die Abkoppelung von China schwieriger. Amann meinte dann, „Abkopplung“, das wolle doch ohnehin niemand, das sei eine Art Pappkamerad, den Scholz aufstelle, um sich nicht stärker von China unabhängig zu machen. Zu sehr dominiere beim Bundeskanzler das Verständnis für die deutsche Industrie. Das Genosse-der-Bosse-Narrativ ist ja beim Spiegel nicht neu.

Doch wie wichtig in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage gerade dieser Fokus ist, das wurde von ihr und den anderen Gesprächsteilnehmern (außer Tschentscher) eher weniger gesehen. Die Außenhandels-Expertin Mildner beklagte schlicht, es gehe alles zu langsam mit dem Umbau der Wirtschaft. Nun ja.

Die Alleingänge des Kanzlers

Anne Will eröffnet dann noch die Runde zum stilistischen Kanzler-Bashing. Sei es bei Scholz nicht so, dass er alle diejenigen, die ihm nicht zustimmen, schlicht für dumm halte? Norbert Röttgen war darauf auch schon eingestiegen. Scholz vergraule mit seinen Alleingängen Macron, die Europäer und auch noch Washington. Und seine eigene Koalition zerrütte er mit dieser Selbstherrlichkeit ebenfalls. Außenministerin Baerbock mache Strategiepapiere etwa zur China-Politik, Scholz aber handele einfach drauf los. Selbst Nouripour wollte zur großen Scholz-Verteidigung nicht ausholen. Dass er nach China gefahren sei, sei richtig, aber besser wäre es, der Kanzler hätte Macron mitgenommen. So war seine Formel.

Einen emotionalen Moment ganz anderer Art gab es dann noch zum Schluss der Sendung. Die Moderatorin schob mit einiger Mühe das große China-Thema nochmal beiseite und kam auf den Iran zu sprechen. Nouripour ist in Teheran geboren, und schnell wurde klar, dass der Grünen-Chef nicht nur als Politiker sprach, sondern auch mit persönlicher Betroffenheit. So fand er klare Worte zur Diskussion, ob Deutschland die protestierenden Frauen in der Islamischen Republik genug unterstütze. Die Bundesregierung bemühe sich um Sanktionen, erklärte er, auch in Deutschland müssten Unterstützer des Regimes ausgebremst werden. Aber sein Resümee war untypisch für eine Talkshow, die dann so ungewöhnlich auch auslief: „Es macht mich wahnsinnig“, sagte er, zu sehen, wie wenig in Sachen Iran passiere und wie langsam alles dauere. „Es kann immer nur zu wenig sein, wenn man die Sache emotional betrachtet“, so Nouripour.

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