Andrzej Duda - Die Schlüsselfigur in Polens Verfassungskrise

Mit einer Androhung des polnischen Staatspräsidenten Andrzrej Duda hat der offene Machtkampf zwischen ihm und dem amtierenden Premierminister Donald Tusk seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Es geht um Geld, Macht und Einfluss – auch auf die Medien.

Andrzej Duda (l.), Präsident von Polen, ernennt Donald Tusk (r.) zum Ministerpräsidenten / dpa
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Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

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An der Weichsel hat der offene Machtkampf zwischen Staatspräsident Andrzej Duda, hervorgegangen aus der nationalpopulistischen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), und dem seit knapp drei Wochen amtierenden Premierminister Donald Tusk zum Jahresende eine neue Eskalationsstufe erreicht. Duda hatte vor Weihnachten sein Veto gegen den Haushaltsentwurf des neuen Kabinetts angekündigt, weil dieser auch drei Milliarden Zloty (knapp 700 Millionen Euro) für die öffentlich-rechtlichen Medien vorsah; deren bisherige PiS-treue Führung war zuvor von Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz abgesetzt worden, Duda sprach von einem „verfassungswidrigen Akt“. 

Doch mit der Androhung, den Haushaltsentwurf der Regierung zu blockieren, gab Duda der neuen Koalition ungewollt die Steilvorlage, vorübergehend die volle Kontrolle über die umkämpften Medien zu übernehmen: Da deren Finanzierung nicht gesichert sei, leitete Sienkiewicz am Tag nach Weihnachten für den Staatssender TVP, Polskie Radio (PR) und die Presseagentur PAP das Konkursverfahren ein.

Sienkiewicz verwies auf das Unternehmensgesetz: Eigentümer der öffentlich-rechtlichen Medien ist der Staat, den in diesem Fall der Kulturminister repräsentiere. Das Konkursverfahren könne jederzeit abgebrochen werden, es werde genutzt, die Redaktionen umzustrukturieren. Der Minister sicherte zu, dass, von den jeweiligen Führungsetagen abgesehen, keine Mitarbeiter entlassen würden. Das Finanzministerium verfüge über genügend Reserven, deren Gehälter bis zur endgültigen rechtlichen Klärung des Konflikts zu übernehmen.

Beide Seiten verschickten Mails

Wie Duda bezeichnete der PiS-Vorsitzende Jarosław Kacyzński das Vorgehen Sinkiewiczs als „Verfassungsbruch“. Kacyzński hatte mit mehreren PiS-Abgeordneten an Heiligabend den Sitz der Nachrichtenredaktion von TVP im Zentrum Warschaus besetzt gehalten, „um die Freiheit der Medien zu verteidigen“; ein Priester, den der nationalistische Sender Radio Maryja abgeordnet hatte, las dort die Christmette. 

Der von der PiS eingesetzte Rat für Nationale Medien setzte neue Chefredakteure von TVP, PR und PAP ein, die allerdings keinen Zugriff auf ihre Medien haben. Denn an deren Spitze sitzen neue Leute, die der von Sienkiewicz benannte neue Aufsichtsrat der staatlichen Medien berufen hat. Beide Seiten verschickten Mails an die Redakteure, in denen sie sich gegenseitig der Illegitimität bezichtigten.  

Die PiS-Gefolgsleute stellten auch ein eigenes Fernsehprogramm zusammen, doch nur der kleine Sender TV Republika strahlte es aus, die Sehbeteiligung lag bei maximal 2,5 Prozent. Der Sender gehört dem nationalistischen Medienunternehmer Tomasz Sakiewicz, dessen permanent vor den Deutschen warnende Gazeta Polska während der acht PiS-Jahre mit Millionen aus öffentlichen Kassen subventioniert worden ist.

„Ich schäme mich für ihn“

Hintergrund für diese zumindest theoretische Doppelherrschaft in den staatlichen Medien ist der grundlegende Konflikt um die Aufhebung der Gewaltenteilung, wie sie die PiS-Regierungen seit 2015 betrieben hat. Der Hauptverantwortliche für dieses rechtliche Chaos ist indes Duda, der 2015 überraschend die Präsidentenwahlen gewonnen hat, weil der bisherige Amtsinhaber Bronisław Komorowski, ein Parteifreund Tusks, sich ebenso ideenlos wie arrogant und volksfern präsentiert hatte. 

Der frühere Präsident des Obersten Gerichts, der auch international hochangesehene Juraprofessor Adam Strzembosz, legte in diesen Tagen dar, dass Duda mindestens ein Dutzend Gesetze der PiS-Regierungen, die verfassungswidrig waren, unterzeichnet hat. Über Duda, der in Verwaltungsrecht promoviert wurde, sagte sein Doktorvater Jan Zimmermann von der renommierten Krakauer Jagiellonen-Universität: „Ich schäme mich für ihn.“

Unter Protesten der Opposition

Das Sündenregister des Präsidenten ist lang: Er hat von der PiS rechtswidrig benannte Kandidaten für das Verfassungsgericht sowie die Änderung von dessen Geschäftsordnung akzeptiert, obwohl das Gericht selbst 2016 die entsprechenden Beschlüsse des Sejms als verfassungswidrig verworfen hatte. Später nickte er die Wahl der aus der zweiten Reihe der Richterschaft stammenden Julia Przyłębska, einer Vertrauten Kaczyńskis, durch das – unrechtmäßig zusammengesetzte – Richtergremium zur Präsidentin des Verfassungsgerichts ab. 

Es folgten die Einrichtung einer Disziplinarkammer beim Obersten Gericht, über die in der Praxis für die Regierung unbequeme Richter und Staatsanwälte abgelöst werden konnten, die Verkürzung der Amtszeit der bisherigen Mitglieder des Obersten Gerichts, wodurch auch hier die PiS die faktische Kontrolle übernehmen konnte, sowie die Änderung der Wahlordnung für den Landesjustizrat, ein Aufsichtsgremium, für das bislang die Richterschaft die Mehrheit der Mitglieder wählte. 

Dies übernahm nach einer unter Protesten der Opposition durchgepeitschten Gesetzesänderung nun das Parlament mit seiner PiS-Mehrheit. Auch der Landesrat für Fernsehen und Rundfunk wurde auf diese Weise entmachtet, obwohl dessen Kompetenzen ebenfalls durch die Verfassung geregelt sind, also nicht durch einfachen Parlamentsbeschluss eingeschränkt werden können.

Placets für Fälschungen von Dokumenten

Überdies ist Duda nie dagegen eingeschritten, dass Justizminister Zbigniew Ziobro, der Führer der rechtsradikalen, antieuropäischen Splitterpartei „Souveränes Polen“, immer wieder in Gerichtsprozesse eingegriffen hat, sogar in Straf- und Sorgerechtsverfahren. Ziobro, der auch das Amt des Generalstaatsanwalts übernommen und damit gegen das Prinzip der Gewaltenteilung verstoßen hatte, war bereits Justizminister der ersten PiS-Regierung 2005 bis 2007, wurde aber nach deren Abwahl wegen Amtsmissbrauchs und übler Nachrede zu einer Geldstrafe verurteilt.
 

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Dennoch ließ Duda zu, dass Ziobro 2015 erneut das Ministerium übernahm. In gleicher Weise hat er 2015 den früheren Geheimdienstchef Mariusz Kamiński begnadigt, der wegen seines Placets für Fälschungen von Dokumenten im Rahmen einer ebenfalls verfassungswidrigen verdeckten Aktion gegen politische Gegner Kaczyńskis zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden ist. Dabei war das Urteil noch gar nicht rechtskräftig, da die Berufungsverhandlung noch anstand, erst nach deren Abschluss hätte der Präsident von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch machen können. 

Die Berufungsverhandlung fand nun Mitte Dezember statt, die Haftstrafe für Kamiński wurde bestätigt; doch Duda ließ erklären, die Begnadigung sei weiter in Kraft, auch dies nach Meinung von Rechtsexperten eine irrige Auffassung. Kamiński wurde von den Medien auch Nepotismus vorgeworfen: Sein Sohn Kacper war mit gerade 29 Jahren als Vertreter Polens auf einen bestens dotierten Posten an die Weltbank entsandt worden. Von dort wurde er nun auf Intervention des neuen Finanzministers Andrzej Domański abberufen, ebenso wie der frühere TVP-Chef Jacek Kurski, der als „Bullterrier Kaczyńskis” den Staatssender zum Propagandainstrument der PiS gemacht hat.

Ein tägliches Zwangsgeld von einer Million Euro

Der blasse Duda, der wegen seines willfährigen Abnickens der Verfassungsbrüche der PiS-Mehrheit im Sejm den Beinamen „Kugelschreiber Kaczyńskis“ bekam, wurde 2020 als Präsident wiedergewählt; er siegte mit ganzen 51 Prozent der Stimmen denkbar knapp, nicht zuletzt, weil TVP eine massive Kampagne gegen den Herausforderer geführt hatte, den liberalen Warschauer Stadtpräsidenten Rafał Trzaskowski. 

Nach seiner Wahl kündigte Duda an, seine zweite Amtszeit werde „ganz anders verlaufen als die erste“. In der Tat legte er sein Veto gegen ein Gesetzesprojekt ein, das die politische Kontrolle über die Justiz weiter verstärkt hätte, knickte aber später doch ein. Die Europäische Kommission hat mittlerweile vier Verfahren wegen Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien gegen Warschau eingeleitet, im Oktober 2021 verhängte der Europäische Gerichtshof ein tägliches Zwangsgeld von einer Million Euro. Mittlerweile ist mehr als eine halbe Milliarde Euro an Strafgeldern aufgelaufen, auch dies geht auf das Konto Dudas.

Führer des nationalistischen Lagers

Dieser geriert sich nun als oberster Hüter der Verfassung, an deren wiederholter Verletzung er selbst an entscheidender Stelle beteiligt war. Die Warschauer Medien spekulieren, was ihn antreibt. Längst ist bekannt, dass er mit seinem einstigen Förderer Kaczyński zutiefst zerstritten ist, nicht zuletzt, weil er dessen antideutschen Kurs nicht mitträgt: Dudas Frau ist Deutschlehrerin, er selbst hat sie in jungen Jahren viele Male bei Besuchen in Deutschland begleitet und auch als Präsident gezeigt, dass ihm an guter Partnerschaft gelegen ist. 

Sein Kanzleichef Marcin Mastalerek, der ehrgeizige ehemalige Chef der PiS-Jugend, hat zwar Kaczyński unverblümt aufgefordert, in Rente zu gehen, doch bestreitet er, dass Duda nach dem Ende seiner Amtszeit in zwei Jahren Führer des nationalistischen Lagers werden wolle; in der Tat fehlt es ihm an Charisma und offenkundig auch an Durchsetzungsvermögen. Ein Spitzenposten in einer internationalen Organisation dürfte auch nicht in Aussicht stehen, er bräuchte dafür nicht nur die Unterstützung Brüssels, sondern auch die Washingtons. Doch US-Botschafter Marc Brzezinski hat wiederholt klargestellt, dass das Weiße Haus die Attacken der PiS auf die Gewaltenteilung nicht gutheißen kann.

Nationalfahne im Schneeregen

Nun setzt Duda auf Konfrontation mit dem proeuropäischen Lager um Tusk, obwohl er damit bestenfalls bei den Stammwählern der PiS punkten kann. Deren Führung muss nun hinnehmen, dass die überwältigende Mehrheit ihrer Landsleute offenbar nicht die Empörung über die „Usurpation von TVP“ durch die Equipe Tusks teilt: Den Appell Kaczyńskis, auch die Regionalsender von TVP in den größten Provinzstädten zu besetzen, um sie gegen den Zugriff der „Verfassungsbrecher um Tusk“ zu verteidigen, folgten jeweils nur wenige Dutzend seiner Anhänger. Keines der Gebäude wurde besetzt, es blieb beim Schwenken der Nationalfahne im Schneeregen, bevor die Demonstranten wieder nach Hause trotteten.
 

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