AKP-Propaganda in Deutschland - „Erdogans Netzwerk muss zerschlagen werden“

Die Partei des türkischen Staatspräsidenten Erdogan betreibt Wahlkampf auch in Deutschland - denn unter den Deutsch-Türken ist seine Anhängerschaft besonders groß. Der Politologe Burak Çopur sieht dadurch das friedliche Zusammenleben hierzulande gefährdet.

Erdogan-Anhänger im Juli 2021 in München / dpa
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Autoreninfo

Lena Middendorf studierte Politik- und Kommunikations- wissenschaften an der Uni Greifswald. Nach Hospitanzen bei der Hamburger Morgenpost und der Süddeutschen Zeitung absolviert sie derzeit ein Praktikum bei Cicero.

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Prof. Dr. Burak Çopur ist promovierter Politikwissenschaftler, Integrations- und Migrationsforscher und Türkei-Experte.

Herr Çopur, in diesem Jahr sind Präsidentschaftswahlen in der Türkei, und immer wieder ist in diesem Zusammenhang von Wahlpropaganda Erdogans zu lesen – sogar von Propaganda in Deutschland. Welche Beispiele gibt es dafür?
 
Die Wahlkampfveranstaltungen in Deutschland finden schon seit September 2022 statt. Vermutlich waren diese Veranstaltungen alle nicht genehmigt. Denn seit der Auflage von 2017 müssen Wahlkampfauftritte hierzulande genehmigt werden und dürfen bis drei Monate vor den Wahlen gar nicht mehr stattfinden. Die als Wahlkampfveranstaltung getarnte Hassrede eines AKP-Abgeordneten in Neuss gegen politische Gegner war offensichtlich nicht angemeldet. Die AKP betreibt zudem keine großen Wahlkampfveranstaltungen mehr, sondern kleine Bürgerveranstaltungen. Das ist ein neuer Strategiewechsel im Auslandswahlkampf.
 
Sind derlei Hassreden nicht illegal auf deutschem Boden?
 
Das wird jetzt von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf geprüft, ob hier eine Straftat vorliegt, schließlich steht der Vorwurf der Volksverhetzung im Raum. Auf diese Hassrede hat auch die deutsche Bundesregierung sehr schnell reagiert. Die türkische Botschaft wurde durch das Auswärtige Amt einbestellt. Das zeigt, dass hier deutlich die Grenze der Meinungsfreiheit überschritten und vermutlich ein Hassverbrechen verübt worden ist.

Wie ist das türkische Netzwerk in Deutschland aufgestellt?
 
Die Wahlkampfveranstaltungen finden nicht nur bei den rechtsextremistischen Grauen Wölfen statt, sondern auch bei der UID (Union Internationaler Demokratie). Die UID ist eine AKP-Lobbygruppe in Deutschland, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Zusätzlich bestehen in Deutschland die DITIB-Moscheen (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.). Diese Moscheen sind keine Orte der Religionsausübung mehr. Sie werden von Ankara politisch instrumentalisiert und fungieren als „AKP-Wahlkampfzentralen“. Ziel von Erdogans Netzwerk ist es, die türkischstämmige Community in Deutschland frühzeitig bei den Wahlen zu mobilisieren und für sich zu gewinnen.
 
Warum ist Erdogans Netzwerk so wichtig für die aktuellen Wahlen?
 
Es geht diesmal um viel für Erdogan. Die Wahlen sind auf Messer Schneide, und es wird diesmal sehr knapp für ihn. Die Opposition hat sich diesmal sehr stark gegen Erdogan zusammengeschlossen, sodass es ungewiss ist, ob er die Wahlen gewinnt. Laut den Zahlen der Parlamentswahlen von 2018 gibt es in Deutschland rund 1,4 Millionen Stimmen, um die Erdogan und die Opposition werben werden. 50% der Wähler haben damals an der Wahl teilgenommen – und mehrheitlich mit 65% Erdogan gewählt. Das heißt, wir haben etwa eine halbe Million AKP-Wähler in Deutschland.

Inwiefern nutzt Erdogan den Nationalismus und das Zugehörigkeitsbedürfnis potenzieller Wähler in Deutschland aus?

Erdogan versucht, die auch von Ausgrenzung und Diskriminierung betroffenen Deutsch-Türken für sich zu vereinnahmen und ihnen vermeintlichen Schutz und Stabilität zu versprechen. Eine erfolgreiche Integrationspolitik in Deutschland würde dabei helfen, dass diese Menschen nicht weiter in Erdogans Arme getrieben werden.
 
Was wäre denn eine „erfolgreiche Integrationspolitik“?

Burak Çopur / privat

Eine erfolgreiche Integrationspolitik benötigt mehr Partizipation und Teilhabe, weniger Ausgrenzung und Diskriminierung und mehr Investition in soziale Brennpunkte, um diese Menschen von Erdogans Propaganda zu schützen. Zudem müssen wir auch die familiäre Sozialisation dieser Menschen mehr in den Blick nehmen, in der türkischer Nationalismus und religiöser Fanatismus von Kindesbeinen an einem Teil dieser jungen Deutsch-Türken eingetrichtert werden. Hier sind dringend mehr Gegenmaßnahmen in der politischen Bildung in unseren Bildungseinrichtungen angebracht.

Erdogans Einfluss bestimmt auch die kritischen Stimmen in Deutschland. Welche Gefahr besteht für Deutsch-Türken, wenn sie sich in Deutschland in Opposition zur AKP äußern?

Türkeistämmige Exiljournalisten wie Erk Acarer werden in Deutschland von Erdogans Regimeanhängern brutal niedergeschlagen. Daher befinden sich viele Journalisten wie Acarer oder auch Can Dündar unter Polizeischutz. Durch dieses brutale Vorgehen sollen kritische Stimmen hierzulande unterdrückt und mundtot gemacht werden.

Gibt es weitere Unterdrückungsmechanismen?

Neben der aggressiven Gewaltbereitschaft werden Morddrohungen, verbale Angriffe oder Hetzkampagnen über soziale Medien verbreitet. Auch ich wurde als Wissenschaftler Opfer einer Hetzkampagne von türkischen Nationalisten und Rechtsextremisten.

Wie lässt sich Erdogans Politik Ihrer Meinung nach denn bewerten?

Erdogans Politik ist nicht demokratisch und höchst autoritär. Bereits 2017 fand die Überleitung von der mehr oder weniger funktionierenden parlamentarischen Demokratie zur Autokratie statt. Bei den jetzigen Wahlen geht es für Erdogan darum, diese Autokratie für die nächsten zehn bis 20 Jahre zu verfestigen und die Opposition komplett auszuschalten. Es ist somit ein Schicksalswahljahr für die Türkei.

 

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Wer sind die AKP-Wähler und -Unterstützer?

Die AKP war ursprünglich eine islamisch-konservative Partei, die aus der Bewegung des politischen Islam entstammt. Besonders stark ist die Partei bei religiösen, weniger gebildeten und älteren Wählern ab 55 Jahren. Heute ist die AKP nur noch ein Erdogan-Wahlverein geworden, in der zwar angeblich islamische Werte propagiert werden, diese aber nur ein Vorwand sind, um Korruption und Vetternwirtschaft zu camouflieren.

Und auf der anderen Seite die Opposition?

Die Opposition gegen Erdogan besteht aus einem Zusammenschluss unterschiedlicher Parteien. Einige dieser Parteien bestehen aus ehemaligen AKP-Mitgliedern. Viele Wähler der Opposition kommen aus Großstädten wie Ankara, Istanbul oder Izmir, sind städtisch, gebildet und laizistisch orientiert. Gerade unter der pro-kurdischen Partei HDP und der linken Opposition sind aber auch viele junge Wähler und Frauen.

Kann man davon ausgehen, dass die Wahlen in der Türkei demokratisch verlaufen werden?

Das kann man jetzt noch nicht sagen. Erdogan hat in der Vergangenheit immer wieder die Wahlen manipuliert und wird auch diesmal alles tun, um die Wahlen zu fälschen. Eine strikte Wahlbeobachtung und Kontrolle der Wahlen werden daher die halbe Miete für die Opposition sein, um Erdogan eine Wahlniederlage zu verpassen. 

Neulich verbrannte ein schwedischer Rechtsextremist öffentlich einen Koran. Inwiefern instrumentalisiert die AKP solche Aktionen für ihre Propaganda?

Diese Aktion ist eine gefährliche Provokation von einem schwedischen Rechtsextremisten. Niemand sollte irgendwelche heilige Schriften verbrennen. Das ist respekt- und anstandslos. Es sind genau solche Aktionen wie in Schweden, die in die Hände Erdogans spielen. Zu Erdogans indirekten Wahlhelfern gehören ebenso der Rechtspopulist Geert Wilders aus Holland oder die rechtspopulistische Partei AfD. Die europäischen Rechtspopulisten und Erdogans AKP sind nur zwei Seiten einer Medaille. Beide Seiten brauchen sich und sind eigentlich als Brüder im Geiste unzertrennlich.
 
Warum hat Erdogan seinen geplanten Berlinbesuch Ende Januar abgesagt?

Die Bundesregierung hatte wohl vor, die hetzerische Rede des AKP-Abgeordneten in Neuss in der gemeinsamen Pressekonferenz öffentlich zu kritisieren. Erdogan wollte aber genau das vermeiden und sich vielmehr durch seine Berlinreise in der Türkei und bei seinen Anhängern in Deutschland als großer Staatsmann feiern lassen. Sein Plan ist jetzt ins Wasser gefallen.

Finden Sie, dass die deutsche Bundesregierung wirklich ausreichend interveniert?

Sie hat zumindest sehr schnell und zügig reagiert. Den abgesagten Besuch kann man auch als Gewinn für unsere wehrhafte Demokratie verstehen und als Absage an Erdogans Diktatur. Es hätte aber zusätzlich ein Einreiseverbot gegen den AKP-Abgeordneten verhängt werden können. Auch Erdogans Netzwerk in Deutschland, bestehend aus den Grauen Wölfen, der UID und der DITIB, muss endlich zerschlagen werden. Diese Organisationen gefährden das friedliche Zusammenleben und sind eine Gefahr für die öffentliche Ordnung Deutschlands. 

Was wären die Konsequenzen eines weiteren Wahlsiegs von Erdogan für die Türkei, aber auch für Europa?

Wird Erdogan gewinnen, so wird die Autokratie in der Türkei für Jahrzehnte verfestigt und die demokratische Opposition weiter unterdrückt und kriminalisiert. Erdogan wird nach seiner Amtszeit höchstwahrlich einen Nachfolger aus seiner Familie bestimmen. Das hätte eine langfristige Autokratie vor den Toren Europas zur Folge. Darüber hinaus würden Erdogans außenpolitische Provokationen gegenüber Griechenland und Zypern eine regelmäßige Herausforderung für die Sicherheit Europas sein.

Und welche Konsequenzen hätte Erdogans Wahlsieg für die in Deutschland lebenden Türken?

Solange Erdogan regiert, wird die Polarisierung und Spaltung der Türkei weitergehen, auch innerhalb der in Deutschland lebenden türkischen Community. Es werden mehr Konflikte zwischen Türken, Kurden, Sunniten und Aleviten entfacht und ausgetragen werden.

Und was, wenn Erdogan nicht gewinnt?

Das wäre ein großer Erfolg für die türkische Demokratie. Die Türkei könnte versuchen, eine friedliche Außenpolitik aufzubauen, und die deutsch-türkischen Beziehungen könnten neu starten. Zwar würde der Einfluss der AKP in der türkischen Politik nicht sofort aufhören, aber die Chance, zu einer parlamentarischen Demokratie in der Türkei zurückzukehren, wäre umso größer.
 
Gibt es dafür denn begründete Hoffnung?

Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Das Gespräch führte Lena Middendorf.

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