
- „Regiert Erdogan in die Klassenzimmer hinein, Frau Akgün?"
Wenn es um den Islamunterricht an öffentlichen Schulen geht, kann die Ditib in Nordrhein-Westfalen wieder mitreden. Kultusministerin Yvonne Gebauer (FDP) lobt den Unterricht als Meilenstein der Integration. Im Interview erklärt die Autorin Lale Akgün (SPD), warum die Politik damit ein Eigentor schießt.
Lale Akgün ist Autorin, Psychotherapeutin und seit 1982 Mitglied der SPD. Sie ist Bundessprecherin der säkularen Sozis in der SPD.
Frau Akgün, 2012 bekamen in NRW 1.800 Kinder Islam-Unterricht in der Schule. 2019 waren es schon 22.000. Woher rührt das gestiegene Interesse?
Das Angebot ist gestiegen. Ob das Interesse auch zugenommen hat, weiß ich nicht. Aber wenn das Angebot da ist, wird es natürlich auch von vielen angenommen.
Organisiert wurde der Unterricht bislang von einem „Beirat“, dessen Mitglieder vom „Koordinationsrat der Muslime“ und vom Schulministerium benannt wurden. Kam die Initiative für mehr Islamunterricht von muslimischer Seite?
Nein, es war der Wunsch der Politik, muslimischen Schülern mehr Angebote zu machen. In NRW gibt es diesen Islamunterricht jetzt beispielsweise auch an Berufskollegs.
Wer unterrichtete die Kinder bisher, und was lernen die da eigentlich?
Bevor 2012 der Bekenntnisunterricht in NRW eingeführt wurde, gab es bereits das Fach „Islamische Unterweisung“. Anfangs gab es den Unterricht auf türkisch, dann wurde er auf deutsch umgestellt. Es ging darum, den Kindern die Grundlagen der islamischen Religion beizubringen.
Dagegen ist ja nichts einzuwenden. Aber was ist der Unterschied zum Bekenntnisunterricht?
Beim Bekenntnisunterricht steht der Glaube im Mittelpunkt, dem islamkundlichen Unterricht geht es um Wissen über die Religion, also um Inhalte und Fakten. Für diesen Unterricht wurden damals muttersprachliche Lehrer am Landesinstitut für Weiterbildung und Schule qualifiziert. Es wurde darauf geachtet, dass säkular denkende Menschen unterrichteten. Und dann hieß es plötzlich, diese Art des Unterrichts sei dem christlichen Religionsunterricht nicht gleichgestellt und auch mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar.
Warum nicht?
Nach dem Grundgesetz haben die Kirchen ein Recht auf Bekenntnisunterricht und die Religionsgemeinschaften ein Recht auf Mitsprache. Nur so kamen die Verbände ins Spiel. 2012 hat die Landesregierung das Projekt „Islamischer Religionsunterricht“ gestartet, und als Pendant zu den christlichen Religionsgemeinschaften haben sie einen Beirat gegründet, der über die Inhalte und die Lehrerlaubnis für die Lehrer bestimmt hat. Aber daneben gab es auch noch Mitglieder, die vom Schulministerium bestimmt worden waren. Und das war genau der Streitpunkt
Warum?
Die Verbände monierten, das Schulministerium mische sich ein in die Auswahl der Mitglieder, die über die Inhalte mitbestimmen sollten, während die christlichen Kirchen alleine entscheiden durften. Hätte einer der Islamverbände geklagt, hätte er möglicherweise sogar Recht bekommen. Denn der Staat muss alle gleich behandeln. Jetzt also wird der Beirat von einer Kommission abgelöst ...
... in der nur noch die Verbände sitzen?