Belarussischer TV-Sender Belsat wird 15 Jahre alt - Aufgeben ist für sie keine Option

Der belarussische TV-Sender Belsat wurde 2007 mit dem Ziel gegründet, unabhängig und frei über die Diktatur des Machthabers Lukaschenko zu berichten. Seit den gewaltsam niedergeschlagenen Protesten erfahren die Journalisten in ihrem Alltag eine neue Dimension der Unterdrückung. Doch ans Aufgeben denken sie noch lange nicht.

Sieht sich seitens des belarussischen Staatsapparates großen Repressionen ausgesetzt: der TV-Sender Belsat / dpa
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Wenn man Darja Tschulzowa ansieht, jung, elegant gekleidet und mit einem selbstbewussten Gesichtsausdruck, kann man sich nicht vorstellen, was sie durchgemacht hat. Erst seit dem 3. September 2022 ist die 25-Jährige wieder frei – vorher saß sie fast zwei Jahre lang in einer belarussischen Strafkolonie. Darja Tschulzowa ist Journalistin für den in Warschau stationierten Fernsehsender Belsat. Sie wurde dafür verhaftet, dass sie ihren Job gemacht hat.

Im November 2020 wurde sie zusammen mit ihrer Kollegin Kazjaryna Andrejewa festgenommen, als sie in Minsk bei einer Demonstration zum Gedenken an den getöteten Aktivisten Raman Bandarenka drehte. Es war einer der Proteste im Rahmen einer Welle von Volksaufständen, die über Belarus nach den manipulierten Präsidentschaftswahlen in jenem Sommer rollte, bei denen der derzeitige Machthaber Alexander Lukaschenko nach einigen (nachweislich falschen) Angaben mit 81 Prozent der Stimmen den Sieg davongetragen hatte.

Die Proteste wurden von extremer Polizeibrutalität gegen Demonstranten und Journalisten gleichermaßen begleitet, was auch im gefilmten Material von Tschulzowa und Andrejewa zu sehen ist. Im Februar 2021 wurden die zwei Journalistinnen in einem Schauprozess wegen des angeblichen Organisierens von Veranstaltungen, die die öffentliche Ordnung stören, zu zwei Jahren Haft in einer Strafkolonie mit Zwangsarbeit verurteilt. Andrejewa sitzt immer noch im Gefängnis; ihre Strafe wurde plötzlich im September um acht weitere Jahre verlängert, wegen angeblichen „Hochverrats“. Tschulzowa sagt, sie denke die ganze Zeit an ihre Kollegin. „Ich denke immer, sie sollte hier mit uns sein“, sagt sie.

Neue Zuspitzung des belarussischen Terrors

Die letzten drei Jahre, die von Pandemie, Protest und Krieg geprägt waren, seien für Belsat „mit Sicherheit die schwierigsten in unserem Leben“ gewesen, sagt Agniezska Romaszewska-Guzy. Sie ist Direktorin des Senders, zusammen mit Tschulzowa hat sie am Mittwoch den Film „Belsat. Mission – Freedom“ im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums vorgestellt. In dem Film werden Tschulzowas Verhaftung und die Arbeit von Belsat trotz der mehrfachen Bestrafung seiner Journalisten und Korrespondenten thematisiert.

Romaszewska-Guzy ist es wichtig, dass die Menschen nicht nur in Osteuropa verstehen, mit welchen Herausforderungen ihre Journalisten konfrontiert sind, wenn sie als Exilmedium über Belarus berichten. „Ich beobachte seit mehr als 15 Jahren, wie sich Belarus entwickelt. Ich kann mich nicht an einen solchen Terror erinnern, wie wir ihn jetzt haben“, sagt sie.

 

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Anlass für den Film ist der 15. Geburtstag von Belsat. Am 10. Dezember 2007 wurde die allererste Sendung ausgestrahlt, eine dreiminütige Nachrichtensendung auf Belarussisch. Inzwischen sendet der Kanal täglich 20 Stunden lang auf seiner Website und auf YouTube, sein Team ist von 20 Menschen auf mehr als 300 gewachsen, die unter anderem aus Polen, Belarus, Russland und der Ukraine berichten. Inzwischen gibt es auch Inhalte auf Russisch, die nach eigenen Angaben von einem Publikum aus allen Ländern der ehemaligen Sowjetunion gelesen und geschaut werden.

Damals war es das Ziel, eine Medienquelle auf belarussischer Sprache zu etablieren, die unabhängig und kritisch über den Mangel an politischer Freiheit und Menschenrechtsverletzungen in Belarus unter Lukaschenko berichtet und gleichzeitig die belarussische Kultur fördert. Seit der Gründung ist der politische Druck durch das Lukaschenko-Regimes nur härter geworden – „aber zumindest wird jetzt die Geschichte erzählt und die Menschen kennen die Wahrheit“, so Romaszewska-Guzy. In der diesjährigen Weltrangliste der Pressefreiheit belegte Belarus den 153. Platz von insgesamt 180 Ländern.

Lukaschenko kämpft gegen die freie Presse

Dass der Geburtstag des Senders ausgerechnet auf den Internationalen Tag der Menschenrechte fällt, ist zu einem bitteren Widerspruch für Belsat geworden. Während ihrer Verhaftung wurde Darja Tschulzowa von Gefängniswärtern sowie einem Psychologen unter Druck gesetzt, ein Geständnis zu unterschreiben und Lukaschenko um Verzeihung zu bitten – aber sie gab dem Druck nie nach. Sie musste beim Nähen von Decken helfen, sie musste zur Strafe Kartoffeln schälen und putzen, Arbeiten verrichten, für die sie kaum bezahlt wurde. Sie erhielt 41 Rubel im Monat, etwa 15 Euro. Ansonsten las sie Gedichte in belarussischer Sprache und beantwortete die vielen Briefe, die sie erhielt – obwohl ein Großteil der Korrespondenz, versandt von ihren Kollegen bei Belsat, stark zensiert wurde oder gar nicht erst ankam.

Tschulzowa sagt, vor allem das Bewusstsein ihrer Unschuld hatte ihr geholfen, die zwei Jahre hinter Gittern zu überstehen. Auch die Briefe von Fremden sowie Kollegen gaben ihr Kraft – auch wenn die Inhalte, etwa über die russische Invasion der Ukraine am 24. Februar, manchmal schwer zu ertragen waren. Aber ihr war auch immer klar, warum es zu ihrer Festnahme gekommen war. „Lukaschenko will seit Jahren die Menschen und die staatlichen Medien zombifizieren“, sagt sie. „Eine freie Presse öffnet den Menschen die Augen – und genau davor hat er Angst.“

„Die Frage ist nur, wie lang das Regime noch durchhält“

Seit ihrer Entlassung aus dem Gefängnis am 3. September zog Tschulzowa sofort nach Warschau und nahm ihre Arbeit bei Belsat wieder auf. Jetzt arbeitet sie beim russischsprachigen Dienst bei Belsat, der seit dem 24. Februar groß ausgebaut wurde. Viele Sendungen laufen zweisprachig auf Russisch und Belarussisch, ungefähr die Hälfte der Belsat-Zuschauer sei jetzt aus Russland, der russischsprachige YouTube-Kanal hat fast eine Million Abonnenten. Der Kanal auf belarussischer Sprache hat mehr als 480.000 Abonnenten. Der Sender will weitere Zielgruppen erreichen. „Wir haben kein Recht, nur in unserer eigenen Bubble zu bleiben“, sagt Agniezska Romaszewska-Guzy. „Wir sind verpflichtet, zu zeigen, was wir können – und mit unseren erfahrenen Journalisten die Wahrheit über diesen Krieg zu erzählen.“

Darja Tschulzowa berichtet jetzt nicht so viel über Belarus, eher über internationale Themen. „Es ist für mich immer noch sehr schwierig, nach all den Geschehnissen mich wieder mit der belarussischen Agenda zu beschäftigen“, sagt sie. Trotz der Dinge, die sie wegen ihrer Arbeit durchmachen musste, kam ihr nie der Gedanke, den Journalismus zu verlassen. „Das überrascht mich manchmal selbst sehr, wenn ich das sage, aber das war für mich nie eine Möglichkeit“, sagt sie.

Irgendwann in der Zukunft möchten die beiden wieder nach Belarus zurückkehren. Aber sie wissen, dass es wahrscheinlich nicht so bald möglich sein wird. Darja Tschulzowa macht sich keine Hoffnungen, dass es bald so weit sein könnte. Agniezska Romaszewska-Guzy erlaubt es sich, optimistisch an den Fall des Kommunismus in Polen und der Sowjetunion zu erinnern. „Schon einmal dachte ich, die Sowjetunion würde für immer bestehen. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs glaube ich, dass absolut alles möglich ist“, sagt sie. „Die Frage ist nur, wie lang das Regime noch durchhalten wird, und das ist sehr, sehr schwer zu sagen.“ Dies werde stark von der Situation in Russland und dem weiteren Verlauf des Krieges in der Ukraine abhängig sein, schätzt sie.

Kritischer Journalismus als gemeinsame Lebensaufgabe

Die Direktorin hofft, dass der Dokumentarfilm neue finanzielle Unterstützung aus dem Ausland für Belsat bringen wird, damit die Arbeit des Senders noch viele Jahre fortgesetzt werden kann; derzeit wird der Sender noch weitgehend vom polnischen Außenministerium und dem öffentlichen polnischen Fernsehen finanziert. Auch wenn die Kolleginnen schwer voraussagen können, was in den nächsten 15 Jahren passieren wird, bleiben sie trotzdem entschlossener denn je in ihrer Aufgabe, kritischen Journalismus für Osteuropa zu liefern.

„Wir arbeiten für die Unabhängigkeit eines normalen Belarus’, wo man den Bürgern zuhört, wo wir eine normale Beziehung zu unseren Nachbarn haben“, sagt Agniezska Romaszewska-Guzy. „Das wird nicht geschehen, wenn wir den Menschen, die unter diesen Regimen von Lukaschenko und Putin leiden, keine Stimme geben können.“ Darja Tschulzowa stimmt ihr zu. „Wir müssen an Menschen wie unsere Kazja denken, die immer noch im Gefängnis sitzen“, sagt sie. „Und ich weiß, es gibt immer noch so viele Themen, über die man sprechen, schreiben, schreien muss. Darin sehe ich jetzt als meine Aufgabe.“

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