Wokeness in Unternehmen - Aktivismus ist nicht profitabel

Woke Ideen sind längst auch in der Wirtschaft angekommen. Einige Unternehmen werben sogar ganz bewusst mit dem woken Zeitgeist. Doch der Kapitalismus ist nicht auf Wokeness angewiesen und benutzt sie nur dann, wenn es Gewinne verspricht.

Die Regenbogenfahne ist billiger als höhere Löhne / dpa
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Thomas Ehrmann ist Professor am Institut für Strategisches Management der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und lehrt Wirtschaftswissen- schaften. Er war Referent im Bundeswirtschaftsministerium und hat als Berater für die Bahn und private Verkehrsanbieter gearbeitet.

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Aloys Prinz ist Professor für Finanzwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Er ist Autor zahlreicher Beiträge in nationalen und internationalen Fachzeitschriften.

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Seit geraumer Zeit ist Wokeness in aller Munde. Eine genaue Definition des Phänomens gestaltet sich schwierig, und jegliche (Anti-)Wokenessaktivitäten sind empirisch kaum zu erfassen. Aber es scheint eine große Sache zu sein. Das Phänomen ist in leicht abgeschwächter Form aus den USA herübergeschwappt. Doch woher kommt die Attraktivität? Wie kommt nun also die Befürwortung von Wokeness in die Unternehmen? Zunächst ist in Deutschland eine Trennung in marktliche und staatliche Wokeness sinnvoll.

Es gibt keinen woken Kapitalismus

Die Unterscheidung ist wichtig, weil der staatliche Sektor und private Unternehmen unterschiedlichen Anreizen, Restriktionen und Metriken unterworfen sind. Die erste wichtige Feststellung dahingehend lautet: Es gibt keinen woken Kapitalismus! Es gibt vielmehr Unternehmen, die sich mehr oder weniger Wokeness (oder einige ihrer Abwandlungen) auf die Fahne schreiben. Wenn Unternehmen handeln, dann entscheiden Sie sich für oder gegen etwas. Unternehmen müssen im Einvernehmen mit allen Interessengruppen leben: Lieferanten, Kunden, Mitarbeitern, Politik und Kapitalgebern. Es mag sein, dass das Verhältnis mit der einen oder anderen dieser Gruppen manchmal etwas besser ist oder manchmal vielleicht auch etwas gestört. Festzuhalten ist allerdings, dass diesen Stakeholder-Gruppen jeweils ein bestimmter Schwellenwert an Zufriedenheit garantiert werden muss.

Ein Unternehmen kann nicht einfach die Trinkwasserreservoirs einer Region in Deutschland verunreinigen, ohne dafür gerichtlich belangt zu werden. Ein Unternehmen wird auch am Absatzmarkt abgestraft, wenn es den Kunden minderwertige Produkte anbietet. Es kann sich nicht erlauben, Mitarbeiter dauerhaft schlecht zu behandeln, ohne bei Arbeitskräfteknappheit Probleme zu bekommen. Und es kann auch nicht darauf verzichten, die Ansprüche der Kapitalgeber zu erfüllen, ohne dass die Konsequenzen bis hin zur Insolvenz reichen.

Unternehmen maximieren immer nur, zum Beispiel den langfristigen Gewinn der Aktionäre, unter den Nebenbedingungen, dass die anderen Anspruchsgruppen eine Wahrung ihrer Interessen erleben.

 

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Wokeness für den Produktabsatz

Wie kommt nun aber die Befürwortung von Wokeness in die Unternehmen? Sind es externe Anteilseigner, die bestimmte Zwecke und Haltungen im Unternehmen fordern? Oder sind es stattdessen Akteursgruppen innerhalb von Unternehmen, die politische Zeichen setzten wollen?
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass externe Interessengruppen ihre einheitlich „woke“ Agenda in Unternehmen durchsetzen können. Denn es ist absolut natürlich, dass in Großkonzernen die Mitarbeiter, Kunden und oder Lieferanten durchaus unterschiedlichsten politischen und sonstigen Vorstellungen anhängen. Ein einziger, politisch und „woke“ zugespitzter Zweck ist also schon innerhalb einzelner externer Gruppen kaum denkbar, von der Gesamtheit der Anteilseigner ganz zu schweigen.

Aber es sind auch nicht unbedingt die CEOs, die ihrer Präferenz für irgendwelche politischen Spezialforderungen freien Lauf lassen. Die Vermutung, dass es insbesondere Mitarbeiter innerhalb des Unternehmens sind, die „woke“ Agenden ausarbeiten und vertreten, wird auf den ersten Blick durch die Empirie gestützt. Diese ist jedoch ein Ausdruck minuziös geplanter Öffentlichkeitsarbeit. Wenn die Unternehmensführungen den Eindruck haben, auf äußere Bedrohungen reagieren zu müssen (und sei es mit „woken“ Agenden), dann werden Spezialisten zur Ausarbeitung einer solchen Kampagne berufen. Dieses auf Wokeness spezialisierte mittlere Management wird sich als
Sachwalter eigener Interessen für eine Ausweitung des eigenen Einflussbereiches mittels woker Programme einsetzen.

Diese Entscheidung wird getroffen, weil man sich davon positive Auswirkungen auf den Produktabsatz erhofft, weil es die Konkurrenz auch tut oder weil man glaubt, Gefahren – von Shitstorms bis zum Angriff auf Investitionen – abwehren zu können.

Mitarbeiter profitieren nicht von Wokeness

Firmen, die aus reiner Überzeugung politische Ideen vertreten, sind also die Ausnahme. Aber in welchen Bereichen wirkt sich eine woke Unternehmensausrichtung überhaupt wie aus? Es ist empirisch sehr fraglich, ob sich die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen und ihre Umsatzzahlen positiv beeinflussen. Wokeness und finanzieller Erfolg sind nicht hoch positiv korreliert, auch wenn man dies aus woker Perspektive gerne so hätte.

Die Empirie ist auch beim hochgelobten CEO-Aktivismus, der sich z.B. auf Twitter unter den Kategorien „Diversität“, „Umwelt / Klima“, „Rassismus“ und „Armut“ äußert, Mangelware: Dieser Aktivismus ist nicht profitabel für das jeweilige Unternehmen. Denn positiv wirkt er sich nur für CEOs aus, die hier ihre eigene Marke im Internet über Twitter und Co. für ihren eigenen Arbeitsmarkt bekannt machen.

In einem großen Experiment konnte Vanessa Burbano zeigen, dass „woke“ Unternehmensaktivitäten für Mitarbeitergruppen, die wokenesskritisch sind, abschreckend und demotivierend wirken. Andererseits konnten Mitarbeiter, die woken Aktivitäten positiv gegenüberstehen, nicht zusätzlich motiviert werden. Die negativen Effekte aus „Unternehmenswokeness“ bei Mitarbeitern scheinen also auch zu dominieren.

Ausnutzung opportunistischer Gewinnchancen

Man kann den Vorteil woker Ausrichtungen natürlich darin sehen, dass Manager sich hinter Regenbogenfahnen und Gendersternen verstecken können, wenn Kritik von außen an der alten Orientierung von Unternehmen vorgebracht wird. Allerdings hat Wokeness auch natürliche Grenzen. Zwar kann Audi in Deutschland eine gendergerechte Sprache einführen, aber der Vorstandschef von VW muss nach China, um die dortige politische Führung zu besänftigen. Denn wenn die eigene Fabrikationsanlage im Uigurengebiet geschlossen würde, wäre das finanziell ein schwerer Schlag.

Mittlerweile gibt es in den USA 44 Antiwoke-Gesetze in unterschiedlichen Bundesstaaten. Erste Auswirkungen auf die politische Ausrichtung dortiger Unternehmen waren bereits zu erkennen. So hat sich z.B. Vanguard aus einer Klimainitiative zurückgezogen, während BlackRock „standhaft“ blieb. In Florida wird Arbeitgebern durch die House Bill 7 sogar explizit verboten, verpflichtende Diversity-Equity-Inclusion(kurz: DEI)-Schulungen durchzuführen.

Hier lässt sich einmal mehr erkennen: Der Opportunismus von Unternehmen orientiert sich an Märkten und Gewinnen. Überall dort, wo die Märkte interessant und Gewinnmöglichkeiten vielversprechend sind, wird man sich je nach politischen Vorgaben woke oder antiwoke geben. Überall dort, wo diese Gewinne klein und wo die Märkte uninteressant sind, kann man sich eine – z.B. auch woke – Haltung leisten, die dann vielleicht in rentablere Märkte ausstrahlt. Aber man muss die Beobachtung der Wokeness und Anti-Wokeness von Unternehmen immer vor dem Hintergrund des Überlebens von Unternehmen und der opportunistischen Ausnutzung von Gewinnchancen sehen. Wenn Wokeness nicht zumindest für das Gesamtunternehmen gewinnneutral ist, wird sie nicht in den Vordergrund gestellt oder beherzigt! Wenn man so will, erklärt dies und nicht Halsstarrigkeit die Anti-Wokeness der katholischen Kirche: Der deutsche Markt mit engen Produktsubstituten ist weniger attraktiv als die Märkte in Afrika und Lateinamerika.

Opportunismus ist Pflicht

Man könnte jetzt natürlich annehmen, das Anti-Wokeness gewissermaßen automatisch pro-kapitalistisch ist und sich daher quasi von selbst immer auszahlt. Allerdings zeigt sich zum Beispiel in Texas, dass der Ausschluss von woken Akteuren auch die Kosten steigern kann. Die Ausgaben bei der Platzierung von Staatsanleihen waren für den Staat 300 bis 500 Millionen US-Dollar höher als sonst. Es wurden, durch anti-woke Gesetze, Banken wie Goldman Sachs und J.P. Morgan wegen Unterstützung von Klimaschutz ausgeschlossen. Profiteure waren nicht-woke Banken, die erhebliche Gewinne einfuhren.

Das Beispiel zeigt klar, dass Unternehmen opportunistisch sein müssen, damit sie auf der woken oder nicht-woken Seite Gewinne machen können. Denn auch bei pro oder contra Wokeness geht es schlichtweg um die Schaffung und Verteilung ökonomischer Gewinne, die von Kunden und Steuerzahlern bezahlt werden müssen.

Kein Teufelspakt mit Wokeness

Es gibt daher keinen woken Kapitalismus, der einen Teufelspakt mit der Wokeness eingegangen ist und sich dabei etwa einen Selbstzerstörungskeim eingefangen hätte. Denn die permanenten organisatorischen Innovationen des Kapitalismus und der ihn tragenden Unternehmen lassen eine solche Verbindung gar nicht zu. Kapitalismus ist ein gesellschaftliches Organisationssystem, bestehend insbesondere aus Eigentumsgarantie und relativ freien Märkten. Die Robustheit dieses Systems ist eine Folge seiner Anpassungsfähigkeit.

Kapitalgeberinnovationen führen dazu, dass die Haltungen der Manager immer wieder an die Eigenkapitalgeberinteressen herangeführt werden. Maßnahmen dafür waren zum Beispiel Take Overs, Leveraged Buyouts oder die Rücknahme von börsennotierten Unternehmen in private Hand. Diese Innovationen haben im Normalfall dazu geführt, dass die Anreize für Manager viel stärker auf die Eigenkapitalgeberinteressen ausgerichtet wurden.

Das erklärt, warum Kurswechsel in Sachen Wokeness so sprunghaft erfolgen, während gegenteilige Standpunkte oftmals konsequenter vertreten werden. Denn aktive Eigentümer sind oft selber Manager und denken konservativ, wollen also auf der anti-woken Seite ihren Aktivismus entfalten. Hier lassen sie sich das Einstehen für ihre Präferenzen auch tatsächlich etwas kosten. Wenn sich aber angestellte Manager hinter woken Ideen verstecken, die sie möglicherweise selbst gar nicht wirklich vertreten, kann das auf Druck von Kapitalgebern oder Politik sehr schnell geändert werden. Dem bei Unternehmen handlungsleitenden Gewinn-Opportunismus stehen außerdem höhere Unternehmenszwecksetzungen oder woke Ideen, wenn sie denn grundsätzlich und ernsthaft angelegt sind, entgegen. Diese können zwar manchmal passen, öfter sind sie aber hinderlich. Auf Märkte wie China zu verzichten, können sich nur die wenigsten leisten.

Schönklingende Wertekataloge

Die woke Ideologie passt aber aus einem anderen Grund tatsächlich gut zum Gewinn-Opportunismus. Denn sie ist bequem. Unternehmen müssen bei ihren Investitionen und strategischen Planungen einer systematischen und risikobehafteten Herangehensweise folgen. Die woke Ideologie dagegen ist unsystematisch und bietet gerade hinsichtlich ihrer Abneigung gegen Mess- und Falsifizierbarkeit Unternehmen gute Gelegenheiten, sich mit schönklingenden Wertekatalogen gegenüber Konkurrenten im Marketing zu differenzieren. Auch kann dadurch die Identifikation der Mitarbeiter mit Ihrem Unternehmen eventuell doch gestärkt werden, weil die Ansätze verwaschen und nur schwer greifbar sind. Die beiläufige Betonung von Minderheiteninteressen und das Hissen irgendwelcher Fahnen ist natürlich immer preiswerter als die Erhöhung der Löhne oder die allgemeine Verbesserung von Arbeitsbedingungen!

Die Grenzen werden aber erneut deutlich, wenn es bei woken Firmen um Shareholderinteressen geht. So haben die Investmentfirmen BlackRock, Vanguard, Fidelity und State Street gegen 44 Shareholder-Vorschläge zu „critical racial equity issues“ gestimmt. Hier wurden auch woke Kerninteressen abgelehnt. Wenn demnach Wokeness zu kostspielig und problematisch wird, können die Eigenkapitalgeber durchgreifen. Besonders, wenn sie auch noch CEOs sind. Bekanntermaßen hat Elon Musk bei Twitter nach der Unternehmensübernahme als Eigentümer Wokeness sofort abgeschafft.

Es gibt eben keinen Teufelspakt mit der Wokeness, eher einen opportunistischen Deal, den Unternehmen je nach Belieben zeitweilig eingehen. Der Kapitalismus und die kapitalistischen Unternehmen sind die letzten, die der Wokeness zum Opfer fallen würden. Sie erwirtschaften aus Wokeness entweder Gewinn oder entsorgen sie unauffällig.

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