Wirtschaftsweise warnen vor Elterngeld-Kürzungen - Experten plädieren für selektive Bevölkerungspolitik

Bundesfamilienministerin Lisa Paus will die Lohnersatzleistung für junge Eltern bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen ab 150.000 Euro streichen. Die Wirtschaftsweisen warnen vor den Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Demografie.

Familienministerin Lisa Paus / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Pünktlich zum Sommerloch haben sich Deutschlands Wirtschaftsweise in die Debatte über die Reform des Elterngeldes eingeschaltet. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/die Grünen) hatte vorgeschlagen, die Lohnersatzleistung für junge Eltern bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen ab 150.000 Euro zu streichen. Dass sei zwar ein Schaden für die Gleichstellungspolitik, aber angesichts der Einsparvorgaben das kleinste Übel. Ausgaben von rund 300 Millionen Euro sollen so jährlich vermieden werden.

Mehrheit steht hinter Kürzung

Eingeführt wurde das Elterngeld ursprünglich, um die Erwerbsneigung von Frauen zu erhöhen und die Familienarbeit gleicher auf beide Geschlechter zu verteilen. So heißt es jedenfalls offiziell. Tatsächlich hat sich der Anteil der Männer, die das Elterngeld in Anspruch nehmen und sich an der Erziehung der eigenen Kinder stärker beteiligen, in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht. Diese Effekte sieht Paus nun aber bei den Besserverdienenden in Gefahr.

Um das diesbezügliche Schicksal der oberen vier Prozent in der Einkommensverteilung macht sich der gemeine Bürger allerdings nicht so viele Sorgen wie der politische Raum. Rund 70 Prozent aller Deutschen halten die von Paus vorgeschlagene Maßnahme für richtig. Eine Zustimmung gibt es von allen Altersgruppen, allen politischen Milieus, und selbst 67 Prozent der Frauen stimmen dem Kürzungsvorschlag zu. Von derartigen Unterstützungswerten kann die Ampel sonst nur träumen

Widerspruch in der FAZ

Kaum vorgeschlagen, erntete die geplante Maßnahme allerdings insbesondere aus dem Lager von FDP und Unionsparteien harsche Kritik. In diese reihen sich nun mit den Wirtschaftsweisen auch die ökonomischen Berater der Bundesregierung ein. In einem Gastbeitrag in der FAZ warnen sie unter anderem vor den Auswirkungen auf die Demografie. 
 

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Ihr Hauptargument gegen Paus‘ Vorschlag: „Die Streichung droht einen wichtigen Erfolg des Elterngelds zurückzudrehen. Das Elterngeld wurde eingeführt, um gerade Paare mit höherer Bildung und höherem Einkommen zu motivieren, mehr Kinder zu bekommen.“ Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich: Worum es den Ökonomen geht, ist also die selektive staatliche Beeinflussung der Bevölkerungsentwicklung.

Eugenik auf Samtpfoten

Als Thilo Sarrazin in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ im Jahre 2010 ganz ähnlich argumentierte, löste das wüste Rassismus-Diskussionen aus. Sein Argument: Man benötige ungefähr zwei Kinder pro Frau, damit die Bevölkerung nicht schrumpfe. In den unteren sozialen Schichten liege die Geburtenrate aber meist deutlich höher als bei Akademikern und insgesamt nur bei 1,5 Kindern je Frau. Deutschland schrumpfe also und werde auf lange Frist außerdem immer blöder – ungefähr das war der Kern seiner These. Man könnte meinen, aktuelle Schulleistungsstudien würden diesen Trend bestätigen

Der damalige SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel holte in Die Zeit seinerzeit das ganz große Besteck raus. Sarrazin plädiere dafür, dass der Staat „in das Geburtenverhalten schichtenspezifisch“ eingreifen solle, erklärte er empört. „Hohe staatliche Gebärprämien“ für Akademikerinnen auszuloben hielt Gabriel schlicht für „Wahnsinn“, weil das in einer „Selektionsdebatte“ ende. Der Vorwurf der Eugenik auf Samtpfoten war damals jedenfalls nicht weit. 

Sozialdemokratischer Gedächtnisschwund

Was Gabriel vergessen hatte: Er selbst hatte im Jahre 2005 der Einführung des Elterngeldes als Bundestagsabgeordneter beherzt zugestimmt. Es sieht einkommensabhängige monatliche Lohnersatzleistungen von 300 bis 1.800 Euro vor. Nur nebenbei erwähnt: Bis heute wurden diese Sätze nicht um einen einzigen Cent angehoben, in Wahrheit also seit 18 Jahren real gekürzt.

Mit der Zustimmung zum Gesetz hatte sich Gabriel freilich auch dessen Begründung angeschlossen. Und zu genau dieser erklärte Ex-Bundesfamilienministerin Renate Schmidt (SPD) in einem Vortrag vor der Volkshochschule Pforzheim ganz ungeniert:

„Das Fatale ist, dass die Zahl der Kinder abnimmt je höher der Bildungsstand ist, und dass die Kinderlosigkeit bei Akademikerinnen signifikant höher ist als bei Nichtakademikerinnen. Das heißt, in so genannten bildungsnahen Gesellschaftsgruppen gibt es immer weniger Kinder, in bildungsfernen mehr. Dies hat natürlich auf den Bildungsstand der Gesamtbevölkerung, wenn wir nicht die Kinder aus bildungsfernen Schichten deutlich besser fördern, erhebliche Auswirkungen.“

Noch fünf Jahre vor Sarrazin war die SPD daher eigentlich voll und ganz auf Sarrazin-Kurs. Ab dem Jahr 2010 wollte sie sich das aber nicht mehr eingestehen. Der sozialdemokratische Gedächtnisschwund setzte ein. Vermutlich wird auch deshalb der Mahnruf der Ökonomen letztlich ungehört verhallen, obwohl er rational ist.

Selbstverständlich hängt das Wohlstandsniveau einer Gesellschaft auch davon ab, ob es ausreichend Arbeitskräfte gibt und wie gut diese am Ende qualifiziert sind. Aber mit der über Jahre hinweg betriebenen, weit über das Ziel hinaus schießenden sozialen Hinrichtung Thilo Sarrazins hat sich die politische Klasse in dieser Hinsicht selbst die Möglichkeit genommen, ohne Reputationsverlust wissenschaftsbasierte Politik zu betreiben.

20 Milliarden Euro mehr in der Kasse

Und noch aus einem anderen Grund dürfte die Intervention der Wirtschaftsweisen folgenlos bleiben. Statt der Kappung des Elterngeldes für Besserverdienende plädieren sie dafür, mit der Abschaffung des Ehegattensplittings das ganz große politische Rad zu drehen. Vom Splittingverfahren profitieren derzeit vor allem Alleinverdiener-Ehen, bei denen der eine Ehepartner gar nichts und der andere, meist männlichen Geschlechts, mehrere 100.000 Euro im Jahr verdient. In diesen Fällen kann die Steuerersparnis einem zusätzlichen Netto-Einkommen von rund 1.000 Euro monatlich entsprechen.

Für die Wirtschaftsweisen ist das aber ein Anreiz vor allem für Frauen, ihre Arbeitskraft nicht auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Hinzu käme, dass die geringere Erwerbsneigung der Frauen auch gleichstellungspolitisch problematisch wäre. Die Abschaffung des Ehegattensplittings soll also sowohl etwas gegen den Fachkräftemangel als auch für die Gleichstellung tun. Ungefähr 20 Milliarden Euro zusätzlich soll die Maßnahme in die staatlichen Kassen spülen.

Familien- statt Ehegattensplitting

Und genau deshalb wird sie auch nicht kommen: Mit der FDP, so beteuert diese immer wieder, wird es keine Steuererhöhungen geben. Auch die Union dürfte sich dagegen zur Wehr setzen, das Ehegattensplitting ersatzlos zu streichen. Etwas anders wäre die Lage möglicherweise gewesen, wenn die Wirtschaftsweisen ihren Vorschlag zur Abschaffung des Ehegattensplittings mit dessen aufkommensneutraler Umwandlung in ein Familiensplitting verbunden hätten.

Soll heißen: Die „eingesparten“ 20 Milliarden Euro könnten 1:1 als Steuervorteil an Familien mit Kindern zurückgegeben werden – ein gewisser Teil davon sogar für die längst überfällige Dynamisierung des Elterngeldes. Dann wäre nicht der Eindruck entstanden, die Abschaffung des Ehegattensplittings solle nur dazu dienen, die Staatskassen weiter zu füllen. Ein Familiensplitting könnte dabei vielleicht sogar einen wirksamen Beitrag dazu leisten, dass wieder mehr Kinder zur Welt gebracht werden. In Verbindung mit einer Dynamisierung des Elterngeldes sogar in Akademikerkreisen. Aber das wäre dann ja gezielte Bevölkerungspolitik. 

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