Wesselmann gewinnt immer

Ein kleiner Familienbetrieb in einem Bochumer Gewerbegebiet hilft den Parteien seit vierzig Jahren bei der Wahlkampfwerbung. Ein millionenschwerer Markt, kaum Wettbewerb – doch die Kunden sind zufrieden.

Bochum-Wattenscheid, Gewerbegebiet West. Im Lohrheidestadion spielt Wattenscheid 09 inzwischen in der dritten Liga. Doch um die Ecke spielt ein unscheinbarer Familienbetrieb in der politischen Bundesliga, und das seit vielen Jahren: die Wahlkampfwerbung Wesselmann GmbH. Der Firmenname ist inzwischen ein Gattungsbegriff – wie bei Tempo, Uhu und Aspirin spricht die Politik von „Wesselmännern“, wenn es um die Großflächen-Plakatwände geht, die in der heißen Phase des Wahlkampfs überall in Deutschland auftauchen, meist an gut frequentierten Orten. Dort werden die wetterfesten Sperrholzplatten mit Stahlrohrrahmen im Boden verankert, denn im Wahlkampf sollen die Wesselmänner auch Windstärke zwölf aushalten. Einknicken oder umfallen können die abgebildeten Parteien dann später. Wenn der Wahlkampf anfängt, hat Wesselmann schon gewonnen. Denn die kleine Firma verfolgt ein einfaches Geschäftsprinzip: die größtmögliche Koalition. Man arbeitet für jede Partei, die es will und sich leisten kann – vor allem für SPD, CDU und FDP bei den großen Wahlen zum Bundestag, den Landtagen bis hin zu Kommunalwahlen, wenn sie strategisch wichtig sind wie 2004 in Nordrhein-Westfalen. Für Wesselmann sind nicht nur alle Politiker gleich, sondern vor allem gleich groß: 356 mal 252 Zentimeter messen die Plakate, die aus achtzehn einzelnen Bögen auf den Großflächenwänden zügig und zentimetergenau zusammengeklebt werden müssen. Kein Job für Anfänger, Wesselmann klebt in nur einer Woche einmal durch die Republik. Dabei liefern die Parteien die Plakate, den Rest macht die Firma: Aufstellen, mehrmals umkleben, Abbau und Entsorgung – und das für über 20000 Stellwände. Wesselmann kann über rund 120 Außenstellen bis zu 600 Mitarbeiter mobilisieren, die als politische Wanderarbeiter zu Wahlkampfzeiten im Dauereinsatz sind. Ein Saisongeschäft wie Weihnachtsbäume oder Schneeräumung, nur weitaus lukrativer: rund 500 Euro kostet eine Wesselmann-Stellfläche pro Wahlkampf, dessen Kosten den Parteien erstattet werden. Diese suchen zwar immer mal wieder nach Alternativen, schaffen auch eigene Stellwände an – doch seit Firmengründer Hans-Bernd Wesselmann 1961 mit Wahlwerbung begann, hat er seinen Nischenmarkt erfolgreich ausgebaut und verteidigt. Sein Sohn Michael arbeitet schon lange mit, genauso wie Geschäftsführer Hans-Dirk Bobzien, der als Wahlkampf-Marketender in den politischen Heerlagern bestens bekannt ist. Man sorgt auch für Interessenausgleich, wenn es zwischen den Parteien mal Streit gibt, etwa bei der Frage, ob nun Schröder oder Merkel auf die Verkehrsinsel kommt. Dann schlichtet Firma Wesselmann den Konflikt, und sei es, indem man irgendwie noch Platz für eine weitere Plakatwand schafft. „Schlitzohrig, aber super zuverlässig“, heißt es unisono aus den Parteien, „die können mit jedem, und wir können nicht ohne sie.“ Denn auch in Zeiten des Internets ist das Wahlplakat eines der effektivsten Mittel im Kampf um die Wähler. Wenn sie gut gemacht sind, fallen sie durch ihre extreme Reduzierung besonders auf, und die besten brauchen kein einziges Wort: 1994 zeigte ein CDU-Plakat nur den Kopf von Helmut Kohl inmitten einer Menschenmenge. Für einen SPD-Wahlkampfmanager sind die Wesselmann-Stellflächen denn auch „die Kanonen unter den Wahlkampfmitteln. Die bringen die Reichweite, wie die Artillerie“. Und Wesselmann kennt die besten Plätze für die Plakatständer von Flensburg bis Passau, auch auf dem flachen Land, wo die festen Plakatwände der Städtewerbung und Eisenbahnreklame nicht stehen. Doch selbst wenn: „Ein einzelnes Wesselmann-Plakat an der Ausfallstraße hat mehr Wahrnehmung als auf dem Supermarktparkplatz“, so ein FDP-Wahlkämpfer. Aber wie wird geregelt, welche Partei zum Zug kommt? Ganz praktisch und unpolitisch gilt der Markt: wer mehr will, bekommt mehr und bezahlt das auch. Angebot, Nachfrage und Preis – mitten im hochpolitischen Wahlkampf sorgt ein privatwirtschaftliches Unternehmen dafür, dass hinter den Kulissen alles läuft. Nur gegen politisch motivierte Gewalt ist die Firma genauso hilflos wie die Politik: Aus Wut auf die großen Köpfe quer durch die abgebildeten Parteien wird mitunter ein Fünftel der Plakatwände schwer beschädigt oder sogar zerstört. Zwischen den Wahlen werden die Plakatständer daher auf Vordermann gebracht und eingelagert. Dann heißt es vielfältige Kontakte pflegen, denn nach der Wahl ist vor der Wahl. Am Wahlabend haben viele Menschen ganz eigene Hoffnungen, doch die Mitarbeiter von Wesselmann wünschen sich nur eins: viel Regen. Der hilft, die Regierung und die Oppositionsparteien zugleich abzulösen, zumindest bei den mehrfach aufeinander geklebten Plakatschichten. Hunderte von Altpapiercontainern sind für die Entsorgung im Einsatz, deren Inhalt wird dann geschreddert, kompostiert oder verbrannt. Recycling? Keine Chance, das speziell beschichtete Papier ist noch schwerer aufzulösen als der Bundestag. Damit sind die großen Parolen auf den Plakaten schon wenige Tage nach der Wahl leider zu nichts mehr zu gebrauchen. Alexander Ross ist Journalist und Buchautor. Zuletzt erschien von ihm (mit Reiner Neumann) „Der perfekte Auftritt“ (Murmann Verlag)

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.