Weltwirtschaft - Warum die meisten Staaten ein neues Geschäftsmodell brauchen

Inflation, unterbrochene Lieferketten, Ukrainekrieg, Energieknappheit: Die Weltwirtschaft steht vor enormen Problemen. Noch dazu wird ein Teil der Globalisierung der vergangenen 40 Jahre rückabgewickelt. Auf die globale Wirtschaftsordnung kommen erhebliche Veränderungen zu. Fast alle Regierungen müssen jetzt damit beginnen, ihre Wirtschaftsmodelle zu überdenken.

Containerverladung in der chinesischen Hafenstadt Quingdao / picture alliance
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Autoreninfo

Antonia Colibasanu ist Analystin bei Geopolitical Futures und Dozentin an der rumänischen National Defence University mit Sitz in Bukarest.

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Werfen wir einen Blick auf die Weltwirtschaft. Die Welt hat mit der Inflation zu kämpfen, auch wenn sie weiterhin unterbrochene Lieferketten flicken muss. Der japanische Yen, die indische Rupie, der chinesische Yuan und der Euro sind gegenüber dem Dollar gefallen – was Erwartungen bestätigt hat, dass die US-Notenbank in dieser Woche die Zinssätze erneut angeheben würde.

Die Energiepreise sind besonders besorgniserregend. Seit die Corona-Pandemie die Verbrauchsgewohnheiten grundlegend verändert hat, befinden sich die Benzinpreise in einem Aufwärtstrend, doch der russische Einmarsch in der Ukraine und die darauf folgenden Sanktionen haben die Preise weiter in die Höhe getrieben. Die europäische Wirtschaft ist in besonderem Maße von russischer Energie abhängig. Erdgasimporte sorgen dafür, dass die Wohnungen geheizt werden und die Industrie brummt.

 

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Je länger der Ukraine-Krieg andauert, desto unbeständiger wird das Energieumfeld in Europa sein. Dies hat viele europäische Staaten dazu veranlasst, sich nach anderen Lieferanten umzusehen – was neue Möglichkeiten für ölreiche Staaten schaffen könnte, die nach Investitionen in ihrem Energiesektor suchen. In der Zwischenzeit haben westliche Sanktionen gegen Russland die dortigen Produzenten am Zugang zu bestimmten Technologien gehindert, um Energieressourcen in Gebieten wie Westsibirien zu fördern und die geförderten Produkte zu raffinieren.

Im Moment beliefert Russland die meisten seiner Kunden, aber mit den Folgen des Krieges und der Sanktionen wird seine diesbezügliche Fähigkeit wahrscheinlich abnehmen. Weniger russisches Öl und Gas auf dem Weltmarkt würde sowohl Russland als auch der Weltwirtschaft schaden. Unzureichende weltweite Investitionen in Projekte in den letzten Jahren haben das Problem nur noch verschärft.

Der Dollar gewinnt an Stärke

Unterdessen gewinnt der Dollar, mit dem der Großteil der Welt Öl kauft, auf den globalen Finanzmärkten an Stärke. Die risikoscheuen Investoren sind weniger daran interessiert, auf potenziell lohnende Projekte zu setzen, sondern investieren lieber in verlässliche, wenn auch wenig ertragreiche Möglichkeiten. Das bedeutet, dass weniger Geld in neue Technologien und stattdessen mehr in Konsumgüter fließt. Das bedeutet auch, dass weniger Geld in die sich entwickelnden Volkswirtschaften fließt, von denen die USA die sichersten sind – daher ist der Wert des Dollars im Vergleich zu den meisten Weltwährungen seit Jahresbeginn um mehr als 10 Prozent gestiegen.

Dies geschieht zu einem Zeitpunkt, an dem das Finanzsystem bereits unter Druck stand. Das Ausscheiden der Babyboomer aus dem Erwerbsleben hat schon zu einer umfassenden Umstrukturierung geführt, bei der es zu einer deutlichen Verlagerung vom Sparen zum Konsum von Freizeitgütern und Gesundheitsdienstleistungen gekommen ist. Dieser Übergang wird dazu führen, dass die Gesamtausgaben für hochtechnologische, innovative Sektoren, die das Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren angetrieben haben, sinken.

Gleichzeitig führte die Pandemie zu Massenumsiedlungen in den Industrieländern, was den Druck auf den globalen Kreditmarkt erhöhte. Dies gilt nicht nur für die Babyboomer, sondern auch für deren Kinder, die Millennials, die in den meisten Industrieländern die zweitgrößte Generation darstellen. Während die Boomer nach billigerem Wohnraum in wärmeren Klimazonen suchen, wollen die Millennials erschwingliche Einfamilienhäuser, um Familien zu gründen. Dies führt zu einem Nachfragedruck auf den Kreditmärkten und darüber hinaus. Die Nachfrage nach Dollar wird immer größer.

Auch der Handel verändert sich erheblich

Auch im Handel ist eine erhebliche Verlagerung im Gange. Die Pandemie hat die negativen Auswirkungen der Interdependenz deutlich gemacht. In den meisten Ländern kam es zu Lieferkettenproblemen bei lebenswichtigen Gütern wie Arzneimitteln oder zu vorübergehenden Unterbrechungen der Lebensmittelversorgung. Als Reaktion darauf suchen die meisten Länder nach Möglichkeiten, ihre Abhängigkeit von anderen Ländern zu verringern und ihre Produktionsketten intern besser zu integrieren. Kurz gesagt, der Protektionismus hat zugenommen.

Die USA sind da keine Ausnahme. Die Präsidenten Donald Trump und Joe Biden folgten demselben Drehbuch in Sachen Handel und machten die Unterstützung der amerikanischen Produktion zu einer Priorität. Der Krieg in der Ukraine untermauert die Argumente für den Protektionismus zusätzlich, da er noch mehr Schwachstellen aufdeckt.

In dieser Woche hat der US-Kongress dem „Ocean Shipping Reform Act 2022“ zugestimmt, die größte Überarbeitung der Schifffahrtsvorschriften seit 1998. Angesichts des Wunsches der Regierung, die US-Exporte zu fördern und gleichzeitig die Marktmacht der Seeverkehrsunternehmen einzuschränken, werden durch den Gesetzentwurf die Regulierungsbefugnisse der Federal Maritime Commission ausgeweitet und ein rechtlicher Rahmen für die Bildung von Schiffsallianzen geschaffen. Ziel ist es, die Hauptkontrollmacht der USA in der Seeschifffahrt zu sichern.

Zugleich kehrt sich ein jahrzehntelanger Trend um. Seit den 1980er Jahren haben die Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagert und globale Lieferketten aufgebaut. Doch als Reaktion auf die Pandemie und den Ukrainekrieg, die die Wahrnehmung der Kosten (Widerstandsfähigkeit) und Vorteile (Effizienz) der Globalisierung beeinträchtigten, haben die Unternehmen begonnen, über Reshoring oder „Friendshoring“ zu diskutieren.

Reshoring bedeutet, dass Unternehmen ihre Lieferketten innerhalb ihrer Landesgrenzen verlagern, was nur in Ländern wie den USA möglich ist, wo es eine ausreichende Ressourcenvielfalt gibt, um die meisten Bedürfnisse zu decken, wenn auch zu höheren Preisen. Friendshoring – die Verlagerung der Produktion in nahe gelegene befreundete Länder – ist wahrscheinlicher, da es immer noch kürzere Lieferketten verspricht.

Folgen der Pandemie

Alle diese Anpassungsstrategien der Unternehmen sind mit Kosten und neuen Investitionen verbunden. Sie alle werden Druck auf die Regierungen ausüben, sich ebenfalls anzupassen und die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um ihre Interessen zu schützen. Dies ist einer der Gründe, warum die USA das Schifffahrtsgesetz überarbeiten. Aus diesem Grund bemühen sich so ziemlich alle Industriestaaten um die Sicherung der Versorgung mit Lebensmitteln, wichtigen Rohstoffen und Mikrochips.

Vor allem aber bedeutet dies, dass ein Teil der Globalisierung der vorigen vier Jahrzehnte zurückgeschraubt wird. Einige dieser Prozesse waren bereits im Gange, und die Pandemie hat viele andere beschleunigt. Der Krieg in der Ukraine verstärkt diesen Trend nur noch. Verwerfungen im Energie- und Finanzsektor sowie im Handel und bei den Investitionen werden die globale Wirtschaftsordnung verändern. Diese Veränderungen werden nicht über Nacht eintreten, und es ist unklar, welche Maßnahmen die Regierungen ergreifen werden.

All dies macht es jedoch umso dringlicher, dass die Staats- und Regierungschefs jetzt damit beginnen, ihre Wirtschaftsmodelle zu überdenken – was sich letztlich auf ihre Strategie und das globale geopolitische Modell auswirken wird.

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