Shell-Urteil - Der ökologische Tunnelblick

Der Ölkonzern Shell wurde in Den Haag dazu verurteilt, seinen CO2-Ausstoß bis 2030 gegenüber dem Jahr 2019 deutlich zu verringern. Geklagt hatten unter anderen die Umweltorganisation Milieudefensie. Es ist jedoch fraglich, wie sinnvoll diese Maßnahmen sind. Doch heute scheint allein die gute Sache alles zu rechtfertigen.

Ein Bezirksgericht in Den Haag verurteilt den Ölkonzern Shell / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Wir werden uns den 26. Mai 2021 merken müssen. Wenn nicht alles täuscht, wird er wegweisend werden. Für unseren Wohlstand. Für unser Rechtsverständnis. Vor allem aber für die Machtverhältnisse in unseren Gesellschaften. Denn am vergangen Mittwoch erging ein historisches Gerichtsurteil. Verkündet von einem Bezirksgericht in Den Haag. Das verurteilte den Ölkonzern Shell dazu, seinen CO2-Ausstoß bis 2030 um 45 Prozent gegenüber dem Jahr 2019 zu verringern.

Ein die Welt veränderndes Urteil

Gegen den Multi mit dem namengebenden Muschellogo geklagt hatten die Umweltorganisationen Milieudefensie und Greenpeace gemeinsam mit weiteren Gruppen und mehr als 17.000 Einzelunterstützern. Eher ungewöhnlich war schon die Klagebegründung. Denn anders als üblich zielten die Kläger nicht darauf ab, Schadenersatzforderungen für angebliche Umweltschäden geltend zu machen. Vielmehr wollte man Shell auf ein konkretes wirtschaftliches Handeln festlegen – und bekam Recht.

Möglich wurde dieses Urteil durch eine Eigenwilligkeit des niederländischen Rechts. Das erlaubt nämlich Verbandsklagen bezüglich der europäischen Menschrechtskonvention. Das klingt erst einmal begrüßenswert, eröffnet aber Ideologen jeder Couleur die Möglichkeit, Unternehmen, Verbände oder Vereine wegen allem möglichen zu verklagen.

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Roger Cox, der Anwalt der Umweltorganisation Milieudefensie, gab nach Abschluss des Verfahrens zu Protokoll, das erlassene Urteil werde die Welt verändern. Es steht zu befürchten, dass er damit nicht falsch liegt. Cox, das muss man wissen, ist nicht nur Anwalt der niederländischen Kanzlei Paulussen Advocaten, sondern auch Aktivist. In seinem Buch „Revolution Justified“ macht er klar, dass Regierungen und Märkte aus seiner Sicht unfähig seien, den Klimawandel zu bekämpfen. Deshalb käme der Justiz dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Selten wurde offener gesagt, dass man zur Durchsetzung politischer Ziele nicht auf demokratische Verfahren setzt, sondern auf opportune Richter.

Ergebnis gleich null

Tatsächlich ist bemerkenswert, mit welcher Nonchalance Gerichte das Recht auf Eigentum, unternehmerische Selbstbestimmung und Autarkie wegwischen. Die gute Sache scheint alles zu rechtfertigen. Wie sinnvoll die Maßnahmen sind, wird schon gar nicht mehr gefragt. Es regiert der ökologische und ökonomische Tunnelblick. Hauptsache, man spielt ein wenig Weltrettung.

Denn dadurch, dass man Shell und gleich auch noch Exxon, BP und Chevron zur Reduktion ihres CO2-Austoßes verpflichtet, bewirkt man wenig. Selbst wenn man parallel dazu auch noch VW, Mercedes und BMW die Fertigung von Verbrennungsmotoren untersagte, wäre das Ergebnis gleich null. Allenfalls würde Europa weiter deindustrialisiert und vom Produzenten endgültig zum Konsumenten. Gefertigt und fossile Energieträger verbraucht würde dann in Fernost. Die Ökobilanz dürfte dadurch nicht besser werden.

Erlösung durch Selbstgeißelung

Eine wirklich grundlegende und einschneidende Reduktion der CO2-Produktion (wir gehen jetzt um des Arguments willen von Sinn und Notwendigkeit dieser Maßnahmen aus) wird nicht durch die Verlagerung der Emissionen zu haben sein, sondern durch erhebliche Einschnitte in unseren Wohlstand. Alles andere ist Augenwischerei. Das vergessen aber nicht nur die Grünen, sondern auch jene Aktivisten, die westliche Konzerne einem ruinösen Dekarbonisierungszwang aussetzen. Doch indem wir uns schaden, nützen wir niemand.

Aber genau dieser neurotische Gedanke scheint viele Umweltaktivisten zumindest unbewusst anzutreiben. Unübersehbar ist dabei der religiöse Unterton: Erlösung durch Selbstgeißelung. Doch durch Selbstgeißelung wird niemand erlöst. Allenfalls handelt es sich um eine Ersatzhandlung.

Dem Trend entgegentreten

Die Realität ist aber viel unangenehmer: Wenn nur eine umfassende Reduktion von CO2 die Klimaerwärmung stoppt, dann wird das mit alternativen Energien nicht zu machen sein, sondern nur mit einem umfassenden Wohlstandsrückbau des globalen Nordens. Mit allen sozialen Konsequenzen. Unser Leben mit seinen alltäglichen Konsumgewohnheiten wäre vorbei. Diese Botschaft ist allerdings nicht halb so erbaulich wie die quasireligiöse Hetzjagd auf alles, was nach „Multi“ klingt. Für solche symbolischen Handlungen ist man ganz offensichtlich bereit, die Demokratie sukzessive in ein Judikat zu überführen, einer Herrschaft der Richter. Es wäre an der Zeit, dass der Gesetzgeber diesem Trend entgegentritt.

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