Mythos Mittelstand - Neue Stimme

Als IT-Pionier im Gesundheitswesen schuf Frank Gotthardt einen Milliardenkonzern. Jetzt baut er mit dem Boulevardjournalisten Julian Reichelt ein Medienunternehmen auf.

Vom IT-Entwickler zum Medienunternehmer: Frank Gotthardt / Rudolf Wichert
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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In der Koblenzer Poststraße fing 1979 alles an. Frank Gotthardts Tante hatte dort eine zahnmedizinische Großhandlung und überließ ihrem Neffen eine Ecke eines Lagerraums im Erdgeschoss. Gotthardt, Informatikstudent mit Unternehmergeist, nahm einen Bankkredit auf und kaufte für 130 000 D-Mark seinen ersten Computer. Darauf programmierte er Software für Wurstfabriken

Aus dem Ein-Mann-Unternehmen ist ein Konzern mit mehr als 9000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von zuletzt 1,13 Milliarden Euro geworden. Die Compugroup Medical hat allerdings nicht mehr die Fleischwarenindustrie als Kundschaft, sondern Arztpraxen, Kliniken, Apotheken und medizinische Labore weltweit. Sie ist in vielen Ländern Marktführer für IT-Systeme in Gesundheitseinrichtungen.

Ein offenes Geheimnis

Trotz des Erfolgs ist Gotthardt ein bodenständiger, in Koblenz fest verwurzelter Unternehmer geblieben. 2020 hat er sich mit damals 69 Jahren offiziell aus der Geschäftsführung zurückgezogen und den Vorsitz des Verwaltungsrats übernommen. Doch sein Nachfolger Dirk Wössner, der aus dem Vorstand der Deutschen Telekom kam, blieb nicht lange. Gotthardt entschied sich daraufhin für eine interne Lösung und kürte diesen Mai seinen bisherigen Finanzdirektor zum neuen CEO.

Sein Rückzug aus dem operativen Geschäft war nie als Einstieg in den Ruhestand gedacht. Im Gegenteil. In einem Interview mit der Koblenzer Rhein-Zeitung antwortete Gotthardt damals auf die Frage, ob er fortan mehr Zeit für seine Oldtimer-Sammlung habe: „Mir macht es Spaß, was zu unternehmen, was zu entwickeln, was zu bauen und das ans Leben zu bringen und zu sehen, dass sich das nachher selbst entwickeln kann.“ Das bedeutete: Nach der Compugroup Medical, die weiterhin auf starkem Wachstumskurs ist, will Gotthardt noch etwas Neues erschaffen. Und inzwischen ist klar, was es ist.

Offiziell redet der Digitalpionier nicht über sein nächstes Projekt. Gotthardt lehnte mehrere Gesprächsanfragen von Cicero dazu ab. Doch ein Geheimnis ist es längst nicht mehr. Er baut gemeinsam mit Julian Reichelt, dem Ex-Chefredakteur der Bild-Zeitung, ein Medien­unternehmen auf.

Viel Geld fürs neue Medium

Mit Bissigen Youtube-Videos legte Reichelt nach seinem Rausschmiss beim Axel-Springer-Konzern los. Er wetterte darin im scharfen Ton gegen die Ampelkoalition, vor allem gegen die Grünen. Das brachte Aufmerksamkeit und hohe Klickzahlen. Inzwischen ist das Angebot deutlich breiter. Für Nius, so der Name der neuen Medienmarke, arbeiten renommierte Journalisten wie der frühere Bild-Bundestagsreporter Ralf Schuler und künftig auch Focus-Kolumnist Jan Fleischhauer.

Zudem gelang es Reichelt und Gotthardt, eine Reihe talentierter, jüngerer Journalisten anzulocken, denen die etablierten Medien zu regierungskonform sind. Geholfen hat dabei, dass das von Gotthardt finanziell bestens ausgestattete Medien-Start-up Gehälter zahlt, die deutlich über dem liegen, was in der vom digitalen Wandel gebeutelten Branche ansonsten üblich ist. 

Nius will „Die Stimme der Mehrheit“ sein

Ist Frank Gotthardt ein Mäzen? Steckt er Millionen in ein journalistisches Projekt, weil er die Meinungsvielfalt in Deutschland stärken und politisch etwas verändern will, ohne dass sich dieses Projekt finanziell selbst tragen muss?

Nein, heißt es aus Gotthardts Umfeld. Wer ihn kennt, wüsste, dass er mit all seinen Unternehmungen irgendwann Geld verdienen wolle. Geplant sei, durch Werbung und Digitalabos Einnahmen zu erzielen. Bisher sind die professionell produzierten Videos, von der Talkshow bis zur aufwendigen Dokumentation, und die eher hastig geschriebenen Online-Artikel noch frei zugänglich und kostenlos abrufbar.

 

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Das Unternehmen hinter Nius ist die Vius SE & Co. KGaA. Es hat seinen Sitz nicht in Koblenz, sondern in Berlin und aktuell etwa 30 Mitarbeiter, Tendenz steigend. Gotthardt hält knapp 80 Prozent der stimmberechtigten Aktien, Reichelt rund 14 Prozent. Damit ist klar, wer unternehmerisch das Sagen hat.

Noch nicht klar ist, wohin die Reise gehen wird – auch inhaltlich. Gotthardt, der Ehrenvorsitzender des CDU-Wirtschaftsrats in Rheinland-Pfalz ist, will wohl ein Gegengewicht zu den tonangebenden linksgrün dominierten Redaktionen schaffen. „Die Stimme der Mehrheit“ zu sein, lautet das Werbeversprechen.

 

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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