Geplantes Flüssiggas-Terminal auf Rügen - „Sassnitz könnte den Status als Kurort verlieren“

Die Bundesregierung will auf der Insel Rügen Terminals für den Import von Flüssigerdgas bauen. Wolfgang Kannengießer von der Bürgerinitiative „Lebenswertes Rügen“ argumentiert im Cicero-Interview, warum das dem Tourismus schadet, ökologisch verheerend und außerdem ökonomisch überflüssig ist.

Ein LNG-Shuttle-Tanker liegt vor der Küste der Insel Rügen. Solche Bilder wird es in Zukunft wohl häufiger geben / dpa
Anzeige

Autoreninfo

York Herder ist ausgebildeter Journalist und hospitiert derzeit bei Cicero.

So erreichen Sie York Herder:

Anzeige

Der Bundestag hat am vergangen Freitag über das LNG-Beschleunigungsgesetz entscheiden. Es ist geplant, zwei schwimmende Importterminals für Flüssigerdgas im Hafen Mukran auf der Insel Rügen einzurichten. Das Projekt ist umstritten, die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns lehnt das Vorhaben ab, und die Abgeordnete des Wahlkreises Vorpommern-Rügen – Vorpommern-Greifswald I, Anna Kassautzki (SPD), stimmte dagegen. Cicero sprach mit Wolfgang Kannengießer von der Bürgerinitiative „Lebenswertes Rügen“, die sich gegen die LNG-Terminals einsetzt. Wolfgang  Kannengießer stammt aus Sellin und ist Vorsitzender der Wählergemeinschaft Rügen. Als Vermieter von Ferienwohnungen ist er auf Rügen in der DEHOGA engagiert. Die Wählergemeinschaft hat sich der Bürgerinitiative „Lebenswertes Rügen“ angeschlossen.

Herr Kannengießer, was bedeutet der Beschluss des LNG-Beschleunigungsgesetzes für die Insel Rügen?

Es war ja damit zu rechnen. Ich war auch bei den letzten Versammlungen der Gemeindevertretung in Sassnitz und Binz dabei, und wenn dort die Firma ReGas oder Heiko Miraß, der Staatssekretär für Mecklenburg-Vorpommern, aufgetreten sind, hat sich gezeigt, dass das Projekt von der Bundesregierung durchgesetzt werden wird. Und dass eine Mehrheit in der Koalition zustandekommt, stand auch fest. Deswegen haben wir nichts anderes erwartet.

Sie befürchten Schäden an der Umwelt und Einbußen im Tourismus. Gibt es dafür Beispiele?

Ja, die gibt es. Zum Beispiel, was das Ökosystem der Ostsee betrifft. Dieses ist schon geschädigt. In der letzten Zeit wurden tote Robben angeschwemmt, aber auch andere Tiere wie Fische. Das hat sicher unterschiedlichste Ursachen. Aber wenn jetzt die Bagger einen sechs Meter breiten Graben durch die Ostsee ziehen, durch die Seegraswiesen, die es dort gibt, dann werden die Tiere, die dort leben, gestört, und es wird weiter zu Verlusten kommen. Auch all die anderen Dinge, die dort im Ökosystem in der Ostsee vorhanden sind, werden Schaden nehmen. Das haben viele Wissenschaftler gesagt. Es ist umso fragwürdiger, dass es durchgesetzt wird, weil ein großer Teil der Wissenschaftler sagt, es sei nicht notwendig, die LNG-Terminals zu bauen, weil die Gasmangellage nicht nachgewiesen ist.

Wolfgang Kannengießer /
DEHOGA

Und was ist mit dem Tourismus?

Wir haben mit dem Gesundheitstourismus ein wichtiges Standbein auf Rügen. Sassnitz, wo das Terminal hinkommen soll, ist ein anerkannter Kurort. Da besteht die Gefahr, dass der Ort diesen Status verliert. Auch nach Binz fahren viele Gesundheitstouristen, wie an der ganzen Küste. Da kann es sein, dass sich die Gäste, die dort eigentlich hinwollen, sagen: „Ja, wenn das dort so industrialisiert wird, dann lassen wir das. Es gibt genug andere Gegenden in Deutschland oder im Ausland, wo man Urlaub machen kann.“

Sie sehen die Notwendigkeit für die LNG-Terminals also nicht, obwohl auch andere Länder wie Polen an das Netz angeschlossen werden sollen?

In dieser Beschleunigung des Gesetzes steht nur drin, dass eine Gasmangellage für Deutschland nachgewiesen sein müsste. Dass wir im Rahmen des Solidarpakts der EU für Tschechien, die Slowakei oder Österreich verantwortlich sind, wurde alles nur nachgeschoben. Wissenschaftler und Experten wie Professor Christian von Hirschhausen haben nachgewiesen, dass dieser Mangel nicht besteht und auch 2023/24 nicht bestehen wird. Wenn dann aber der Bundeswirtschaftsminister bei Markus Lanz sagt, dass alles zusammenkommen könnte – also von einer Sprengung der Leitung aus Norwegen zu anderen Sabotageakten –, dass es deswegen notwendig ist, Überkapazitäten zu schaffen, das begreifen wir nicht. Auch die Pipeline von Rügen könnte sabotiert werden. Ich glaube, das begreift niemand. Und wenn man sich dann unsere Klimaziele anschaut, fehlt einem das Verständnis ganz. Bis 2030 sollte die Verbrennung von Gas auf ein Fünftel zurückgefahren werden. Jetzt kommt aber noch Fracking-Gas aus den USA dazu, bei dem die Verträge bis 2046 gehen. Wie soll das funktionieren?

 

Lesen Sie mehr zum Thema:

 

Fühlen Sie sich vom Bundeswirtschaftsministerium ernst genommen?

Wir waren in Schwerin und haben bei Frau Schwesig und dem Landeswirtschaftsminister Maier unsere Bedenken vorgebracht. Die Ministerpräsidentin hat auch im Bundesrat dargelegt, dass sie nicht dafür ist, dass dieses Terminal kommt. Aber auf der anderen Seite hat die Landesregierung gesagt, sie sei nicht zuständig. Das sei ein Bundesgesetz, und der Bund entscheidet. Aber der Bund sagt wiederum, dass das Land zuständig sei. Denn das Land muss dann beurteilen, ob alles geprüft wurde und nach Recht und Gesetzt abläuft. Mittlerweile zweifeln wir daran, dass das so ist. Denn in dem Beschleunigungsgesetz steht ja auch ein verkürztes Verfahren drin. Also die Einwirkung auf Natur und Umwelt muss nicht geprüft werden, das steht im Gesetz drin. Was uns am meisten hier Schaden bringen könnte im Bereich Ostsee, Natur und Umwelt, das wird nicht geprüft, so steht es im Gesetz.

Erwägen Sie eine Klage?

Die Bürgerinitiative selbst nicht. Aber die Ortschaft Binz wird auf jeden Fall klagen, das steht fest, und die Deutsche Umwelthilfe will auch klagen. Als betroffene Ortschaft hat Binz schon etwas vorbereitet, im Wissen, dass das Gesetz wahrscheinlich durchgesetzt wird.

Glauben Sie, dass sich die Arbeit, die Sie bis jetzt in die Initiative gesteckt haben, gelohnt hat?

Also, wenn man das Ergebnis jetzt erst mal sieht, könnte man das in Zweifel ziehen. Aber es hat sich schon deshalb gelohnt, weil dadurch viele Menschen für ökologische Probleme auf Rügen sensibler geworden sind. Und es hat sich ein großer Kreis von Menschen zusammengeschlossen, mit dem wir weiterarbeiten werden. Zudem ist die Sache noch nicht zu Ende. Wenn die Klagen eingereicht werden, muss es weitergehen. Wir werden weiter protestieren und unsere Meinung äußern. Das werden wir auf jeden Fall weiterführen.

Das Gespräch führte York Herder.

Anzeige