Konservative Kapitalismuskritik

Konservative Intellektuelle in den USA betreiben inzwischen schärferes Capitalism Bashing als die Linken. Einer ihrer profiliertesten Exponenten warnt: Kapitalismus und Demokratie sind nicht deckungsgleich.

Beginnen wir mit einer schlichten Prämisse: Demokratie und Marktwirtschaft sind nicht das Gleiche. Schlimmer noch: Die Versuche, diese beiden Phänomene miteinander zu vermengen und am Ende gleichzusetzen, bilden seit einiger Zeit einen destruktiven Aspekt der amerikanischen Politik: Rückschritte in der Demokratie sind zeitgleich von einem Aufschwung der Märkte begleitet. Die Vorstellung, dass sich heute die Märkte von Regierungsgewalt beherrschen ließen, entbehrt der Grundlage. Die größten US-Präsidenten George Washington, Thomas Jefferson, Abraham Lincoln, Theodore und Franklin D. Roosevelt wären vermutlich über diese Entwicklung entsetzt gewesen. Denn eines war Ihnen immer klar: Die demokratische Bürgergesellschaft verträgt keine Aristokratien – auch keine pekuniären. Gerdae unser Staatserhaltungstrieb, unser konservatives Wertegefühl sollten sich daher gegen die Anmaßungen der neuen Geldelite wehren. Reichtum war stets ein Produkt von beidem: von Markt und Politik. Dass Reichtum zumindest zum Teil immer wieder neu verteilt wird, ist unausweichlich, sei es gewaltsam oder friedlich. Daher besteht fast zwangsläufig ein Spannungsverhältnis zwischen dem Lobpreis des Reichtums, der die Konzentration von politischer Macht begünstigt, und der Demokratie, der es um Verteilung von Macht geht. In den Vereinigten Staaten ist es mit Hilfe schwacher Politiker auf der einen Seite und der Überzeugungskraft der Marktvergötterung und des Sozialdarwinismus auf der andern Seite zu einer enormen Reichtumskonzentration gekommen. Zum Glück aber scheinen Gesellschaften ihren eigenen Rhythmus zu haben, ihren eigenen Zyklus von Aufstieg und Fall, wie dies Arnold Toynbee und andere Historiker erkannt haben. Die Politik in den USA war immer zyklischer als in andern Ländern. Historiker haben die unausweichlichen Spannungen zwischen den Werten der Kapitalisierung einerseits – Eigentum, Gewinne und Märkte – und andererseits der zentralen Rolle von Gleichheit, Brüderlichkeit, gesellschaftlicher Verantwortung und Gemeinwohl in der Demokratie betont. Zwar versucht keine Seite offen die andere aus der Welt zu schaffen – weder das Kapital die Demokratie noch die Demokratie das Kapital –, aber diejenigen, welche die demokratischen Werte vertreten, halten am wenigsten von den kapitalistischen Grundsätzen und umgekehrt. Kapitalismus und Demokratie überlappen und verbünden sich zwar gerne, müssen jedoch immer auseinander gehalten werden. Sie lassen sich nicht vermengen. Der demokratische Bewerber bei den Präsidentenwahlen 2000, der Millionär und Senator Bill Bradley, hat sich besorgt darüber geäußert, dass die Unfähigkeit, die amerikanische Politik vom Geld zu befreien, aus dieser Vermengung resultiere. Es fehle das Verständnis dafür, dass „Demokratie und Kapitalismus zwei getrennte Teile des amerikanischen Traums sind und dass es, um diesen Traum lebendig zu halten, darauf ankommt, dass nicht das eine das andere korrumpiert“. Dass dieses Verständnis heute fehlt, ist zu einem Gutteil so gewollt: Über zwei Jahrzehnte der Vergöttlichung privaten Interesses hinweg war man fortgesetzt und mit großzügiger finanzieller Unterstützung darum bemüht, die alten republikanischen Tugenden der Gründerväter – Bürgersinn, moralische Wertoreintierung und politisches Engagement – durch das ökonomische Eigeninteresse zu ersetzen. Konservative Politiker, Bankiers und Journalisten priesen die Märkte als ökonomische Wahlmaschinen und die Unternehmen als die demokratisch Auserwählten des freien Marktes. Derartige Chorgesänge schwollen als eine Art ökonomischer Versionvon Händels „Messias“ in den neunziger Jahren an. Der Markt und die Menschen sind ein und dasselbe. Hallelujah. Kaufen, Verkaufen und Konsumieren sind wahre Demokratie. Hallelujah. Der Wille des Volkes findet seinen Ausdruck im ehernen Gesetz von Angebot und Nachfrage. Hallelujah. Populismus ist Marktwirtschaft. Hallelujah. Die Nationen und die Völker mögen frohlocken. Hallelujah, Halleluhja. In einem solchen Klima griff das Insistieren in den freien Markt auch auf das repräsentative Regierungssystem über. Letztlich aber scheinen die Verfechter einer allein nach Marktprinzipien funktionierenden Gesellschaft nicht über die Formel hinauszukommen: Eine Politik, die den Markt befördert, ist gut und effizient, einfach, weil sie den Markt befördert. Die schlichte Logik eines Vermischens von Markt und Politik bedeutet daher: Ungleichheit ist das natürliche Gesetz eines vom Geld bestimmten Marktes. Wenn der Kern der Demokratie darin besteht, zu kaufen, zu verkaufen, zu besitzen oder zu konsumieren, ist die Abhängigkeit der Politik von privaten Geldzuwendungen die logische Folge. Da das Kaufen die entscheidende Handlung auf dem Markt ist, nehmen Wirtschaft und Reichtum eine privilegierte Stellung in der Politik ein. Demokratische Politik sollte aber vielmehr den Rahmen liefern, innerhalb dessen gewöhnliche Menschen – deren entscheidende Handlung ja das Wählen, nicht das Kaufen ist – das Machtungleichgewicht des organisierten Geldes wieder ausgleichen. Blenden wir zurück: auf die Analogie zwischen dem heutigen Marktdarwinismus und dem Sozialdarwinismus des „Vergoldeten Zeitalters“ an der Schwelle zum 20. Jahrhundert. Damals kam Theodore Roosevelt zu der Einschätzung: „Es gibt absolut nichts, was sich von einer Plutokratie zugunsten der Regierung vorbringen ließe, von Männern, die in bestimmter Hinsicht sehr mächtig und mit einem ‚money touch‘ gesegnet sind, aber über Ideale verfügen, die sich in ihrem Kern nicht von denen besserer Pfandleiher unterscheiden.“ Ob die Amerikaner des 21. Jahrhunderts die Politik wiederbeleben, die Plutokratie matt setzen und die Theorie des Marktes auf die Wirtschaft beschränken können, hängt davon ab, wie erfolgreich sich die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Demokratie und Kapitalismus wieder ins Bewusstsein rücken lässt. Es geht darum, Märkte wieder als Bestandteil und nicht als entscheidendes Kriterium von Demokratie und repräsentatvier Regierung zu sehen. Kevin Phillips gehört zu den profiliertesten konservativen Intellektuellen der USA. Er schrieb u.a. „Die amerikanische Geldaristokratie“ (Campus) und eine Bush-Biografie

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