Industriestrompreis - Schöne neue Energiewelt

Wann immer politisch als richtig Erachtetes ökonomisches Unheil anrichtet, sollen Subventionen helfen. Der von Habeck forcierte Brückenstrompreis ist nun eine Einladung, an die Fleischtöpfe des Staates zu drängen - und keine taugliche Strategie.

Ein Werftarbeiter überwacht Brennschnitt-Arbeiten an einem Schiffsmodul auf der Neptun-Werft in Warnemünde / dpa
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Peter Christ ist Diplom-Volkswirt und Journalist. Er war unter anderem Ressortleiter Wirtschaft bei der Die Zeit sowie Chefredakteur beim Manager Magazin und der Stuttgarter Zeitung.

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Was politisch richtig ist, kann ökonomisch nicht falsch sein. Von diesem Glaubenssatz lassen sich gern Politiker leiten, die Helmut Schmidt wegen Visionen am liebsten zum Arzt geschickt hätte. Eine hochindustrialisierte Volkswirtschaft innerhalb weniger Jahre so umzubauen, dass sie ausschließlich aus Wind und Sonne erzeugten Strom verbraucht und dabei keinen Schaden nimmt, ist eine Vision. Der Altkanzler kann sich dazu nicht mehr äußern. Er verpasst das Rendezvous von Vision und Realität, das sich gerade in Deutschland zuträgt. 

Fangen wir mit der Realität an. Ökonomisch betrachtet ist sie ziemlich trist. Wegen der im internationalen Vergleich horrenden deutschen Strompreise für energieintensive Firmen aus Branchen wie Chemie-, Metall-, Zement- oder Papierindustrie investieren diese gar nicht mehr oder vorzugsweise im billigeren Ausland.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck beteuert, dass er das allergrößte Interesse daran habe, die großen Stromverbraucher im Lande zu halten. Deshalb hat er schon im Mai ein Konzept präsentiert, wie er das hinbekommen will, und zwar mit einem beliebten Mittel, wann immer politisch als richtig Erachtetes ökonomisches Unheil anrichtet: mit Subventionen. Was vor allem der Klimaminister Habeck und Gleichgesinnte angerichtet haben (hohe Strompreise), will der Wirtschaftsminister Habeck jetzt ausbügeln. 

Der private Verbraucher erblasst vor Neid

Das Wundermittel heißt je nach Grad der Beschönigung „Industriestrompreis“, „Brückenstrompreis“ oder „Transformationsstrompreis“; den letzten Begriff hat sich die SPD einfallen lassen. All diese Wortungetüme meinen dasselbe: Die großen Stromverbraucher aus der Industrie sollen laut Habeck nicht mehr als 6 Cent je Kilowattstunde (Kwh) zahlen. Die Bundestagsfraktion der SPD ist noch spendabler und hält 5 Cent für angemessen.

Der private Normalstromverbraucher erblasst vor Neid, wenn er diese Zahlen liest. Er hat laut Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) im Jahr 2023 bisher im Durchschnitt 46,27 Cent/Kwh bezahlt. Kleine und mittlere Industriebetriebe kamen mit 24,96 Cent/Kwh hin. Diese beiden Verbrauchergruppen sollen am Ende für die begünstigten Unternehmen bezahlen, entweder mit noch höheren Strompreisen oder mit noch höheren Steuern.

 

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Zurück zur Vision: Dieser wie auch immer genannte Strompreis ist zentraler Teil der von Habeck Ende Oktober vorgestellten Strategie zur Ertüchtigung der deutschen Industrie. Sein Konzept beschreibt durchaus treffend die Probleme des Wirtschaftsstandorts Deutschland, aber eine überzeugende Strategie zu deren Überwindung entdeckt man darin nicht.

Habeck will den Industriestandort in seiner ganzen Vielfalt erhalten. Wer das versucht, vermittelt den Eindruck, Altes bewahren zu wollen und den Wandel steuern zu können. Der Staat und nicht der Markt entscheidet, was erhaltenswert und was zukunftsfähig ist. Moritz Schularik, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, beurteilt diese Politik so treffend wie vernichtend: „Der Staat ist zwar nicht gut darin, die Gewinner von morgen zu finden, aber ganz sicher finden die Verlierer von gestern den Staat.“

Ein riesiges Einfallstor für Lobbyisten

Womit wieder die Realität ins Spiel kommt. Der von Habeck forcierte Brückenstrompreis ist eine Einladung, an die Fleischtöpfe des Staates zu drängen. Denn noch ist unklar, welche Industrien bis zu welcher Unternehmensgröße Billigstrom bekommen sollen. Wird nur die Großgießerei oder auch die kleine Fabrik für Spezialguss bedacht, nur der Brotkonzern oder auch der Handwerksbetrieb mit 50 Bäckern? Das ist ein riesiges Einfallstor für Lobbyisten. Und sie formieren sich bereits.

Es ist kein Zufall, dass der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) zu den eifrigsten Befürwortern der Subvention gehört, er vertritt die Interessen der Großunternehmen aus der Chemie-, Stahl- und Grundstoffindustrie, die vorrangig bedient werden sollen. Gewerkschaften, allen voran die IG Metall und die IG Bergbau, Chemie, Energie, deren Mitglieder in diesen Branchen das Geld für die Gewerkschaftsbeiträge verdienen, haben ebenfalls ein Eigeninteresse und finden Habecks Idee gut. Streiten kann man allerdings darüber, ob diese energieintensiven Branchen wirklich die industrielle Zukunft Deutschlands sind. Aber selbst wenn das so sein sollte, wäre es anmaßend, wenn darüber der Staat und nicht der Markt entschiede.  

Am Ende der Brücke

Ungewiss ist zudem, ob die Brücke überhaupt trägt, die Habeck spannen will. Und ob am Ende der Brücke wirklich das rettende Ufer oder der nächste Abgrund wartet. Schon 2030, also in nur sieben Jahren, soll die schöne neue Energiewelt Realität sein. Dann soll es in Deutschland nicht nur genug Strom aus Wind, Sonne, Biogas und Wasserkraft für die Industrie, sondern auch für all die ebenfalls mit Subventionen gepäppelten Wärmepumpen, E-Autos und Elektrolyseure für Wasserstoff geben.

Dieser Strom soll dann obendrein auch noch so billig sein, dass die Großverbraucher keine Subventionen mehr brauchen. Der Brückenschlag wäre gelungen, und er soll insgesamt nur 30 Milliarden Euro kosten, kalkuliert Habeck. Franzosen, Briten, Amerikaner, Chinesen und all die anderen unbelehrbaren Industrienationen, die unverdrossen auch auf Kernenergie als billige Stromquelle vertrauen, würden staunen. So viel zur Vision.

Preisgarantie für Stromproduzenten

Die Realität ist trister. Der Bau neuer Windkraftanlagen lahmt, an Land und auf See. Allein an Land hatte die Bundesregierung geplant, täglich neue Windräder mit einer Kapazität von 19,7 Megawatt zu bauen, aktuell sind es laut Statistischem Bundesamt etwa 8,4 Megawatt. Bei den Offshore-Anlagen sieht es nicht besser aus. Selbst wenn die geplanten Anlagen pünktlich fertig würden, läge deren Gesamtleistung um mehr als ein Drittel unter dem angepeilten Ziel. Das weckt Zweifel an dem Versprechen, dass es von 2030 an genügend Ökostrom geben wird.

Zweifelhaft ist auch, ob er so billig wie versprochen sein wird. Habeck scheint sich selbst nicht zu vertrauen. Wie sonst ist zu erklären, dass er im vergangenen Dezember die Einspeisevergütung für Windstrom um ein Viertel auf 7,35 Cent je Kwh anheben ließ? In Süddeutschland, wo weniger Wind weht, werden sogar etwa 11 Cent garantiert. Diese Preisgarantie für Stromproduzenten gilt bis 2043, also auch dann noch, wenn der Brückenstrompreis von 6 Cent längst Geschichte sein soll.

Fritz Vahrenholt, der Umweltsenator in Hamburg war und viele Jahre Unternehmen der Windindustrie geleitet hat, meint dazu: „Dies ist eine volkswirtschaftliche Verschleuderung von Geld nach dem Motto: Wo weniger Wind ist, wird mehr gezahlt. Das ist grüne Effizienz und grüne Mathematik.“ Mit 11 Cent/Kwh ist in Deutschland weder die Grundstoff-, noch die Chemie- oder Düngemittelindustrie wettbewerbsfähig, urteilt Vahrenholt. Der streitbare Energieexperte kommt bei Einbeziehung aller Kosten für an Land gewonnenen Windstrom sogar auf 14,5 Cent/Kwh. Auch in den USA und Großbritannien steigen die Kosten für Windstrom deutlich an.

Keine taugliche Strategie

In einer Marktwirtschaft klettern die Preise für Waren und Dienstleistungen, wenn sie knapp werden. So geschehen beim Strom mit dem Ausstieg aus der Kernenergie. Seither ist Deutschland vom Exporteur zum Importeur von Strom, auch von solchem aus Atomkraftwerken, geworden. Der Strommangel ist Resultat einer schlechten Energiepolitik, sie ist also ein strukturelles Problem, das nicht durch einen Industriestrompreis behoben wird. Gegen strukturelle Probleme können Subventionen auf Dauer nichts ausrichten. Wenn Ideologie statt Rationalität weiter die deutsche Energiepolitik bestimmen, wird sich daran nichts ändern. 

Grüne und Teile der SPD wollen mit Subventionen ein Problem lösen, das sie selbst unter kräftiger Vorarbeit unionsgeführter Regierungen geschaffen haben. Der Ausstieg aus der Kernenergie und die völlig vermurkste Energiewende haben dazu beigetragen, dass Strom fast nirgends teurer ist als in Deutschland. Alle brauchen billigeren Strom, nicht nur die Großindustrie. Dabei hilft der Industriestrompreis nicht. Er ist keine taugliche Strategie zum Erhalt der Industrie. 

 

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