Krankenhausreform - Revolution ohne Revolutionäre

Karl Lauterbach hat sich erstmals mit den Gesundheitsministern der Länder verabredet, um seine Pläne für eine dringend benötigte Krankenhausreform vorzustellen. Die hatten bereits im Vorfeld durchblicken lassen, wie wenig Begeisterung sie für Lauterbachs Revolution verspüren.

Karl Lauterbach und Tom Bschor, Leiter der Krankenhauskommission / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

So erreichen Sie Ralf Hanselle:

Anzeige

Es gibt gute Zahlen, und es gibt schlechte. Letztere geistern dieser Tage durch Tageszeitungen und Fernsehnachrichten. 56 ist zum Beispiel so eine schlechte Zahl. Laut des Ende Dezember veröffentlichten Krankenhaus Barometers 2022, durchgeführt vom Deutschen Krankenhaus Institut (DKI), gehen nämlich 56 Prozent der repräsentativ befragten Krankenhäuser in Deutschland für das gerade zu Ende gegangene Jahr 2022 von einer weiteren Verschlechterung ihrer ohnehin angespannten wirtschaftlichen Situation aus.

Eine wirklich miese, ja eine geradezu katastrophale Zahl. Und es gibt weitere diesen Kalibers: Da wäre zum Beispiel noch die 40: Denn immerhin 40 Prozent der für das Barometer befragten Kliniken geben an, dass sie 2021 Mitarbeiter vor allem aufgrund der pandemiebedingten Belastungen verloren hätten. Und dann gibt es noch die ganz üblen Zahlen: 3783 und 2000 zum Beispiel. Erstere beziffert die Menge der Krankenhäuser im Jahr 1980, letztere die im Jahr 2022. Das heißt in der Folge: Während es vor gut 40 Jahren noch 879.605 Krankenhausbetten in Deutschland gab, sind es heute nur noch 500.000.

Zwei Monate pro einem Jahr

An all diesen Zahlen ist kaum etwas zu rütteln. Dahinter verbirgt sich eine Krise, die sich in den letzten Monaten in immer mehr Insolvenzen, in Stations- und zuweilen in kompletten Klinikschließungen entladen hat. Doch dann gibt es eben auch die guten Zahlen. Und zu diesen gehören ganz sicher die 1 und die 2. In die richtige Reihung und den entsprechenden Kontext gesetzt, bedeuten sie nämlich, dass mit jedem Jahr, das die Zeit durch den Kalender jagt, die Lebenserwartung in den westlichen Industrieländern um ganze 2 Monate zugenommen hat.

Da mögen leichte und bis heute nicht abschließend geklärte Übersterblichkeiten für die zurückliegenden Pandemiejahre einen leichten Dämpfer gebracht haben. Im Kern aber heißt das, dass wir als Gesellschaft immer älter werden. 2 Monate pro 1 Jahr. Zwei echte medizinische Glückszahlen; verdeutlichen sie doch, dass unser Gesundheitssystem allen Unkenrufen zum Trotz so schlecht vermutlich gar nicht ist.

Es ist schlecht, weil es gut ist

Und genau hier beginnt die Crux, die der Nicht-Mediziner Dialektik nennt: Denn es ist nicht auszuschließen, dass es uns möglicherweise schon zu gut geht – so gut jedenfalls, dass es uns bei genauer Betrachtung auch schon wieder schlecht geht. Denn die alternde Gesellschaft, so liest man dieser Tage immer wieder und so hat es heute auch noch einmal Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) unterstrichen, stellt das Krankenhaus- wie auch den Rest des Gesundheitssystems vor immer größere Herausforderungen. Mehrfacherkrankungen, chronische Verläufe und das Dahindämmern im teuren Limbus zwischen Krankheit und Pflegebedürftigkeit gehen an der deutschen Krankenhauslandschaft nicht spurlos vorüber.

Auch während der Corona-Krise, die ja vor allem einen gesonderten Schutz für die Alten und Pflegebedürftigen bedeutete, hat die gestiegene Lebenserwartung einen teils tödlichen Tribut gefordert. Doch es gibt darüber hinaus natürlich auch systemimanente Probleme in den Krankenhäusern: Fehlanreize durch die allseits gehasste Fallpauschalenabrechnung etwa, die auf der einen Seite die Anzahl der fast schon sprichwörtlich gewordenen Hüft-OPs in die Höhe schnellen ließen, andererseits aber bei den betreuungsintensiven Kinder- und Geburtshilfekliniken Einsparungen bis zur Lebensgefahr einbrachten. Und dann natürlich noch die riesige Zahl an Mitspielern in der Organisation und Selbstorganisation. In kaum einem anderen Land ist sie derart unüberschaubar wie in Deutschland.
 

Das könnte Sie auch interessieren: 


Und so ist das System mittlerweile ausgelaugt. Wäre das Krankenhaus sein eigener Patient, man müsste wohl längst von Multimorbidität ausgehen. Das hat nun auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erkannt, dessen  Kritiker schon vermutet hatten, er hätte sich für immer in die einsame Rolle des Corona-Warnminister verabschiedet und darüber den Rest seines Tätigkeitsfeldes vergessen. Doch Anfang Dezember besetzte der nicht unumstrittene Minister plötzlich ein Thema, das für alle anderen im Gesundehitssystem eigentlich längst wichtiger geworden war, als Inzidenzen oder immer neue Sars-Cov-2-Mutanten: die überfällige Krankenhausreform.

Am 6. Dezember 2022 legte Karl Lauterbach sein erstes Reformpapier vor – ein reiner „Vorschlag“, wie er heute noch einmal unterstrich. Doch diese Vorläufigkeit hielt ihn nicht davon ab, sein Papier als „Revolution im System“ zu preisen. Große Worte, die bei genauer Betrachtung nicht verwundern: Immerhin hatte eine 17-köpfige Kommission über ein halbes Jahr lang über dem Entwurf gebrütet.

Ein lauter und gemischter Chor 

Seit genau einem Monat also ist dieses Papier in der Welt, und noch immer mangelt es ihm an dem, was es zu einer echten Revolution am Ende braucht: Tatkräftige Unterstützung – und vor allem natürlich mutige Revolutionäre. Doch von all dem keine Spur. Die einen halten Lauterbachs Vorschläge, die im Wesentlichen auf einer Umsortierung der bisherigen Krankenhauslandschaft in fortan 128 Leistungsgruppen sowie auf einer Reduzierung der Fallpauschalen und einer Einführung sogenannter Vorhaltepauschalen fußt, für ein Bürokratiemonster, anderen fürchten Umverteilung und Taschenspielertricks. Und wieder andere  träumen gleich ganz den nie aufgegebenen Traum vom Ausstieg aus der Ökonomisierung der Daseinsvorsorge oder mindestens von der Wiedereinführung der Tagessätze.

Es ist ein lauter und gemischter Chor, der so vielstimmig durcheinandersingt, wie das deutsche Gesundheitssystem eben Chorknaben hat: Da sind die Lobbygruppen der Krankenhausgesellschaften, die Krankenkassen und die privaten Klinikbetreiber, dazu die Kommunen, die intransparente Selbstverwaltung, die Länder, der Bund ... Es hört nicht auf. Lauterbach aber scheint das nicht zu bekümmern. Der Minister, der zeitweise wie ein leicht autistischer Don Quijote die Windmühlen seiner Gefechte anpeilt, bleibt auf Linie. Seiner Linie. Auch jüngst, als er sich erstmals in einer Schaltkonferenz mit seinen vielleicht gefährlichsten Reformkritikern zusammensetzte: den Gesundheitsministern aus den Ländern.

Einig in der Diagnose, nicht in der Therapie

Die hatten bereits im Vorfeld durchblicken lassen, wie wenig Begeisterung sie für Lauterbachs Revolution verspürten. Zwar sei man sich einig in der Diagnose, in der Therapie aber gäbe es mehrere Wege. Am prägnantesten hat die Vorbehalte vielleicht Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) formuliert, als er bereits am vergangenen Mittwoch zu verstehen gab, dass er durch die Lauterbach-Reform eine Zentralisierung des Krankenhaussystems und eine Aushebelung der Länderkompetenzen befürchtete: „Es kann nicht riskiert werden, dass durch zentralistische Planung von heute auf morgen bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen zerstört werden“, so  Holetschek.

Und so kam es eben, wie es kommen musste. Während Lauterbach bei der anschließenden Pressekonferenz noch einmal vom „Vorabend der notwendigen Revolution im Krankenhaussektor“ sprach und von einem „Konsens“, den er irgendwie „verspüre“, pochten die ihn flankierenden Landesminister Karl-Josef Laumann (NRW) und Daniela Behrens (Niedersachsen) auf weitestgehende Autonomie. Man könne keine Bundesschablone über die Krankenhäuser legen, so Laumann mit Verweis auf das Krankenhausplanungsrecht der Länder.

Wie aus all dem noch ein gemeinsamer Plan zur Rettung der bedrohten Krankenhäuser werden kann, der bis zur Sommerpause als Referentenentwurf vorliegen soll, bleibt ein Rätsel. Vielleicht wäre es gut, man träte noch einmal einen Schritt zurück. Denn mit Zahlen und Argumenten kann man gerade im Gesundheitswesen alles mögliche belegen. An den Grundsatzproblemen aber führt das letztlich vorbei. Bevor wir uns also fragen, mit wieviel Krankenhausbetten wir zukünftig glücklich werden wollen, sollten wir uns zunächst lieber frage, in was für einem Gesundheitssystem wir zukünftig leben wollen.

Anzeige