Schlecht vorbereitet - „Für die Gasversorgung gibt es keinen Notfallplan“

Deutschland ist auf einen Erdgas-Lieferstopp aus Russland nicht vorbereitet, sagt Rechtsanwalt Gernot-Rüdiger Engel. Er vertritt energieintensive Industrieunternehmen, denen im Ernstfall die Abschaltung droht. Die zuständige Bundesnetzagentur hält der Energierechts-Experte für überfordert. Er schlägt vor, eine neue Behörde zu schaffen.

Was passiert, wenn Putin den Gashahn zudreht? / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Rechtsanwalt Dr. Gernot-Rüdiger Engel ist Partner der Kanzlei Luther und auf Umwelt- und Energierecht spezialisiert. Er berät Unternehmen energieintensiver Branchen wie der Papier-, Glas-, Lebensmittel- und Chemieindustrie.

Herr Engel, der Druck auf Deutschland wächst, ein Öl- und Gasembargo gegen Russland zu verhängen. Was würde das bedeuten?

Das hätte vor allem beim Erdgas eine spürbare Knappheit zur Folge. Der Staat müsste entscheiden, wer noch Gas bekommt und wer keines mehr. Nach der derzeitigen Gesetzeslage würden Privathaushalte und kleinere Betriebe weiterhin mit Gas versorgt, Großverbraucher der Industrie vorrangig abgeschaltet. Das sollte meines Erachtens noch einmal überdacht werden. Denn die volkwirtschaftlichen Schäden wären gewaltig.

Sie meinen: Lieber kalt duschen statt Fabriken stillzulegen?

Es geht in der Industrie nicht nur um vorübergehende Produktionsstillstände. Wobei auch das schlimm genug ist. Denken Sie etwa an die Lebensmittelindustrie, die große Mengen an Wärmeenergie benötigt. Wenn dort das Gas fehlt, bleiben die Supermarktregale leer. In anderen Branchen, zum Beispiel der Glasindustrie, werden Produktionsanlagen irreparabel beschädigt, wenn die Temperatur nicht aufrechterhalten werden kann. Da stehen zigtausende Arbeitsplätze auf dem Spiel. Es droht die schlagartige Deindustrialisierung.

 

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Wer entscheidet denn im Ernstfall, welcher Industriebetrieb abgeschaltet wird?

Das ist am Ende Sache der Bundesnetzagentur. Aber nach allem, was bisher bekannt geworden ist und was mir aus Gesprächen mit dieser Behörde hören, steht sie trotz einer Szenarioübung im Jahr 2018 unvorbereitet da. Für die Gasversorgung gibt es keinen Notfallplan, keine Abschaltkriterien. Das alles soll jetzt zwar entwickelt werden, aber das dauert noch Wochen. Wir sind nicht darauf vorbereitet, dass es auch zu einem unkontrollierten Einbruch der Gasversorgung kommen kann.

Weil Putin den Gashahn zudreht?

Ja. Bislang hielt man das offenbar für unvorstellbar. Es hieß immer, Russland habe sich selbst in den angespanntesten Phasen des Kalten Krieges als zuverlässiger Geschäftspartner erwiesen. Aber inzwischen sollte jedem klar sein, mit welchen bösen Überraschungen das verbunden sein kann. Deutschland hat sich als größte europäische Volkswirtschaft vollkommen abhängig gemacht, das ist ein kapitaler Fehler.

Lässt er sich korrigieren?

Dr. Gernot-Rüdiger Engel

Kurzfristig nicht. Die Industrie ist auf Gas angewiesen. Die Anlagen können nicht einfach so auf andere Brennstoffe umgerüstet werden. Zumal dann andere Probleme entstehen. Die Klimaschutzpolitik mit hohen Abgaben für CO2-Emissionen hat Kohle und Öl in großen Teilen der Industrie unwirtschaftlich gemacht. Viele Betriebe sind deshalb auf Gas umgestiegen. Mittelfristig müssen wir unsere Bezugsquellen diversifizieren. Darum kümmert sich Wirtschaftsminister Robert Habeck ja gerade mit vollem Einsatz. Aber er sagt selbst, dass wir frühestens im Sommer 2024 so weit sind. Wenn alles gut läuft.

Was sollte die Bundesregierung Ihrer Meinung nach jetzt tun?

Der Fokus muss jetzt darauf gelegt werden, so schnell wie möglich eine Abschaltkaskade festzulegen, um auf Versorgungsunterbrechungen vorbereitet zu sein. Das darf nicht allein der Bundesnetzagentur überlassen werden. Es stellt sich ohnehin die Frage, ob wir das wichtige Thema der Energieversorgungssicherheit und die Energiewende als Ganzes nicht besser bei einer neuen, eigenständigen und schlagfertigen Behörde bündeln. Die Bundesnetzagentur muss sich auch um unerlaubte Werbeanrufe und Portoerhöhungen kümmern und wirkt gerade angesichts der Komplexität und Dringlichkeit des Gasproblems Stand heute dem Herausforderung nicht gewachsen.

Das Gespräch führte Daniel Gräber.

 

 

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