Fiskalische Theorien - Quo vadis, Inflation?

Obwohl das Phänomen der Inflation uralt ist, ringen die Wirtschaftswissenschaften immer noch damit, sie zu verstehen. Denn die jeweiligen Theorien haben nur in bestimmten Zeiträumen und unter besonderen Umständen Erklärungskraft.

Luminale-Installation in Frankfurt am Main / dpa
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Autoreninfo

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute mit Sitz in Köln. Zuvor war er Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Davor bekleidete er verschiedene Funktionen bei Goldman Sachs, Salomon Brothers und – bevor er in die Privatwirtschaft wechselte – beim Internationalen Währungsfonds in Washington und Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Thomas Mayer promovierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und hält (seit 2003) die CFA Charter des CFA Institute. Seit 2015 ist er Honorarprofessor an der Universität Witten-Herdecke. Seine jüngsten Buchveröffentlichungen sind „Die Vermessung des Unbekannten“ (2021) und „Das Inflationsgespenst“ (2022).

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Immer noch ist die Inflation ein heißes Thema in der Politik und auf den Finanzmärkten. Umfragen in den USA deuten darauf hin, dass die Wähler nicht an einen nachhaltigen Rückgang der Inflation glauben und diese der Biden-Regierung anlasten. Sollte sich dieser Eindruck verfestigen, könnte Joe Biden trotz einer brummenden Wirtschaft und eines bombenfesten Arbeitsmarkts die Präsidentschaftswahl verlieren. Und Wohl und Wehe an den Finanzmärkten hängen davon ab, ob die Inflation so weit zurückgeht, dass die Zentralbanken die Zinsen senken können. Aber obwohl das Phänomen der Inflation uralt ist und so viel von ihrem künftigen Verlauf abhängt, ringen die Wirtschaftswissenschaften immer noch damit, sie zu verstehen.

Ein wesentlicher Grund dafür dürfte sein, dass Wirtschaftswissenschaftler immer wieder verschiedene Theorien zur Entstehung der Inflation entwickelt und behauptet haben, diese Theorien seien immer und überall gültig. Die Geschichte hat jedoch gezeigt, dass die Theorien – auch wenn sie nützlich sind – nur in bestimmten Zeiträumen und unter besonderen Umständen Erklärungskraft hatten. Um Inflation besser zu verstehen, ist es daher nötig, die verschiedenen Erklärungen den spezifischen Umständen zuzuordnen, unter denen sie entwickelt wurden und für die sie besonders geeignet sind. Verschafft man sich Klarheit über die künftig wahrscheinlich waltenden Umstände, kann man mit der dafür am besten geeigneten Theorie auch einen Ausblick wagen. 

Studienobjekt Corona-Pandemie

Die Zeit der Corona-Pandemie, in der die Inflation durch verschiedene Faktoren in kurzer Abfolge angetrieben wurde, bietet einen besonders nützlichen Zeitraum für die Untersuchung der verschiedenen Erklärungen und ihrer Relevanz. In der Anfangsphase der Pandemie waren alle aus der Wirtschaftsgeschichte und -theorie bekannten Treiber der Inflation aktiv:

  • Die angebotsseitige Inflation: Lieferketten brachen zusammen, und die Preise für Betriebsmittel und Rohstoffe schnellten in die Höhe. Der Krieg in der Ukraine verstärkte den Druck auf die Rohstoffpreise. In „Lockdowns“ wurden die Leute nach Hause geschickt, und das Angebot brach ein.
  • Die nachfrageseitige Inflation: Regierungen entschädigten die Unternehmen und Arbeitnehmer für in „Lockdowns“ entgangene Gewinne. Damit sorgten sie dafür, dass die Güternachfrage stark blieb, auch wenn das Güterangebot teurer wurde oder ganz wegbrach. 
  • Die monetäre Inflation: Die Zentralbanken sorgten für die Finanzierung der staatlichen Transfers durch Geldschaffung für ihre Staaten, da eine Inanspruchnahme der Kapitalmärkte die Zinsen erhöht hätte. So vergrößerte ein überschüssiges Geldangebot den Nachfrageüberhang. 
  • Die Lohninflation: Als die Güterpreise nach oben galoppierten, verlangten die Arbeitnehmer höhere Löhne, um den Kaufkraftverlust auszugleichen, was zu einem weiteren Kostenschub führte.

Die Inflationstreiber im Wandel

Seit einiger Zeit wandeln sich nun die Treiber der Inflation. Als die Zentralbanken verspätet begannen, ihre extrem expansive Geldpolitik zu beenden, hörte die Geldmenge auf zu wachsen. Gleichzeitig untergrub die hohe Inflation die Kaufkraft der überschüssigen Geldbestände. Infolgedessen kehrte die Geldumlaufsgeschwindigkeit (das Verhältnis des BIP zur Geldmenge) auf ein normaleres Niveau zurück. Anfang 2024 schienen die überschüssigen Geldmengen im Euroraum nicht mehr zur Inflation beizutragen, und in den USA waren sie (wenn überhaupt) nur noch geringfügig vorhanden. 

Gleichzeitig wurden die Lieferketten allmählich wiederhergestellt und die Rohstoffversorgung an das von den westlichen Ländern gegen Russland verhängte Embargo angepasst. Infolgedessen fielen die Rohstoffpreise von ihren früheren Höchstständen (blieben aber über dem Niveau vor der Pandemie). Während die monetären und exogenen Triebkräfte der Inflation nachließen, übt das Lohnwachstum jedoch weiterhin einen Aufwärtsdruck auf die Inflation aus. Da das Produktivitätswachstum im Euroraum viel geringer ist als in den USA, beschleunigt sich das Wachstum der Lohnstückkosten im Euroraum stark, während es in den USA etwas nachlässt. Dennoch bleibt das Wachstum der Lohnstückkosten auch in den USA über dem Niveau, das mit einer Inflation von zwei Prozent vereinbar ist. 

Darüber hinaus dürften die Verlagerung von Tätigkeiten zur Verringerung der Lieferrisiken und die „geoökonomische Fragmentierung“ noch einige Zeit lang einen Aufwärtsdruck auf die Kosten und Preise ausüben. Diese Treiber sorgen für eine gewissen Resilienz der Inflation, dürften aber nicht ausreichen, sie erneut kräftig zu beschleunigen.

Das neue Inflationspotenzial

Dafür könnte jedoch eine andere Kraft sorgen, auf die sich die Fiskaltheorie des Preisniveaus konzentriert. Diese noch recht junge Theorie der Inflation sieht den wesentlichen Treiber der Preise in der Staatsverschuldung. Wie bei jedem Unternehmen muss auch beim Staat die Bilanzidentität gelten: Die Summe des realen Werts aller Aktiva muss der Summe des realen Werts aller Schulden und des (falls vorhandenen) Eigenkapitals des Staates entsprechen. Bei vorausschauender Betrachtung gilt als reales Aktivum des Staates der Gegenwartswert aller künftigen Haushaltsüberschüsse zu konstantem Preisniveau. 

Die (nominalen) Schulden des Staates bestehen aus den von ihm ausgegeben Anleihen und dem von seiner Zentralbank (in Kooperation mit den Geschäftsbanken) geschaffenem Geld. Übersteigt nun der nominale Wert aller Verpflichtungen den realen Wert der Aktiva, bringt ein Anstieg des allgemeinen Preisniveaus den Realwert der Schuld wieder auf den zur Herstellung der Bilanzidentität erforderlichen Wert.
 

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Das hört sich alles sehr abstrakt und wenig praxisbezogen an. Doch kann man sich den Mechanismus zum Ausgleich der Bilanzidentität folgendermaßen vorstellen: Angenommen, eine Regierung gibt mehr Schuldtitel aus, um höhere Ausgaben zu finanzieren, ohne Maßnahmen zu ergreifen, die einen entsprechenden Anstieg der erwarteten künftigen Haushaltsüberschüsse gewährleisten. In diesem Fall ist zu erwarten, dass steigende Zinsen früher oder später zu einem nicht mehr tragbaren Niveau der Zinsausgaben führen werden. 

Die Regierung wird die Zentralbank dazu veranlassen, durch Leitzinssenkungen und Anleihekäufe die nominalen Zinssätze unter die Inflationsrate zu drücken, um die Schuldendienstlast zu verringern. Ein aus dieser Manipulation resultierender negativer Realzins führt zu mehr Konsum und weniger Sparen. Die überschüssige Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen führt dann zu einem Anstieg des Preisniveaus, um die realen staatlichen Verbindlichkeiten mit dem Gegenwartswert der erwarteten realen Haushaltsüberschüsse wieder in Einklang zu bringen. 

John Cochranes Ansatz

Empirische Studien haben diesen Mechanismus, der als „finanzielle Repression“ bezeichnet wird, bestätigt. Auch zeigt eine langfristige Betrachtung der Entwicklung der Staatsverschuldung und der Preise in den USA, dass ein Anstieg der Staatsverschuldung in Zeiten extremer Belastung, wie in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts und der Pandemie von 2020-22, mit einem Anstieg der Verbraucherpreisinflation einher oder diesem voraus ging. Dies deutet darauf hin, dass die fiskalische Theorie des Preisniveaus in Zeiten schwerwiegender fiskalischer Belastungen eine gute Erklärungskraft haben kann. 

John Cochrane, einer der Protagonisten dieser Theorie, erklärt dazu: „Wenn die Regierung ein großes Defizit hat, aber die Leute darauf vertrauen, dass das Defizit durch höhere spätere Überschüsse zurückgezahlt wird, dann sind sie froh, die zusätzlichen Schulden zu halten, anstatt zu versuchen, sie auszugeben, und es gibt keine Inflation ... Die Fiskaltheorie sagt nur dann eine Inflation voraus, wenn die Schulden größer sind als das, was die Leute glauben, dass die Regierung zurückzahlen wird.“

Keine Haushaltsüberschüsse zu erwarten

Der Internationale Währungsfonds prognostiziert, dass die Staatsschuldenquote in den entwickelten Ländern nach einem vorübergehenden Rückgang von ihrem Allzeithoch im Jahr 2020 auf 112 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2022 bis 2028 wieder auf 116 Prozent des BIP ansteigen wird. Der wesentliche Treiber dieses Anstiegs sind die USA, die nach den Prognosen des IWF bis 2028 ein Allzeithoch der Staatsverschuldung von 138 Prozent des BIP erreichen werden. Aber auch in Japan, Frankreich und Italien bleibt die Verschuldung extrem hoch. Nur in Deutschland sieht der IWF einen Rückgang auf rund 58 Prozent.

Außer in Deutschland sind nach dem hohen Anstieg der Staatsschulden während der Pandemiezeit also keine Haushaltsüberschüsse zu erwarten, welche die Identität von realen Aktiva und Passiva in den Staatsbilanzen herstellen könnten. Folgt man der fiskalischen Theorie des Preisniveaus, sollte man also einen erneuten Anstieg der Inflation erwarten, wenn das Publikum in den Finanzmärkten den Glauben daran verliert, dass die Staaten ihre enormen Schulden jemals wieder mit gutem Geld zurückzahlen werden. Wie schon so oft in der Finanzgeschichte, könnte die Inflation das einzig verbleibende Mittel zur Wiederherstellung staatlicher Solvenz sein.

Fazit

Die Zentralbanken haben sich Inflationsziele gesetzt und versprechen, diese einzuhalten. Doch ist dieses Versprechen hohl, da die Ursachen der Inflation einem ständigen Wandel unterworfen sind, den die Zentralbanken kaum verstehen. Wenn künftig die überbordende Staatsverschuldung die Inflation treiben wird, wofür einiges spricht, dürften sie sogar völlig machtlos sein.

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