Euroschwäche - EZB: Fehlkonstruktion, Fehlentscheidungen und fehlendes Problembewusstsein

Der Euro verliert derzeit beständig an Wert. Schuld daran ist die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB), die mit diversen Euro-Rettungsschirmen, Zinssenkungen, dem Ankauf von Staatsanleihen und dem Herunterspielen der Inflationsgefahr die Probleme verschärfte. Das Ergebnis ist ein einschneidender Wohlstandsverlust.

Der Euro leuchtet schon lange nicht mehr: Die ehemalige Zentrale der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main / dpa
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Gunther Schnabl ist als Ökonomieprofessor Experte für Geldpolitik. Er leitet das Institut für Wirtschaftspolitik an der Uni Leipzig. Foto: Universität Leipzig

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Nachdem im Juni die Inflation in den USA auf 9,1% und im Euroland auf 8,6% gestiegen ist, zeigt sich nur die amerikanische Federal Reserve Bank (Fed) entschlossen, mit Zinserhöhungen gegen die Inflation vorzugehen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat sich zwar zu einem Ende der umfangreichen Anleihekäufe sowie zu zwei Zinserhöhungen bis zum September durchgerungen. Doch seitdem unterminiert sie mit öffentlichen Erwägungen über ein „Antifragmentierungsinstrument“ die Glaubwürdigkeit ihres Ausstiegskurses. Der Euro fällt und fällt und hat zuletzt die Parität zum Dollar erreicht. Auch gegenüber dem Schweizer Franken hat der Euro deutlich an Wert eingebüßt. 

Die Ursachen für die Euroschwäche liegen tief und gehen auf dessen Geburtsstunde Anfang der 1990er-Jahre zurück, als es zwei unterschiedliche Zentralbankmodelle in Europa gab. Die Deutsche Bundesbank war unabhängig und verteidigte entschlossen die Kaufkraft der Deutschen Mark. In Frankreich oder Italien waren die Zentralbanken den Finanzministerien unterstellt. Sie trugen durch den Ankauf von Staatsanleihen zur Finanzierung der Staatsausgaben bei, sodass die Inflation hoch war. Lira und Franc werteten kontinuierlich gegenüber der Deutschen Mark ab, weshalb die Deutsche Bundesbank den währungspolitischen Kurs in Europa vorgab.  

Frankreich wollte mit dem Euro die Dominanz der Deutschen Mark brechen. Zwar ließ sich Deutschland unter Helmut Kohl zum Euro drängen, welcher aber nach dem Muster der Deutschen Bundesbank in den europäischen Verträgen verankert wurde. Doch es blieb ein Konstruktionsfehler: Während eine gemeinsame Geldpolitik auf den Weg gebracht war, blieben die Finanz- und Sozialpolitiken in nationaler Verantwortung. Die Europäische Währungsunion war damit von Anfang an instabil, weil unterschiedliche Mitgliedsländer unterschiedlichen Finanzpolitiken und damit unterschiedlichen Konjunkturzyklen folgten.  

Die EZB wurde zum Retter für hochverschuldete südeuropäische Euroländer

Daraus entstand die europäische Finanz- und Schuldenkrise. Denn kurz nach Einführung des Euro im Jahr 1999 brachte Deutschland nach der kostspieligen Wiedervereinigung umfangreiche Sparmaßnahmen auf den Weg, um die Schuldengrenzen der Währungsunion einzuhalten. Das bremste das Wachstum, sodass viel Kapital in den südlichen Euroraum abfloss. Dort befeuerten die Kredite deutscher Banken den Konsum und Immobilienblasen. In Griechenland, Spanien, Portugal und Irland wuchsen die Steuereinnahmen rasant, was die Regierungen zu zusätzlichen Staatsausgaben verführte. Da die EZB nach dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 den Leitzins stark gesenkt hatte, befeuerte sie zu allem Überfluss die Übertreibungen. 

Die daraus resultierende nun sogenannte Eurokrise (2007–2012) gipfelte in der Aussage des damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi, dass er alles unternehmen werde, um den Euro zu retten. Damit gab er nicht nur das Versprechen ab, im großen Umfang die Staatsanleihen hochverschuldeter südlicher Euroländer einschließlich Italiens zu kaufen. Die Krise bot den südlichen Euroländern auch die Möglichkeit, die EZB nach dem Muster der früheren Banca d’Italia umzubauen. Der Weg zu neuen geldpolitischen Fehlentscheidungen war frei.  

Die EZB senkte auf Dauer die Zinsen auf und sogar unter Null. Sie kaufte im großem Umfang Staatsanleihen, sogar in der wirtschaftlichen Erholungsphase zwischen 2015 und 2019! Mit längerfristigen Refinanzierungsgeschäften griff die EZB vor allem schwachen Unternehmen in den südlichen Euroländern unter die Arme. Das sogenannte TARGET2-Zahlungssystem entwickelte sich zu einem Kreditmechanismus zwischen den Euroländern. Die Deutsche Bundesbank hält inzwischen unverzinste Forderungen im Umfang von ca. 1200 Milliarden Euro, denen entsprechende Verbindlichkeiten vor allem südlicher Euroländer gegenüberstehen. 

Mit der Corona-Krise wurde die Rolle der EZB als Retter für hochverschuldete südeuropäische Euroländer weiter gefestigt. Das sogenannte Pandemische Notfallkaufprogramm (1850 Mrd. Euro) und die Gezielten Längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte (mit einem Umfang von derzeit ca. 2200 Milliarden) stellten endgültig die Weichen zu einer Weichwährung. Mit dem zuletzt ankündigten „Antifragmentierungsinstrument“ scheint die EZB nicht nur eine versteckte Beihilfegarantie für die Ausgabenverpflichtungen hoch verschuldeter Euroländer abzugeben. Gleichzeitig könnten in Brüssel die Pläne weiter vorangebracht werden, zusätzliche Ausgaben der EU über Anleihen zu finanzieren, die die EZB ankauft. Das wäre ein großer Schritt hin zu einer gemeinsamen EU-Finanz- und Sozialpolitik, die helfen würde, die unterschiedlichen Konjunkturzyklen im Euroraum anzugleichen.  

Die Inflationsmessung im Euroraum bildet den Kaufkraftverlust der Bürger nicht ausreichend ab

Allerdings wirkt die damit nun in die weite Zukunft hinaus festgeschriebene lockere Geldpolitik negativ auf das Wachstum, da die anhaltend niedrigen Zinsen den Unternehmen den Anreiz nehmen, Effizienzgewinne voranzubringen. Im Süden, aber auch im Norden der Währungsunion können die Regierungen seit längerem dank der EZB nicht nur dringende Reformen weiter auf die lange Bank schieben. Sie können auch immer mehr Regulierungen auf den Weg bringen, da die negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt durch EZB-finanzierte staatliche Hilfsmaßnahmen abgedämpft werden können. Doch mehr Regulierung bremst das Wachstum zusätzlich.  

Hinzu kommen sozial ungerechte Verteilungseffekte. Die EZB hat lange Zeit die Vermögenspreise nach oben getrieben und damit vor allem reiche Menschen, die Luxusgüterindustrie und großen deutschen Exportunternehmen begünstigt. Die Mittelschicht leidet darunter, dass sich ihre Bankeinlagen nicht mehr verzinsen und die Inflation die Kaufkraft schwächt. Junge Menschen in Europa sehen sich mit gesunkenen Einstiegslöhnen und überteuerten Immobilienpreisen konfrontiert. Insbesondere kleine Unternehmen und Banken werden durch die Regulierung an die Wand gedrückt. 

 

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Die deutsche Industrie, die einst die Wachstumslokomotive Europas war, scheint lieber auf Hilfen von Staat und EZB zu spekulieren, als die Effizienz zu steigern. Die hohen Produktivitätsgewinne in Deutschland, die einst steigende Löhne, den Ausbau der Sozialsysteme und den Aufbau der gemeinsamen europäischen Institutionen finanzierten, gibt es nicht mehr. Die Regulierung lässt die Produktivität stattdessen sinken, was Kosten und Preise nach oben treibt. Da man die goldene deutsche Gans geschlachtet hat, ist die weitere Zunahme der Verteilungskonflikte – sowohl innerhalb der Euroländer als auch zwischen den Euroländern – programmiert.  

So schwindet auch das Vertrauen in die EZB. Die Glaubwürdigkeit der EZB wurde schon länger dadurch geschädigt, dass die Inflationsmessung im Euroraum den Kaufkraftverlust der Bürger nicht ausreichend abbildet. Die von der Europäischen Kommission gemessene gefühlte Inflation liegt deutlich über der offiziell gemessenen (im Durchschnitt gut vier Prozentpunkte). Dramatisch gestiegene Wohnimmobilienpreise werden bei der Inflationsmessung im Gegensatz zu anderen Ländern einfach ausgeklammert. Die Inflationsprognosen der EZB liegen seit dem dramatischen Anstieg der Inflation viel zu niedrig. Führende EZB-Vertreter wie Christine Lagarde und Isabel Schnabel haben anscheinend ohne ausreichendes Problembewusstsein die Inflationsgefahren heruntergespielt und so die Arbeitnehmer dem plötzlichen Anstieg der Inflation ausgeliefert.  

Sämtliche Stabilitätskriterien scheinen nicht mehr bindend zu sein

Alle Stabilitätskriterien, die im Vertrag zur Arbeitsweise der Europäischen Union verankert sind, scheinen für die EZB und die Regierungen im Euroraum nicht mehr bindend zu sein: die Pflicht der Eurostaaten, übermäßige Defizite zu vermeiden (Art. 126), das Verbot der Finanzierung von Staatsausgaben durch die EZB (Art. 123), die Nichtbeistandsklausel (Art. 125) und die Verpflichtung der EZB zur Preisstabilität (Art. 127). Führende französische Politiker stellen nun offen die Maastricht-Schuldengrenzen in Frage. Damit steht auch die Unabhängigkeit der EZB (Art. 130) zur Diskussion. Denn der Umfang der Staatsanleihen in der Bilanz der EZB ist auf über 4200 Mrd. Euro angewachsen. 

Zwar versucht EZB-Präsidentin Lagarde, das EZB-Mandat der Preisstabilität dadurch zu relativieren, dass sie in der Kommunikation die Klimapolitik in den Vordergrund rückt. Doch da die grüne Geldpolitik nicht in den europäischen Verträgen verankert ist und eine von der EZB erzwungene grüne Kreditallokation die wirtschaftlichen Verwerfungen in Europa weiter verschärfen würde, dürfte dadurch die Glaubwürdigkeit der EZB weiter erodieren. Das gilt auch deshalb, da eine stabile Währung das Rückgrat einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist und der weiche Euro öko-planwirtschaftlichen Strukturen in der EU den Weg bereitet. 

Das Ergebnis ist ein einschneidender Wohlstandsverlust, der aus dem Konstruktionsfehler des Euroraums, einer anhaltend zu lockeren Geldpolitik, einer falschen Therapie für die selbstverschuldete europäische Finanz- und Schuldenkrise, einer Missachtung der nötigen Ausgabendisziplin durch die Regierungen, einer wuchernden Regulierung sowie einer schnell erodierenden Glaubwürdigkeit der Verantwortungsträger der EZB resultiert.  

Deshalb beschleunigt sich die Kapitalflucht in die USA. Der Euro verliert weiter an Wert, und durch deshalb steigende Preise für importierte Güter steigt die Inflation weiter. Da Europa die Kraft für eine Kehrtwende fehlt, kann der Prozess kann nur dann gebremst werden, wenn die amerikanische Fed ihren derzeitigen geldpolitischen Ausstiegskurs unerwartet beendet. Aber auch dann würde sich der Vertrauensverlust in das gemeinsame europäische Währungsprojekt nicht aufhalten lassen. 

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