EU-Haushalt und Corona-Hilfen - Erst die Schulden, dann die Steuern

Der „historische“ Deal zum künftigen EU-Budget hat viele Makel. Damit muß sich nun das Europaparlament herumschlagen - allerdings ohne große Aussicht auf Erfolg. Derweil sucht der deutsche Finanzminister Olaf Scholz nach neuen Geldquellen.

Merkel, Scholz: Beim Finanzminister-Treffen in Berlin wird es noch keine Beschlüsse geben / dpa
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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Olaf Scholz hat einen Traum. Der Bundesfinanzminister will, dass „Europa mehr zu einer Union zusammenwächst“ und finanziell stärker auf eigenen Beinen steht. Dazu sollen auch neue EU-Steuern und -Abgaben beitragen, erklärte der SPD-Politiker kurz vor einem Treffen der EU-Finanzminister am kommenden Wochenende in Berlin.

„Um die Folgen der Corona-Krise zu bewältigen, nimmt die EU-Kommission erstmals in ihrer Geschichte in größerem Umfang Geld auf“, so Scholz. „Jetzt stellt sich als Nächstes die Frage, wie dieses Geld wieder zurückgezahlt wird? Da werden auch neue gemeinsame Einnahmen der Europäischen Union eine wichtige Rolle spielen.“

Kaum mehr als Wunschdenken

Doch bisher stehen diese Einnahmen – in Brüssel spricht man von Eigenmitteln – nur auf dem Papier. Bei ihrem „historischen“ Gipfeltreffen im Juli haben sich Kanzlerin Angela Merkel und ihre Amtskollegen zwar auf neue EU-Schulden in Höhe von 750 Milliarden Euro geeinigt. Zu den Eigenmitteln gab es aber nur Absichtserklärungen.

Lediglich eine Abgabe auf nicht recyceltes Plastik ist schon beschlossene Sache. Der Rest ist kaum mehr als Wunschdenken. Eine Digitalsteuer, eine Finanztransaktionssteuer und eine Ausweitung des umstrittenen europäischen Handels mit Emissionszertifikaten stehen ebenso auf dem Papier wie eine CO2-Grenzsteuer.

Einen halbgaren Deal durchwinken

Scholz will nun Druck machen, damit aus dem Wunsch doch noch schnell Wirklichkeit wird. Denn ohne neue Eigenmittel könnte die EU nicht einmal den Schuldendienst finanzieren, der nach dem Gipfelbeschluss auf kommenden Generationen lastet. Das schuldenfinanzierte Corona-Hilfsprogramm mit dem blumigen Titel „Next Generation EU“ würde dann zu einer schweren Hypothek auf die Zukunft.

Das ist nicht der einzige Makel, der auf dem neuen EU-Finanzplan lastet. Das Europaparlament, das den Gipfeldeal noch absegnen muß, hat eine ganze Reihe von Problemen entdeckt. Und es sieht nicht so aus, als könnten sie in absehbarer Zeit gelöst werden. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass die EU-Abgeordneten in den sauren Apfel beißen und einen halbgaren Deal durchwinken müssen – frei nach dem Motto: Erst die Schulden, dann die Steuern und die anderen lästigen Details.

Immer mehr verwässert

Ganz oben auf der Liste der ungelösten Probleme steht die Frage, wie es die EU künftig mit dem Rechtsstaat hält. Werden die Zahlungen aus dem neuen, rund eine Billion Euro schweren EU-Budget an die Rechtsstaatlichkeit gebunden, wie Merkel es in einer flammenden Rede vor dem Europaparlament versprochen hat? Müssen Ungarn und Polen mit Kürzungen rechnen? Oder bleiben das leere Worte?

„Die Grundrechte, sie sind das Erste, das mir in dieser Ratspräsidentschaft am Herzen liegt“, hatte Merkel bei der Vorstellung des deutschen Programms für den EU-Vorsitz erklärt. Freiheit und Demokratie seien das „wichtigste Gut“ Europas und dürften unter gar keinen Umständen nicht eingeschränkt werden, sagte sie mit Blick auf die umstrittenen Corona-Notstandsgesetze in Ungarn. 

Doch wenige Tage später, beim EU-Gipfel, setzte Merkel ganz andere Prioritäten. Der Rechtsstaat spielte bei den viertägigen dramatischen Beratungen nur noch eine Nebenrolle. Ein ursprünglich geplanter starker Mechanismus, mit dem die Auszahlung von EU-Mitteln an Länder wie Polen oder Ungarn gestoppt werden könnte, wurde im Laufe der Sitzung immer mehr verwässert.

Beim Rechtsstaat könne man nicht viel tun

Am Ende hatte Ungarns Regierungschef Viktor Orbán sein Ziel erreicht und dem Rechtsstaats-Mechanismus die Zähne gezogen. Doch damit wollen sich weite Teile des Europaparlaments nicht abfinden. Man fordert, dass der Mechanismus – entgegen dem Gipfel-Beschluß – leichter ausgelöst und nur mit qualifizierter Mehrheit gestoppt werden kann. Außerdem wollen die Abgeordneten über die Vergabe von Finanzhilfen aus dem neuen Wiederaufbaufonds mitbestimmen.

In den ersten Verhandlungsrunden biss das Verhandlungsteam des Parlaments jedoch auf Granit. Der deutsche EU-Botschafter Michael Clauß, der in den Gesprächen die Bundesregierung vertritt, sagte den Abgeordneten, dass sie sich mit kleinen Änderungen zufrieden geben müßten. Beim Rechtsstaat könne man nicht viel tun. Mehr Geld für Bildung und Gesundheit werde es leider auch nicht geben.

Ausgerechnet bei Bildung und Forschung

Dabei ist dies der dritte Makel, und er ist besonders peinlich für die EU und ihren deutschen Vorsitz. Ausgerechnet an der Gesundheit, der Forschung und bei bewährten und überaus beliebten EU-Angeboten wie dem Studentenaustausch-Programm Erasmus wollen Merkel und die anderen Staats- und Regierungschefs sparen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bisher immer gefordert, dass das EU-Budget modernisiert und auf neue Aufgaben wie Bildung und Gesundheit zugeschnitten werden müsse. Doch beim Gipfel  landeten diese Posten auf der Resterampe. Die Europaabgeordneten wissen zwar noch die EU-Kommission an ihrer Seite, die ebenfalls mehr Geld fordert. Doch viel Hoffnung auf Nachbesserungen haben sie nicht mehr.

Orbán droht bereits mit Blockade

Wenn nicht alles täuscht, wird sich auch in den kommenden Verhandlungsrunden nicht viel ändern. Beim Rechtsstaat und beim Streit ums Geld für zukunftsträchtige Programme gebe es kaum Bewegung, sagt etwa der grüne Europaabgeordnete Rasmus Andresen, der dem Verhandlungsteam des Parlaments angehört. Beim Rechtsstatt „müssen wir ein wenig Hardball spielen“, sagt Jens Geier, der Chef der SPD-Gruppe im Europaparlament.

Doch das können andere besser, und sie haben längst damit begonnen. So hat Orbán bereits damit gedroht, das gesamte EU-Budget einschließlich der dringend benötigten Hilfsprogramme für den Wiederaufbau zu blockieren, falls beim Rechtsstaat die Daumenschrauben angezogen werden. Darauf kann der deutsche EU-Vorsitz verweisen, wenn das Europaparlament erneut Nachbesserungen fordert.

Und was wird aus den EU-Steuern? Auch da sieht es mau aus. Denn bei einigen Wünschen, etwa der Digitalsteuer, tritt Deutschland selbst auf die Bremse. Auch das Europaparlament hat es nicht eilig. Zur Tilgung der gemeinsamen Schulden solle die EU schnell – bis 2024 – neue Eigenmittel einführen, fordern die Abgeordneten. Man will sich also noch vier Jahre Zeit lassen. Beim Finanzminister-Treffen in Berlin, so viel steht fest, wird es noch keine Beschlüsse geben.

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