Energiewende - Oranienburg: Kein Strom für neue Netzanschlüsse

Strom-Engpass im brandenburgischen Oranienburg: Laut Bundesnetzagentur ist lediglich persönliches Versagen örtlicher Beteiligter daran schuld. Denn die Behörde möchte ungern über die Folgen der grünen Energiewende reden.

Zur Kaiserzeit ging’s in Oranienburg doch auch ohne Strom / dpa
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Jörg Rehmann ist Journalist und Filmemacher aus Rheinland-Pfalz.

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Ein kühler Mittwoch, jener 10. April dieses Jahres, als eine kleinere Stadt im Süden des Landkreises Oberhavel eine Pressemeldung herausgab. Das brandenburgische Oranienburg hat sich seit der Wende von 28.000 auf heute knapp 50.000 Einwohner gemausert. Eine Mittelstadt, und seit 1993 Kreisstadt des neu geschaffenen Landkreises Oberhavel. Politisch bemerkenswert ist, dass die Stadtverordnetenversammlung seit der Kommunalwahl 2019 ohne Koalition arbeitet. Wie die Orgelpfeifen gliedern sich die neun Fraktionen von der führenden SPD mit flachen 20,3 Prozent bis zur Piratenpartei mit 2 Prozent. Größte Verluste gegenüber 2014 hatten zuvor die SPD (minus 7,7 Prozent) und Linke (minus 10,4 Prozent) erlitten. Größter Gewinner war die AfD (plus 17,1 Prozent). Regiert wird seither möglichst pragmatisch mit regen Diskussionen aller Beteiligten und wechselnden Mehrheiten. Spektakuläres findet man kaum. 

War’s das? Eher nicht. Denn jene Pressemeldung vom 10. April katapultierte das beschauliche Oranienburg in die Top-Schlagzeilen der Energiewende-Mühle: „Kapazitätsengpass im Stromnetz“  – was unter normalen Umständen eher Lokalkolorit gewesen wäre, erregte schnell das Aufsehen einer von drohendem Strommangel verängstigten Republik. „Einer Stadt geht der Strom aus“, titelte die Welt, „Akkus statt Netzanschluss?“, fragte der RBB, „Stromnotstand“ rief der Focus, und im Internet überschlugen sich schnell die Kommentare. Doch was war vor Ort tatsächlich passiert?

Unübersichtliche Gemengelage

Ein regionaler Versorger informiert über einen Lieferengpass beim Strom: „Die Stadtwerke Oranienburg GmbH haben am Montag die Bundesnetzagentur darüber informiert, dass im vorgelagerten Hochspannungsnetz keine ausreichende Leistung zur Verfügung steht.“ In der Folge könnten Hausanschlüsse vorübergehend nicht genehmigt werden. Die Formulierungen legten nahe, dass nicht genügend Strom zur Verfügung steht. Man arbeite bereits an Lösungen. Nassforsch keilt die Bundesnetzagentur umgehend nach, die Versorgung vor Ort sei aufgrund von „Fehleinschätzungen nicht akzeptabel.“ 

Recherchen anderer Redaktionen, aber auch Wirtschaftsdaten der Stadt zeigen eine starke Prosperität durch deutlichen Einwohnerzuwachs, mehr Industrie und Baugebiete. Auch sei der verstärkte Zubau von Wärmepumpen ein Grund, weshalb auf der Nachfrageseite der Strom nicht mit dem technischen Ausbau mithalten konnte. Schwachstelle sei ein Umspannwerk, das einfach zuwenig Kapazitäten habe. Im Spiegel wird ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums zitiert, der bestimmend konstatierte, der Betreiber des Stromversorgungsnetzes und die Stadtwerke müssten mit den Anforderungen auf der Abnehmerseite Schritt halten. 

 

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Eine Erklärung der Bundesnetzagentur vom 17.4. wird da schon deutlicher. Erst einmal bemüht sich die von Klaus Müller (Grüne) geleitete Agentur, den Zubau von Wärmepumpen und Wallboxen für E-Autos als Teil der Ursache kleinzureden. Die Stellungnahme seiner Behörde fokussiert auf mangelnde Vorsorge der Stadtwerke angesichts der gestiegenen Nachfrage. So werden die Stadtwerke Oranienburg und der Netzbetreiber EDIS explizit „aufgefordert, nach Übergangslösungen zu suchen“, um den Engpass mit dem bestehenden Umspannwerk zu überbrücken. Ziemlich ruppig endet das Papier in dem Hinweis, man habe kraft Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) rechtliche Möglichkeiten zur Kontrolle und Durchsetzung. Fast im Kasernenhofton folgt, dass „aufsichtsrechtliche Maßnahmen“ drohen, falls die Akteure vor Ort nicht parieren. 

Ein etwas anderes Bild entwirft eine Darstellung aus der örtlichen Fraktion der Piratenpartei, der mit 2 Prozent kleinsten im Stadtrat vertretenen Gruppe. Ihr Stadtverordneter Thomas Ney stellt den Versorgungsengpass recht sachlich und nachvollziehbar als Spätfolge örtlicher Querelen dar. So habe der Netzbetreiber EDIS die Stadtwerke schon 2017 informiert, dass das bestehende Umspannwerk an seine Leistungsgrenze komme und erweitert werden müsse. Dies sei jedoch von dem inzwischen entlassenen Geschäftsführer nicht umgesetzt worden. Ney äußert den Verdacht, „dass die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur zugunsten eines höheren Gewinns der Stadtwerke bewusst nicht vorgenommen wurden – womöglich auch wegen einer gewinnabhängigen Vergütungskomponente.“ Hiervon habe der Bürgermeister in seiner aufsehenerregenden Presseerklärung ablenken und stattdessen den erhöhten Strombedarf der Prosperität der Stadt zuweisen wollen. Schnell hat sich also ein Schuldiger für das Versagen gefunden. Sind damit alle Zweifel an den Umständen der Energiewende zerstreut?

Gottgleiche Worte

Gott sprach: Es werde Licht – und es ward Licht. Was bei Gott zumindest laut Moses‘ biblischer Schöpfungsgeschichte auf Ansage funktionierte, gestaltet sich beim Menschen schwierig. Genau genommen dauerte Gottes Lichtplanung auch Jahrmillionen. Gott nahm sich Zeit, doch Klimafanatiker treiben die Politik zu immer neuen Schnellschüssen. Die deutsche Energiewende begann mit Anlagenbau, ohne dass die nötigen Leitungen vorhanden waren. Sie ist das Paradebeispiel für ein beispiellos hochkomplexes Programm, dem gemessen am gigantischen Umfang zu wenig Planungs- und Entwicklungszeit zugestanden wird. Statt Sachargumente für gute Konzepte zuzulassen, sind geschürte Katastrophenängste das Treibmittel fragwürdiger Akteure. Klimaschutz ist nur wirksam, wenn er kontinental gedacht und gemacht wird. Aber parlamentarische Prozesse sind Aktivisten zu schwerfällig. Sie ereifern sich in immer engeren Zeitfenstern und strengeren Klimazielen. Deren engagierteste Verfechter, die Grünen, gleichen nur noch Aktionisten. 

„Die Betreiber von Energieversorgungsnetzen sind nach dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) verpflichtet, Letztverbraucher, gleich- oder nachgelagerte Energieversorgungsnetze sowie Erzeugungs- und Speicheranlagen zu angemessenen, diskriminierungsfreien und transparenten Bedingungen an ihr Netz anzuschließen“, so formuliert es die Bundesnetzagentur. Damit müssen regionale Versorger Leistungen vorhalten, und wenn die regionalen Verhältnisse dies personell oder materiell nicht zulassen, müssen sie sehen, wie sie zurechtkommen. 

Die Ursachen im Fall der Stadtwerke Oranienburg taugen ganz sicher nicht, um die Energiewende per se infrage zu stellen. Auch dass der frühere Geschäftsführer laut Stadtrat Ney vertraglich angehalten gewesen sei, vor allem Gewinne zu erwirtschaften, war bundesweit üblich. Oranienburg kam unter immer stärkerer Beschleunigung der Energiewende zwischen die Mühlsteine einer immer hektischer reagierenden Politik, die Vorgaben macht, ohne sich noch um die Entwicklungszeit von deren Umsetzung zu kümmern. Weder Evidenz noch Technik bestimmen das Vorgehen, sondern eine zunehmend autokratisch agierende Politik. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) ächzt mit 1400 Mitarbeitern unter einer Flut von 70 Förderprogrammen. 95 Prozent der Anträge konnten nicht fristgerecht bearbeitet werden, so der Bundesrechnungshof.  

Auf allen Gebieten verkündet deutsche Politik inzwischen irrwitzige Maßgaben, die den realen Handlungs- und Steuerungsbedingungen nur noch spotten. Sei es das Recht auf Kitaplätze, der Zugang zu öffentlichem Personenverkehr, die Pflicht zu Pausenzeiten für LKW-Fahrer, Migration, Klimaschutz oder das Anschlussrecht aufs Stromnetz. Hier eine geradezu gottgleich tönende Politik, und dort entgleisende Strukturen allenthalben: keine Voraussetzungen für Kitaplätze, keine Parkplätze für LKW, keine Stromleitungen, Speicher, Umspannwerke oder schlichtweg keine Leute, die sich den Zirkus noch antun wollen. Deutschland – so ein Experte, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte – sei immer weniger systemfähig. Der Sinn für harmonisches Zusammenwirken von Prozessen sei verlorengegangen unter widerstreitenden Grabenkämpfen und Ideologien. 

Man kann den Grünen nicht vorwerfen, dass sie angesichts der Herausforderungen des Klimawandels aufscheuchende Politik machen wollen. Doch wer so vorgeht, muss für die Folgen des angefachten Sturmes vorbereitet sein. Das sind weder die Grünen noch die Gesamtheit regionaler Versorger. Die Grünen selbst sind es, die Kernkraftwerke wider besseres Wissen unter hochmanipulativen Umständen abschalten und dann Diskussionen um Rationierung von Strom nähren. Sie verkennen, dass (wie in Baden-Württemberg) auch eine App, die zum zeitweiligen Verzicht auf Stromnutzung anhält, kein Vertrauen fördert. Um fehlende Ressourcen zu kompensieren, fordern Netzbetreiber eine Überhöhung der Anlagenauslastung über die Nennwerte hinaus. Die Netzbetreiber wiederum klagen (etwa in Bayern), der Solarboom überfordere das Stromnetz. 

Und in diesem chaotischen Dissonanzkonzert soll die Causa Oranienburg laut Bundesnetzagentur nur persönliches Versagen einiger weniger sein? Der Pressesprecher der energiewendekritischen Organisation „Vernunftkraft“, Christoph Canne, erinnert an die Warnung der Chefs von RWE und e.on, „dass Netzausbau und Erneuerbaren-Ausbau viel stärker synchronisiert werden müssen, was nicht zuletzt heißt, dass der EE-Ausbau so nicht weiter vorangetrieben werden kann.“ Denn mit exzessivem Ausbau potenzieren sich die nachgelagerten Herausforderungen in Technik und Logistik, die schon lange ihren Anteil an stetiger Verteuerung der Beikosten von Strom verursachen. 

Gott sprach, es werde Licht, und es ward Licht. Aber Robert Habeck ist nicht Gott und die deutsche Form der Energiewende alles andere als der Himmel.

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