„Doppelwumms“ gegen steigende Gas-Preise - Die Einschläge rücken näher

Mit einem 200 Milliarden Euro umfassenden Abwehrschirm will die Bundesregierung gegen die massiv steigenden Energiepreise vorgehen. Das mag in der aktuellen Misere zwar halbwegs vernünftig sein, setzt letztlich aber völlig falsche Signale. Zumal am eigentlichen Problem nicht gerührt wird. Die Wirtschaftsinstitute stellen sich derweil ein auf „Inflation, Rezession, Wohlstandsverlust“.

Olaf Scholz verkündet per Videoschaltung den „Doppelwumms“ / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Nach dem Corona-Wumms jetzt der Energie-„Doppelwumms“: An griffigen Wortbildern mangelt es der Bundesregierung jedenfalls nicht. Olaf Scholz, bei der Verkündigung des Einfachwumms noch Bundesfinanzminister, hat heute als Bundeskanzler also gleich die zweifache Ladung in Aussicht gestellt.

Die Preise müssten runter, so Scholz an diesem Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Berlin. Und die Bundesregierung werde „alles tun“, damit Rentner, Familien, Handwerksbetriebe sowie Industrieunternehmen die massiv gestiegenen Gaspreise bezahlen könnten. Die Pläne versetzen die Regierung laut Scholz in die Lage, auf die vorgesehene Gasumlage zu verzichten: Diese werde „nicht mehr gebraucht“. Ein bis zu 200 Milliarden Euro umfassender „Abwehrschirm“ soll stattdessen über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds eingerichtet werden und den Energieverbrauch letztlich massiv subventionieren.

Nach der Hängepartie der vergangenen Tage und Wochen ist die heute verkündete Lösung immerhin ein Zeichen dafür, dass die Ampelkoalition noch zu Kompromissen in der Lage und handlungsfähig ist. Das ist die gute Meldung. Die schlechte: Der Abwehrschirm wird am eigentlichen Problem, nämlich der Gasknappheit, nichts ändern. Diese dürfte sich eher noch verschärfen, zumal selbst Sabotageakte gegen die entsprechende Infrastruktur seit den Explosionen an den Nord-Stream-Ostseepipelines in diesem massiv sich ausweitenden Wirtschaftskrieg nicht mehr ausgeschlossen werden können.

Gigantisches Subventionsprogramm

Mit einem „Doppelwumms“ werden also allenfalls private und betriebliche Schieflagen ökonomischer Art fürs erste abgemildert werden können. An der Gefahr einer Verarmung der Bevölkerung und an der drohenden Deindustrialisierung der Bundesrepublik ändert sich auf mittlere Sicht überhaupt nichts. Denn das Geld für dieses gigantische Subventionsprogramm muss ja letztlich irgendwie erwirtschaftet werden. Dass die Neuverschuldung formal nicht ausgeweitet wird, ist nichts anderes als politische Wolkenschieberei.

Der „Abwehrschirm“ mag erste Nöte durchaus lindern (und sollte deshalb auch nicht in Bausch und Bogen schlechtgeredet werden), aber er setzt natürlich auch ein verheerendes Signal. Denn die Preise für Gas spiegeln künftig nicht mehr dessen Knappheit wider und werden deshalb die falschen Anreize setzen: Sparsamer Verbrauch müsste eigentlich das Gebot der Stunde sein, eine breite Subventionierung wirkt da völlig kontraproduktiv. Nicht ohne Grund warnt Netzagentur-Chef Klaus Müller eindringlich vor einem weiterhin unbesorgten Verbrauch; trotz massiv gestiegener Preise habe der Gaskonsum in der vergangenen Woche um rund 14,5 Prozent über dem Mittelwert der Jahre 2018 bis 2021 gelegen.
 

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Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute konstatieren derweil eine „krisenhafte Zuspitzung“ auf den Gasmärkten und eine damit einhergehende schwere Belastung für die deutsche Wirtschaft: Die stark gestiegenen Gaspreise „erhöhen die Energiekosten drastisch und gehen mit einem massiven gesamtwirtschaftlichen Kaufkraftentzug einher“, heißt es in einer an diesem Donnerstag verbreiteten Mitteilung. Trotz eines Rückgangs in der zweiten Jahreshälfte dürfte das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr zwar noch um 1,4 Prozent wachsen, doch für das kommende Jahr erwarten die Institute einen Rückgang um 0,4 Prozent. „Inflation, Rezession, Wohlstandsverlust“: So lautet – wörtlich – der Dreiklang der heute veröffentlichten Gemeinschaftsdiagnose.

Druck vom Kessel nehmen

Der „Doppelwumms“ ist auch in anderer Hinsicht eine politische Verzweiflungstat. Denn schon jetzt zeichnet sich, ausgehend von den östlichen Bundesländern, aufgrund der Energiekrise eine massive gesellschaftliche Destabilisierung ab. Hier gilt es für die Bundesregierung, mit viel Geld den Druck vom Kessel zu nehmen, um den Rückhalt der Bevölkerung mit Blick auf die Sanktionen gegen Russland und den dadurch ausgelösten Gas-Krieg nicht genauso schnell zu verlieren wie die Außentemperaturen derzeit fallen.

Bei Lichte besehen, handelt es sich bei den 200 Milliarden Euro also um Kriegsanleihen in einem hybriden Konflikt, wie ihn die Welt bisher noch nicht erlebt hat. Putin spielt auf Zeit – und wer den längeren Atem hat, das wird sich erst noch zeigen. Was wir derzeit erleben, ist nur das Vorgeplänkel einer Zeitenwende, die in ihrer Dimension noch überhaupt nicht überschaut werden kann.

Widersinniges Fracking-Tabu

Dass vor diesem Hintergrund nicht alles dafür in Bewegung gesetzt wird, um bei der Energieversorgung unabhängig von anderen Ländern zu werden, das ist der eigentliche Skandal dieser Tage. Lieber nimmt man den sich beschleunigenden Abstieg der Industrienation Deutschland in Kauf, als den Wiedereinstieg in die Kernkraft oder die Abkehr vom widersinnigen Fracking-Tabu überhaupt nur in Erwägung zu ziehen. Claudia Kemfert, die Talkshow-Energieexpertin vom DIW, bezeichnete den möglichen Weiterbetrieb deutscher Atomkraftwerke heute wörtlich als einen „schlechten Witz“ und sprach sich dafür aus, Frankreich dabei zu helfen, „eine konsequente Energiewende umzusetzen“. Ob die Franzosen mit Blick auf die Bundesrepublik sich da wirklich Unterstützung aus Deutschland erhoffen, dürfte zu bezweifeln sein.

Die Einschläge rücken näher. Und der Begriff „Doppelwumms“ klingt in diesem Zusammenhang alles andere als beruhigend.

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