DFB-Präsident - Werte und Zeichen

Die Debatte über die WM in Katar ist verstummt, die über die Zukunft des Fußballs aber wird andauern. Eine Schlüsselfigur dabei ist Bernd Neuendorf, der Präsident des Deutschen Fußballbunds. Das Problem: Er ist noch kein Jahr im Amt, aber schon empfindlich geschwächt.

DFB-Präsident Bernd Neuendorf (l.) mit Fifa-Chef Gianni Infantino während der Fußball-WM in Katar / dpa
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Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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Die sonntägliche Talkshow „Doppelpass“ ist der Inbegriff seichter Fußballunterhaltung. Seit den 1990er Jahren diskutieren in der Sendung Sportjournalisten, ehemalige Fußballprofis und Funktionäre über das Geschehen auf und um den Rasen, während die Zuschauer genüsslich ihr Weizenbier süffeln. Von gemütlicher Seichtigkeit war in der ersten Sendung nach dem Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft in Katar jedoch nicht viel zu spüren.

Dafür war nicht nur das zweite Vorrunden-Aus in Folge während einer Weltmeisterschaft verantwortlich, sondern auch das Auftreten der DFB-Verantwortlichen. In einem Einspieler zu der mittlerweile berühmt-berüchtigten „One Love“-Binde, mit welcher der Deutsche Fußballbund (DFB) sowie die Verbände aus England, Wales, den Niederlanden, Belgien, Dänemark und der Schweiz bei dem Wüstenturnier für Vielfalt und Menschenrechte demonstrieren wollten, wurde dem DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf nicht nur ein „Rückgrat aus Wackelpudding“ attestiert, sondern auch gleich ein Spitzname verpasst: „Wackel-Bernd“. 

Mund zu und Klappe halten

Denn eine Sanktionsdrohung des Weltfußballverbands Fifa reichte aus, um die zusätzliche Kapitänsbinde schnell wieder in den Reisekoffer verschwinden zu lassen. Während die anderen Verbände das Thema damit ruhen ließen, hielt sich die deutsche Auswahl beim Mannschaftsfoto vor dem ersten und verlorenen Gruppenspiel gegen Japan die Münder zu. Laut Medienberichten sollen Kapitän Manuel Neuer und Leon Goretzka diese Protestgeste gegen den Willen ihrer Mitspieler durchgesetzt haben.
 

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Beraten wurde der DFB dabei wohl auch noch von einer Kommunikationsagentur, die unter anderem für den sozialdemokratischen Bundeskanzler Olaf Scholz Kampagnen konzipierte. Mitglied der SPD ist auch Bernd Neuendorf. Von 2007 bis 2012 war er Parteigeschäftsführer in Nordrhein-Westfalen und wurde dann verbeamteter Staatssekretär der rot-grünen Landesregierung. Nach deren Ende begann er seine Karriere als Fußballfunktionär, die ihn diesen März an die Spitze des DFB führte.

„Von Spielern wird immer erwartet, dass sie sich bekennen und Zeichen setzen. Wir haben überlegt, wie wir die Spieler einbinden“, sagte der Verbands­präsident drei Wochen vor der WM bei einer Podiumsdiskussion in Dortmund. „Ich wehre mich gegen den Begriff Arbeitsteilung zwischen Funktionären und Spielern. Die Spieler sind sehr intelligente und mündige junge Persönlichkeiten, die sich sehr wohl mit der Lage beschäftigt haben. Niemand soll denken, den Spielern sei egal, was dort passiert.“ 

Verdrängt von Watzke

Mit Politischen Botschaften in Katar wollte der 61-Jährige offenbar auch den ramponierten Ruf des DFB aufpolieren. Was der mit sieben Millionen Mitgliedern weltweit größte nationale Sportverband nach der „Sommermärchen“-Affäre, Steuerrazzien, internen Machtkämpfen samt Nazivergleichen und seit 2015 insgesamt drei verschlissenen Präsidenten dringend nötig hat. Und als ob die vielen negativen Schlagzeilen nicht schon genug wären, entfremdeten sich zudem die Fans von der Nationalmannschaft. So manch ein Drittligist absolvierte in letzter Zeit mehr Partien in einem ausverkauften Stadion als die DFB-Elf. Für den Verband ist das auch ein wirtschaftliches Problem. 

Einnahmen braucht der DFB allerdings dringend. Obwohl der Verband 2021 operativ ein Plus von 18,4 Millionen Euro aufwies, muss er für das vergangene Jahr einen Verlust von 30,9 Millionen Euro verbuchen. Verantwortlich dafür sind Steuernachzahlungen, der drohende Entzug der Gemeinnützigkeit und andere Sünden der Vergangenheit. Willkommen wären daher die WM-Prämien der Fifa: Allein für die Teilnahme an der Gruppenphase zahlte der Weltverband eine Prämie von 8,6 Millionen Euro. So viel wie noch nie bei einer Weltmeisterschaft. 

Zeichen setzen und über Werte reden

Als großer Verlierer darf sich aber auch Neuendorf fühlen. Denn als der neue starke Mann, oder wie der Spiegel in diesen Wochen titelte: „Schicksalsmacher“ im deutschen Fußball, gilt nach dieser WM nicht er, sondern Hans-Joachim Watzke. Dieser ist nicht nur langjähriger Geschäftsführer von Borussia Dortmund, sondern auch Aufsichtsratsvorsitzender des Ligaverbands DFL, Vize-Präsident des DFB und dessen Vertreter beim europäischen Fußballverband Uefa.

Es ist eine Machtfülle, die der Sauerländer zu nutzen weiß. Watzke forcierte nicht nur den vorzeitigen Abgang der DFL-Geschäftsführerin Donata Hopfen, sondern auch den Rücktritt des in den vergangenen Jahren viel kritisierten Oliver Bierhoff von seinem DFB-Amt. Bei der Neustrukturierung des Verbands spielt Neuendorfs Stellvertreter eine zentrale Rolle. Der Präsident selbst darf Zeichen setzen und über Werte reden.

 

Dieser Text stammt aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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