Chinas Probleme wegen seiner Corona-Abriegelungen - Opfer der eigenen Strategie

Mit seiner Null-Covid-Strategie und den massiven Abriegelungen hat sich China in eine Sackgasse manövriert. Die wirtschaftlichen Folgeschäden sind enorm, es droht eine politische Destabilisierung. Hinzu kommen Lieferkettenprobleme und Engpässe bei der Versorgung mit Kohle. Auch Pekings Haltung gegenüber Russland könnte Nachteile mit sich bringen. Eine gefährliche Mischung.

Positiv auf Corona getestete Personen werden in Schanghai zur Unterbringung in der Isolation abgeholt / picture alliance
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Autoreninfo

Antonia Colibasanu ist Analystin bei Geopolitical Futures und Dozentin an der rumänischen National Defence University mit Sitz in Bukarest.

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Shanghai, Chinas größte Stadt und Finanzzentrum, ist seit dem 1. April streng abgeriegelt, um einen Ausbruch der Omikron-Virusvariante einzudämmen. Obwohl die Regierung erwägt, die Beschränkungen von dieser Woche an zu lockern, werden in anderen Teilen Chinas wahrscheinlich bald strenge Beschränkungen eingeführt, da sich das Virus im ganzen Land ausbreitet. Gerüchten zufolge werden Guangzhou (ein Verkehrsknotenpunkt im Süden), Suzhou (eine Industriestadt im Osten), Shenzhen (ein Technologiezentrum im Süden) und Xiamen (eine Hafenstadt im Südosten) als nächste betroffen sein.

Am wichtigsten ist vielleicht, dass es Anzeichen dafür gibt, dass auch die Hauptstadt Peking bald eine Abriegelung verhängen könnte. Die Einwohner haben bereits damit begonnen, Lebensmittelvorräte anzulegen, und gegen den Direktor der städtischen Gesundheitsbehörde wurde am 16. April ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil er angeblich gegen nicht näher bezeichnete Vorschriften verstoßen hat.

Die Abriegelungen erhöhen den Druck sowohl auf China, wo die Frustration über die Beschränkungen wächst, als auch auf die Weltwirtschaft, die in den zurückliegenden zwei Jahren bereits massive Unterbrechungen der Versorgungskette erlebt hat. Um zu verstehen, warum Peking so reagiert, müssen wir uns aber zunächst die einzigartigen Beschränkungen anschauen, mit denen die Regierung konfrontiert ist.

Überlastung der Gesundheitsdienste

Es mag seltsam erscheinen, dass die chinesische Regierung zu einer Zeit, in der sich der Rest der Welt in Sachen Corona wieder öffnet, derart strenge Maßnahmen verhängt. Doch angesichts der steigenden Infektionszahlen und der Überlastung der Gesundheitsdienste hat sich Peking selbst in die Enge getrieben. Früher wurde der Erfolg der strikten Null-Covid-Strategie als Ausdruck dafür angepriesen, dass die Regierung die Krise besser als andere Länder bewältigt – und deshalb kann diese Politik jetzt nicht einfach aufgegeben werden.

Da sich das Virus jedoch auf immer mehr Städte ausbreitet, wird diese Strategie für die Regierung zu einer politischen Belastung. Die Erwartung der Öffentlichkeit, dass Abriegelungen die Bevölkerung vor dem Virus schützen, hat dazu beigetragen, dass die Impfrate unter älteren Chinesen niedrig ist. Mehr als die Hälfte der chinesischen Bürger über 65 Jahre – mehr als 92 Millionen Menschen – haben noch immer keine drei Impfdosen erhalten. Etwa 20 Prozent der Bevölkerung im Alter von 60 Jahren und älter sowie mehr als 40 Prozent der über 80-Jährigen haben ihre erste Dosis noch nicht erhalten. Viele fürchten, dass die Nebenwirkungen des Impfstoffs schlimmer sind als eine Covid-Erkrankung selbst, während andere glauben, der Impfstoff wäre ohnehin nicht wirksam.

In der Tat ist der chinesische Sinovac-Impfstoff nicht so wirksam wie andere Vakzine. Und mit dem Auftauchen von Omikron, einer Variante, die im Westen als mild galt, ist dies zu einem noch größeren Problem geworden. In Hongkong führte die erste Omikron-Welle zur höchsten Covid-Sterblichkeitsrate der Welt. Was in Hongkong geschah, war nicht nur ein Beweis dafür, dass die niedrige Impfrate ein hohes Risiko für das chinesische Gesundheitssystem darstellt, sondern auch dafür, dass die geimpfte Bevölkerung nur unzureichend gegen das Coronavirus geschützt ist. Da sich das chinesische Gesundheitssystem und die chinesische Führung geweigert haben, die wirksameren, im Westen hergestellten Impfstoffe zu kaufen, stehen sie mit dem Auftreten von Omikron nun vor enormen Problemen.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation bietet Sinovac-CoronaVac eine 51-prozentige Wirksamkeit gegen symptomatische Sars-CoV-2-Infektionen und eine etwa 49-prozentige Wirksamkeit gegen Delta-Varianten. Seine Wirksamkeit gegen Omikron ist unbekannt. Im Vergleich dazu liegt die Wirksamkeit von Abriegelungen weltweit bei 50 Prozent – was erklärt, warum sie zu Beginn der Pandemie so schnell verhängt wurden, bevor Impfstoffe zur Verfügung standen.

Strenge Maßnahmen oder Impfstoff-Import?

China hat nun zwei Möglichkeiten. Die erste besteht darin, weiterhin strenge Verbote zu verhängen, wie es derzeit der Fall ist. Die zweite Option wäre, die westlichen Impfstoffe zu importieren (und damit zuzugeben, dass der chinesische Impfstoff nicht so wirksam ist) und eine weitere Massenimpfkampagne zu starten. In Anbetracht der Tatsache, dass China sich als pharmazeutischer Marktführer positionieren und seinen eigenen Covid-Impfstoff in andere Länder exportieren wollte, ist letzteres aber unwahrscheinlich.

Peking befindet sich also in einer Zwickmühle. Der 20. Nationale Parteitag, auf dem Präsident Xi Jinping voraussichtlich seine dritte Amtszeit antreten wird, ist für die zweite Hälfte des Jahres 2022 angesetzt. Und obwohl die Regierung gerade jetzt keine unpopulären Beschränkungen einführen will, sind Abriegelungen die einzige Möglichkeit, die Ausbreitung des Virus und den Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern. Aber eine Stadt, die dreimal so groß ist wie New York, unter Verschluss zu halten, ist gelinde gesagt schwierig. Zunächst einmal ist es schwierig, alle in ihren Häusern eingeschlossenen Bewohner mit Lebensmitteln zu versorgen. Dies ist eines der Probleme, die bei den Bewohnern Shanghais für Unmut gesorgt haben. Hinzu kommt die eingeschränkte Verfügbarkeit von Gesundheitsdiensten. Die wachsende Frustration führt zu Protesten und zivilen Unruhen. In Schanghai hat es bereits einige Demonstrationen gegeben. All diese Faktoren führen dazu, dass ein Null-Covid-Ansatz zunehmend undurchführbar wird.

Noch besorgniserregender als die Proteste sind für Peking die zunehmenden wirtschaftlichen Probleme, mit denen China aufgrund der Schließungen konfrontiert ist. Am 17. April gaben die Behörden in Schanghai einige Hinweise zu Maßnahmen, die Unternehmen ergreifen sollten, um die Produktion in der Stadt wieder aufzunehmen, etwa die Bevorratung mit medizinischen Hilfsmitteln und die Vorlage von Covid-Präventionsplänen für ihre Fabriken. Die chinesische Industrieregulierungsbehörde hat mehr als 650 Unternehmen aus der Halbleiter-, Automobil- und Medizinbranche als vorrangige Unternehmen identifiziert, die ihre Produktion wieder aufnehmen sollten.

Sinkende Monatseinkommen

Doch bereits nach drei Wochen strenger Abriegelung – und unterschiedlich starken Einschränkungen in anderen Regionen wie Jilin, einem wichtigen Technologie- und Landwirtschaftszentrum – kam es zu Problemen in den Lieferketten. Am 18. April ordnete Vizepremier Liu He die Einführung eines landesweit anerkannten Corona-Testpasses für Lkw-Fahrer an, damit diese Waren zwischen den Provinzen ausliefern können, ohne sich bei jedem Halt einer Kontrolle unterziehen zu müssen. Insgesamt gehen Experten davon aus, dass Chinas Sperrungen im April bereits zwischen 3 und 5 Prozent des monatlichen Bruttoinlandsprodukts gekostet haben – ein offenbar akzeptabler Preis für die Regierung. Gleichzeitig weisen chinesische Analysten darauf hin, dass das tatsächliche Monatseinkommen der Einheimischen um mehr als 50 Prozent sinken wird, was die chinesische Führung vor weitere Probleme stellen könnte.

Die chinesische Führung hat zwei Jahre lang behauptet, dass die niedrigere Covid-Todesrate in China die Überlegenheit des chinesischen politischen Modells zeige. Die Omikron-Variante stellt diese Behauptungen in Frage und könnte letztendlich die chinesische Wirtschaft destabilisieren. Und Xis Position ist im Moment noch schwächer als sonst. Er braucht vor dem Nationalkongress im Laufe des Jahres genügend Unterstützung der Elite, um das Aufkeimen von Dissens oder das Auftauchen potenzieller Herausforderer zu verhindern.

Hinzu kommt, dass dies zu einer Zeit geschieht, in der China bereits mit anderen wirtschaftlichen Problemen zu tun hat. Das erste – und für die Regierung wahrscheinlich beunruhigendste – ist die potenziell explosive Krise im Immobiliensektor, die durch den Immobilienriesen Evergrande verkörpert wird. Pekings Plan, das massiv verschuldete Unternehmen langsam zugrunde gehen zu lassen, um Marktpanik und Ansteckungsgefahren einzudämmen, wird durch die Schließungen und die daraus resultierende wirtschaftliche Instabilität gefährdet. Die Probleme von Evergrande könnten sich schneller und massiver auf den Immobilienmarkt ausbreiten und eine Finanzkrise auslösen.

Das zweite große Problem ist die Energieknappheit. China ist der größte Produzent, Verbraucher und Importeur von Kohle, die mehr als 60 Prozent des Strombedarfs des Landes deckt. Keine andere Energiequelle ist für China angesichts seiner großen industriellen Basis wichtiger. Das Land braucht billige Energie, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Obwohl China sich verpflichtet hat, seinen Kohleverbrauch vom Jahr 2026 an zu reduzieren und bis 2060 kohlenstoffneutral zu werden, wird es wahrscheinlich vorsichtiger sein, nachdem Kohleknappheit im Jahr 2021 nach einem chinesischen Verbot australischer Kohle zu Stromausfällen und Fabrikschließungen führte. Ein weiterer wichtiger Lieferant Chinas, Indonesien, verbot im Januar einen Monat lang die Ausfuhr von Kohle.

Die Lieferkettenkrise

Im Moment halten die Sperrungen die Produktion und den Energieverbrauch niedrig. Auch wenn die chinesischen Häfen noch nicht vollständig geschlossen sind, ähnelt die Situation doch der Lieferkettenkrise von 2020 mit Fabrikschließungen und Fahrermangel. Laut FourKites, einem in Chicago ansässigen Unternehmen, das Daten zur Versorgungskette sammelt, ging das Volumen der von Shanghai aus verschifften Waren zwischen dem 12. März und dem 4. April um 26 Prozent zurück, während das Volumen der den Hafen per Lkw verlassenden Waren um 19 Prozent sank.

Gleichzeitig teilte die Internationale Energieagentur am 13. April mit, dass sie ihre Prognose für die weltweite Kohle- und Ölnachfrage aufgrund der von China seit März verhängten Abriegelungen gesenkt habe. Auch die Preise für Öl und andere Brennstoffe sind seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine Ende Februar gesunken.

Chinas vorübergehende Abschaltungen verschaffen der Regierung Zeit, um das Energieproblem in den Griff zu bekommen. Seit den Stromausfällen im vorigen Jahr hat die Regierung die heimische Kohleförderung erhöht. Die Ausweitung des Bergbaus erfordert jedoch Zeit und Investitionen, und China muss sich in der Zwischenzeit auf den internationalen Märkten behaupten. Daher nutzt Peking die Stromsperren möglicherweise zum Teil auch dazu, um mit globalen Kohlelieferanten zu verhandeln, zu denen auch Russland gehört.

Wegen der Sperrungen muss die chinesische Regierung sicherlich auch über ihre Prioritäten und über Veränderungen in der Weltwirtschaft nachdenken. Während des Nationalen Volkskongresses und der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes im März in Peking wurde deutlich, dass eine der Hauptsorgen der Regierung die geringere Auslandsnachfrage nach chinesischen Produkten ist. Während der Pandemie verlagerte sich der weltweite Konsum auf Waren, aber jetzt wird er wieder auf Dienstleistungen umgestellt. Viele Länder haben damit begonnen, die lokale Produktion von Basisgütern zu erleichtern, um ihre Nachfrage zu sichern. Sollten die chinesischen Abriegelungsmaßnahmen anhalten, könnte sich die Abkehr von chinesischen Waren fortsetzen. Peking ist sich des Risikos bewusst, kann aber nur wenig dagegen tun, ohne seine Null-Covid-Politik aufzugeben.

Der Einmarsch Russlands in der Ukraine ist für China auch nicht von Vorteil, aber China kann wenig dagegen tun. Der Krieg hat die Unsicherheit auf den ohnehin instabilen Rohstoffmärkten erhöht. Er hat auch die bereits hohen Energie- und Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben – ein Trend, der sich in den kommenden Monaten fortsetzen dürfte. Diese höheren Inputpreise stellen Chinas Fähigkeit in Frage, Produktion und Exporte aufrechtzuerhalten. Im besten Fall könnte Peking, wenn es seine Karten richtig ausspielt, den Wirtschaftskrieg zwischen Russland und dem Westen zu seinen Gunsten nutzen.

Steigender Handel mit Russland

In der Hoffnung, das Beste aus dem Krieg herauszuholen, hat sich China den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen, auch wenn es sichergehen will, dass es keine Sekundärsanktionen gegen sich selbst riskiert. Im Vorfeld des Krieges, als Moskau mit Sanktionen rechnete, bemühte sich der Kreml um eine Ausweitung des Handels mit Peking. Chinesischen Zolldaten zufolge erreichte der Umsatz im chinesisch-russischen Handel von Januar bis Februar 26,4 Milliarden US-Dollar, was einem Anstieg von 38,5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht. Der Wert für 2021 wiederum lag um 35,8 Prozent über den Zahlen für 2020.

Da Russland aufgrund westlicher Sanktionen den Dollar und das Swift-Zahlungssystem nicht nutzen kann, haben China und Russland ihre Verträge neu ausgehandelt, um sie in Renminbi zu denominieren. Zuvor wurden nur 17 Prozent des bilateralen Handels in der chinesischen Währung abgewickelt. Die Sperrungen haben sicherlich zu einer Verlangsamung der russischen Exporteure geführt, die bei der Verschiffung ihrer Waren nach China auf logistische Probleme gestoßen sind. Die Neuverhandlung hat jedoch die Wiederaufnahme der russischen Energielieferungen nach China erleichtert, wobei zuerst Kohle und dann Rohöl geliefert werden sollen.

Die Aufrechterhaltung des Zugangs zu billigeren russischen Rohstoffen wird für die Bemühungen Chinas um ein Gleichgewicht zwischen Exporten und Wirtschaftswachstum sowie seiner Nullzollpolitik von entscheidender Bedeutung sein. Gleichzeitig braucht Moskau gerade jetzt Partner und hat daher ein eigenes Interesse daran, gute Beziehungen zu Peking aufrechtzuerhalten. Es benötigt jedoch mehr als nur billige russische Importe, um chinesische Produkte auf den westlichen Märkten wettbewerbsfähig zu halten. China riskiert durch seine engen Beziehungen zu Russland auch ein gewisses Reputationsrisiko.

Ironischerweise könnten eine geringere Nachfrage nach chinesischen Exporten und die daraus resultierende Schwächung der chinesischen Wirtschaft Peking und Moskau dazu bringen, sich einander anzunähern, um ihre Volkswirtschaften zu stabilisieren und dabei dem Westen entgegenzuwirken. Chinas bestehendes Wirtschaftsmodell müsste allerdings scheitern, damit Peking eine solche Strategie in Betracht zieht – und so wie es aussieht, kämpft China hart, um dieses Ergebnis zu vermeiden. Der Westen – und insbesondere die USA – sind für China derzeit am wichtigsten.

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