Bürgergeld ohne Sanktionen - Spätrömische Dekadenz

Mit dem neuen „Bürgergeld“ will Arbeitsminister Hubertus Heil Hartz-IV-Empfängern das Leben erleichtern. Wenn sie Jobs ablehnen oder Sprachkurse schwänzen, sollen sie keine Kürzungen mehr fürchten müssen. Das ist das falsche Signal zur falschen Zeit.

SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil will Sozialhilfeempfänger schonen, die nicht mit dem Jobcenter kooperieren / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Deutschland steht vor einer Wirtschaftskrise, die unser gesamtes Wohlstandsmodell bedroht. Selbst wenn das Gas im kommenden Winter doch ausreichen wird und Robert Habeck („Das war nie so gemeint, dass wir eine Art Wärmepolizei einführen“) doch nicht zum neuen Walter Ulbricht wird („Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“), kommt einiges auf uns zu.

Die Preise für Gas und Strom gehen durch die Decke. Das trifft derzeit vor allem Unternehmen. Den meisten Privathaushalten stehen saftige Preiserhöhungen und schmerzhafte Nachzahlungen noch bevor. Gleichzeitig droht die Rückkehr der längst nicht gelösten, sondern durch die Nullzinspolitik und Staatsschuldenkäufe der Europäischen Zentralbank nur aufgeschobenen Euro-Krise.

Und das, während die Bundesrepublik aus demografischen Gründen und wegen falscher Prioritäten in der Einwanderungs- und Bildungspolitik unter einem Fachkräftemangel leidet, der noch weiter zunehmen wird. Das bedeutet: Es werden diesem Land die Leistungsträger fehlen, um es nach der Krise wieder nach vorne zu bringen.

Träume vom Schlaraffenland

Das hindert den grün-roten Teil der Ampelkoalition allerdings nicht daran, seine Träume vom sozialstaatlichen Schlaraffenland in die Tat umzusetzen. Ein Wohlfahrtsparadies, in dem das Bürgergeld vom Himmel regnet. Treiber dieser Idee sind die Grünen. Sie setzen sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein, weil ihnen die Idee, sein Geld in der freien Wirtschaft zu verdienen, ohnehin eher fremd ist.

Und die SPD wiederum hat sich von ihren proletarischen Wurzeln so weit entfernt, dass sie meint, sich für ihre erfolgreiche Sozialstaatsreform unter Gerhard Schröder schämen zu müssen. Mit der im Koalitionsvertrag vereinbarten Umbenennung der Hartz-IV-Grundsicherung  in „Bürgergeld“, die nun vom Arbeitsminister Hubertus Heil in Angriff genommen wird, wollen die Sozialdemokraten ausgerechnet jene Politik überwinden, die das Land wirtschaftlich wieder stark gemacht hat.

Sechs Monate Vertrauenszeit

Bürgergeld – das klingt wie etwas, das dem Bürger zusteht, das er wie selbstverständlich bekommt, ohne dafür etwas leisten zu müssen. Und genauso ist es auch gemeint. Minister Heil, der seine „Eckpfeiler für das neue Bürgergeld“ diese Woche vorgestellt hat, will die bislang für Hartz-IV-Empfänger geltenden Regeln deutlich lockern. „Grundlage der Zusammenarbeit soll Vertrauen sein“, schreibt er. „In den ersten sechs Monaten, der sogenannten Vertrauenszeit, können deshalb künftig keine Leistungen mehr gemindert werden.“

Das klingt wunderbar. Sechs Monate haben der Bürgergeldempfänger und die ihn betreuende Sachbearbeiterin im Jobcenter dann Zeit, eine vertrauensvolle Beziehung zu knüpfen. Man kann sich in Ruhe kennenlernen und gegenseitig beschnuppern, ohne dass gleich die Sanktionskeule droht. Der Bürgergeldempfänger lehnt ein Jobangebot ab und schwänzt die vereinbarten Deutschkurse? Kein Problem. Das Geld fließt weiter in voller Höhe. Vielleicht braucht er ja nur noch etwas Eingewöhnungszeit.

Kritik auch aus der SPD

Eine grandiose Idee, die bereits praktiziert wird. Denn die Ampelregierung hat die Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Hartz-IV-Empfänger schon eingedampft. Daran gab es heftige Kritik – vor allem von Praktikern, auch solchen mit SPD-Parteibuch. Die Sanktionsbremse gelte nur übergangsweise, hieß es daraufhin zur Beruhigung. Nun will Heil aus der Übergangsregelung einen Dauerzustand machen, in Form seiner sechsmonatigen „Vertrauenszeit“.

In einst klassischen SPD-Milieus stößt das auf wenig Begeisterung. Denn das von Politikern großzügige verteilte Bürgergeld muss ja von irgendwoher kommen. Es sind die Steuern und Sozialabgaben des arbeitenden Teils der Bevölkerung.

Was sagt eine Supermarktkassiererin dazu?

Vielleicht sollte Hubertus Heil mal eine Supermarktkassiererin fragen, die kaum mehr verdient als jemand, der die Möglichkeiten des Sozialstaats voll ausschöpft, was sie von dieser Vertrauenszeit hält. Während sie jeden Morgen pünktlich zur Arbeit erscheinen muss, kann der Hartz-IV-Empfänger sechs Monate lang jeden Termin im Jobcenter sausen lassen und dessen Briefe allesamt ignorieren, ohne dass ihm Konsequenzen drohen.

Die Diagnose fällt hart aus: Der bundesrepublikanische Wohlfahrtsstaat, von dessen bürokratischer Fettleibigkeit auch so mancher SPD-Politiker zu profitieren weiß, ist kurz vorm Platzen. Er bräuchte eine Hungerkur, um zu überleben. Doch die Bundesregierung denkt gar nicht daran. Sie mästet ihn weiter und leistet sich damit jene „spätrömische Dekadenz“, vor der schon Guido Westerwelle seinerzeit warnte.

 

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