Ausblick auf die Weltwirtschaft 2024 - Ein schwieriges Umfeld erfordert Kreativität

Kriege, De-Risking, Friendshoring: Die geopolitischen Verwerfungen beeinträchtigen Volkswirtschaften auf der ganzen Welt. Und die Zunahme globaler Konflikte wird den Trend zur De-Globalisierung noch beschleunigen.

Hamburger Hafen / dpa
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Antonia Colibasanu ist Analystin bei Geopolitical Futures und Dozentin an der rumänischen National Defence University mit Sitz in Bukarest.

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Vor fast einem Jahr haben wir mehrere Trends aufgezeigt, die die Weltwirtschaft in den kommenden Jahren bestimmen werden. Es handelte sich dabei um die Neuausrichtung von Handel und Wirtschaft, Stagflation, Volatilität und eine wahrscheinliche Verlangsamung im Technologiesektor. Diese Punkte sind auch 2024 noch aktuell. Aber das bevorstehende Jahr wird auch mehr Klarheit bringen, insbesondere wenn sich die neue Richtung und Dynamik der Handels- und Investitionsströme zu einer neuen Normalität entwickeln. Im Folgenden erörtere ich drei Themen, denen wir im kommenden Jahr besondere Aufmerksamkeit schenken werden.

Anfang dieses Monats warnte Moodys vor einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit Chinas und verwies auf die wahrscheinlichen Kosten für die Rettung lokaler Regierungen und staatlicher Unternehmen sowie auf eine Immobilienkrise. Am nächsten Tag stufte die Rating-Agentur auch Hongkong und Macao sowie mehrere Banken herab. Moodys erklärte, Chinas Gesetz zur nationalen Sicherheit aus dem Jahr 2020 und die Wahlreformen hätten die Autonomie Hongkongs beeinträchtigt, was Fragen zur Rechtsstaatlichkeit und zum Investorenschutz aufwerfe.

Der Zufall wollte es, dass Moodys Entscheidung nur wenige Tage vor dem Beginn des lang erwarteten Prozesses in Hongkong gegen den China-Kritiker und Medienmagnaten Jimmy Lai fiel, dem eine lebenslange Haftstrafe wegen des Vorwurfs der geheimen Zusammenarbeit mit ausländischen Mächten, vor allem den USA, droht. Außerdem plant Hongkong für das nächste Jahr eine Verschärfung seiner Spionageabwehrgesetze, die dem Festland möglicherweise noch mehr Kontrolle einräumen.

Peking bemüht sich um Auslandsinvestitionen

Gleichzeitig verstärkt Peking jedoch seine Bemühungen, mehr Investitionen aus dem Ausland anzuziehen. Im November traf sich Präsident Xi Jinping (verbunden mit anderen freundlichen Gesten) zum ersten Mal seit einem Jahr wieder mit US-Präsident Joe Biden zu einem Gespräch. Außerdem hielt China zweimal im Jahrzehnt eine hochrangige Konferenz zur Überprüfung des Finanzsektors ab, die Central Financial Work Conference, die nach eigenen Angaben die Kernvision der Kommunistischen Partei Chinas für den Bankensektor unterstützt. 

Die Rolle des Finanzsektors, so die chinesische Führung, besteht darin, der eigentlichen Wirtschaft zu dienen, während die Regierung für die Aufrechterhaltung der Stabilität, die Kontrolle der Risiken und die Unterstützung der lokalen Innovation und Entwicklung verantwortlich ist. Dies war eine dramatische Veränderung gegenüber der Konferenz von 2017, bei der das Hauptaugenmerk auf der Bewältigung von Ungleichgewichten lag, die durch Schattenbanken, die Verschuldung lokaler Regierungen und durch die Immobilienblase entstanden waren.

In dem Konferenzbericht wird auch Pekings langfristiges Engagement für eine schrittweise Öffnung der chinesischen Wirtschaft für ausländische Investitionen und privaten Wettbewerb hervorgehoben. Die Herausforderung besteht darin, herauszufinden, wie man von hier nach dort kommt. Die Pandemie, das „De-Risking“ der westlichen Lieferketten, die höheren Zinssätze in den USA und Europa und die fallenden Preise für chinesische Vermögenswerte haben China kurzfristig Liquiditätsprobleme beschert. Darüber hinaus scheint die chinesische Führung die Kontrolle über die Volkswirtschaft nicht zu verlieren, sondern zu verstärken.

Indien könnte profitieren

Gegen Ende des Jahres 2023 ist immer noch unklar, wie es mit China weitergeht, aber was auch immer es sein mag, es wird auf der ganzen Welt Widerhall finden. Wenn es China nicht gelingt, seine Wirtschaft zu liberalisieren oder sogar die Kontrolle weiter zu zentralisieren, wird Indien wahrscheinlich davon profitieren. Obwohl Indien als Investitionsziel nicht so attraktiv ist wie China, ist es das einzige Land, das Chinas Größenvorteil für ausländische Unternehmen, die ihre Produktion in andere Länder verlagern oder dort aufbauen wollen, am ehesten wiederholen kann. Neben seiner günstigen demografischen Situation profitiert Indien auch von seiner blockfreien Außenpolitik. Mit der Zeit könnte das Land zu einer globalen Wirtschaftsmacht werden.

Kriege enden fast immer mit Verhandlungen, aber im Falle des Krieges zwischen Russland und der Ukraine werden die Gelegenheiten für die Staats- und Regierungschefs, sich im Jahr 2024 an einen Tisch zu setzen, rar gesät sein. Das Problem ist der Wahlkalender. In Russland finden im März Präsidentschaftswahlen statt, gefolgt von den Wahlen in den USA im November. Dazwischen wählen die Europäer im Juni das nächste Europäische Parlament, das eine neue Europäische Kommission ernennen wird. Auch in der Ukraine werden möglicherweise Präsidentschaftswahlen abgehalten; sie sind für Ende März angesetzt, obwohl die Regierung derzeit den Standpunkt vertritt, dass sie das Ende des Krieges abwarten sollte.

Wechsel an der Spitze Russlands sehr unwahrscheinlich

Ein Wechsel an der Spitze Russlands ist äußerst unwahrscheinlich, und die nächste Regierung wird die Neuausrichtung der russischen Wirtschaft weg vom Westen fortsetzen und die Auswirkungen der westlichen Sanktionen dämpfen. In den USA sorgt die soziale Polarisierung für ein angespanntes politisches Umfeld, und die Wirtschaft bleibt das Hauptthema. Wenn es auf dem ukrainischen Schlachtfeld nicht zu einem wundersamen Durchbruch auf beiden Seiten kommt, würde die Regierung Biden ein ernsthaftes politisches Risiko eingehen, wenn sie ihre Reputation für die Beendigung des Krieges aufs Spiel setzt.
 

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Angesichts der Aussicht auf einen noch längeren Krieg müssen die USA und Europa den Wiederaufbau ihrer Verteidigungsindustrie weiter vorantreiben. Russland, das schon viel früher auf eine Kriegswirtschaft umgestellt hat, hat einen großen Vorteil. Die westlichen Regierungen haben erst 2023 damit begonnen, ihre Militärausgaben ernsthaft zu erhöhen, aber die Preise und Zinssätze sind erst im Laufe des Jahres gestiegen. Außerdem sind die Politiker angesichts der bevorstehenden Wahlen nicht gewillt, die Steuern zu erhöhen, die Sozialausgaben zu kürzen oder von ihren Plänen zur Subventionierung der grünen Transformation, der Industrie und der Digitalisierung abzurücken. Die Haushaltszwänge der westlichen Regierungen werden gegen Ende 2024 immer deutlicher werden, zumal die Unterstützung der Ukraine mehr Ressourcen erfordert.

Vor diesem Hintergrund werden die westlichen Regierungen das Geld aufbringen müssen, um den ukrainischen Staat zu erhalten und, wo möglich, dem Land beim Wiederaufbau zu helfen. Private Investoren investieren nicht gern in Kriegsgebieten, und Kiew braucht so viele Zuschüsse und zinsgünstige Darlehen wie möglich. Wie jedoch bereits abzusehen ist, wird die Wahlsaison die Ausgabenentscheidungen erschweren und wahrscheinlich verzögern, insbesondere in den Vereinigten Staaten. Die Hilfe, die der Westen aufbringen kann, wird wahrscheinlich dem Verteidigungsbedarf der Ukraine Vorrang einräumen müssen; der Wiederaufbau dürfte warten müssen.

Wirtschaft der Ukraine hängt vom Westen ab

Die Wirtschaft der Ukraine hängt fast vollständig von westlicher Hilfe ab. Selbst für den Verkauf ihrer Waren im Ausland ist Kiew auf den Westen angewiesen, um den Transport zu erleichtern oder – im Falle des Schwarzen Meeres – Sicherheitsunterstützung zu leisten. Gleichzeitig nimmt die Unzufriedenheit der einfachen Ukrainer mit der Regierung und ihrer Kriegsführung beständig zu. Wann auch immer in der Ukraine wieder Wahlen stattfinden – man sicher sein, dass Russland alles versuchen wird, um das Ergebnis zu beeinflussen. Schließlich war ein Regimewechsel von Anfang an das Ziel des Kremls.

Das dritte Problem besteht darin, dass die Beeinträchtigung der Sicherheitslage zu einer weiteren Unterbrechung der globalen Lieferketten führen könnte. Die letzten Monate des Jahres 2023 gehörten zu den brutalsten in der jüngeren israelischen und palästinensischen Geschichte. Der Angriff der Hamas am 7. Oktober hat Israel traumatisiert und sein Sicherheitsgefühl untergraben. Israels militärische Antwort im Gazastreifen war brutal. Die Unternehmen machen sich Sorgen, ob die Situation die weltweite Ölversorgung stören wird – was der Fall sein könnte, wenn der Konflikt den Iran oder andere Produzenten einbezieht.

Dies war 2022 der Fall, nachdem Russland in die Ukraine einmarschiert war. In jenem Jahr veranlasste ein sprunghafter Anstieg der Inflation viele Länder zu einer raschen Anhebung der Zinssätze und schränkte ihre Möglichkeiten ein, mit einer expansiven Finanzpolitik die schwächelnde Wirtschaftstätigkeit zu bekämpfen. Und obwohl die Inflation seither weitgehend zurückgegangen ist, sind die Zinssätze nach wie vor hoch, und das Wachstum ist weiterhin schwach. Dies hat zu einer gewissen Widerstandsfähigkeit der Nachfrage geführt; höhere Energiepreise können durchaus zu höheren Lebensmittelpreisen führen, aber die entwickelteren Volkswirtschaften werden sich darauf einstellen.

Zunahme globaler Konflikte

Angesichts der Wachstumsbeschränkungen Chinas und der Tatsache, dass das Land gute Beziehungen zu den USA aufrechterhalten muss (und umgekehrt), wird die Energienachfrage im Jahr 2024 wahrscheinlich steigen, was den Druck auf die Energiepreise erhöhen könnte. China und die USA scheinen sich geeinigt zu haben, wie der Besuch von Xi Jinping in den USA im Herbst dieses Jahres gezeigt hat. Das bedeutet jedoch nicht, dass Washington die Entkopplungs- oder De-Risking-Politik beenden wird, die es betrieben hat, um seine Abhängigkeit von globalen Lieferketten zu verringern.

Die Zunahme globaler Konflikte wird diesen Trend zur De-Globalisierung noch beschleunigen. Höhere Versicherungskosten für die internationale Schifffahrt seit 2022, insbesondere in Kriegsgebieten, haben Länder und Unternehmen gleichermaßen gezwungen, den sicheren Handel dem freien Handel vorzuziehen. Reshoring, Nearshoring und „Friendshoring“ deuten allesamt auf einen Kompromiss zwischen Effizienz und Robustheit hin, wobei globale Lieferketten „just-in-time“ durch „just-in-case“-Vereinbarungen ersetzt werden. Dies wird sich auch auf die Arbeitskräfte auswirken; demografische Probleme in Europa, Japan und China werden das Angebot an Arbeitskräften zu einer Zeit verringern, in der Einwanderungsbeschränkungen die Arbeitskosten in die Höhe treiben.

Schwieriges Geschäftsumfeld

All dies sorgt für ein schwieriges Geschäftsumfeld, in dem sich die Unternehmen mehr oder weniger daran gewöhnt haben, spontane Anpassungen vorzunehmen. Auch wenn das Ende der Lebenshaltungskostenkrise die politischen Entscheidungsträger kurzfristig etwas entlasten wird, müssen sie kreativ sein, um die öffentlichen Finanzen zu sanieren und die Regierungen vor steigenden Kreditkosten zu schützen – und gleichzeitig versuchen, unpopuläre Sparmaßnahmen zu vermeiden. Die politische Unterstützung für eine gemäßigte, liberale Politik wird schwach bleiben, und die Wirtschaftspolitik wird isolierter werden, was zwar auf nationaler Ebene wirksam sein kann, aber die internationale Zusammenarbeit bei wichtigen klimatischen und technologischen Herausforderungen beeinträchtigen dürfte.

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