ARD-Talkshow „Anne Will“ - Alles noch im grünen Bereich - oder doch nicht?

Das deutsche Traditionsunternehmen Viessmann verkauft seine Heiztechnik-Sparte an einen US-Konzern. Ausverkauf der deutschen Industrie? Oder doch „grünes Wirtschaftswunder“? Darüber wurde am Sonntagabend bei Anne Will diskutiert.

Anne Will und ihre Gäste diskutieren am Sonntagabend über das „grüne Wirtschaftswunder“ / Screenshot
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Lukas Koperek ist Journalist und lebt in Mannheim und Berlin.

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Ein seltenes Gesicht konnten die Zuschauer von Anne Will am gestrigen Sonntagabend im Ersten sehen: das von Olaf Scholz. Der war zwar leider nicht persönlich im Studio anwesend, doch das Zitat samt Porträtfoto, das in der Anmoderation eingeblendet wurde, wirkte angesichts der konsequenten Vogel-Strauß-Taktik des Bundeskanzlers fast schon wie ein intimer Einblick in dessen Denken – wenngleich in einen Teil, der eigentlich schon vor dem Aussprechen schlecht gealtert war.

„Unser Land steht vor einer guten Zukunft“, beschwor Scholz noch im März gegenüber der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft und prognostizierte ein „grünes Wirtschaftswunder“ infolge der Politik seiner Regierung. Ist das so – wird die Energiewende der Ampel zu einem Wirtschaftswachstum führen, „wie zuletzt in den 1950er- und 1960er-Jahren geschehen“? Vergangenen Mittwoch vermeldete die Presse jedenfalls eine Nachricht, die nur den jüngsten Wermutstropfen in den rot-grün-gelben Zukunftsträumen darstellt.

Regierungsnahe Positionen waren stärker vertreten

Der hessische Heiz- und Klimatechnik-Hersteller Viessmann – eines der traditions- und erfolgreichsten deutschen Familienunternehmen – verkauft nämlich seinen gesamten Heizungs-Sektor an den US-Konzern Carrier Global. Und freilich wird die Übernahme durch die Amerikaner unterschiedlich gedeutet: Von einem Ausverkauf deutscher Marktführer sprechen die einen, von einem Zeichen für große Wertschöpfung im Bereich der Wärmepumpen-Technologie die anderen (auch Wirtschaftsminister Robert Habeck). Dementsprechend fiel auch die thematische Leitfrage der gestrigen Gesprächsrunde aus: „Die Klima-Politik der Ampel – Öko-Wirtschaftswunder oder Gefahr für den Standort Deutschland?“

Was schon zu Beginn der Diskussion auffällt: die relative Stärke regierungsfreundlicher Positionen. Geladen waren gleich zwei Politiker mit Regierungsnähe: Franziska Brantner von den Grünen, die als Parlamentarische Staatssekretärin in Habecks Wirtschaftsministerium auch am umstrittenen Heizungsverbot durch das geänderte Gebäudeenergiegesetz entscheidend mitgewirkt hat, und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil von der SPD. Zugegen war außerdem der stellvertretende Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, Bernd Ulrich. Der äußerte sich zuletzt zwar kritisch über den Regierungskurs, allerdings dahingehend, dass die Ampel das Volk zu sehr schone, weshalb Klimaziele unmöglich zu erreichen seien.
 

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Die politische Opposition war lediglich durch Thorsten Frei vertreten, den Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der gleich zu Beginn der Sendung die beunruhigenden Parallelen des Viessmann-Teilverkaufs zur Situation deutscher Hersteller von Solaranlagen aufzeigte. Im vergangenen Jahrzehnt habe man sehr intensiv mit hohen Fördergeldern den Markt für Solartechnik angekurbelt, „weshalb innerhalb von wenigen Jahren nur noch Asiaten auf dem Markt waren.“ Denn der Konkurrenz durch billigere asiatische Produkte konnten die deutschen Unternehmen in so kurzer Zeit nichts entgegensetzen.

Eine Gefahr, die auch in Bezug auf die Wärmepumpen-Technologie immer wieder angemerkt wird: Obwohl deutsche Hersteller wie Viessmann, Vaillant und Stiebel Eltron derzeit noch Millionen- und Milliardensummen in den Ausbau der Wärmepumpen-Produktion investieren, haben asiatische Hersteller wie Daikin und LG einen Vorteil. Sie sind seit Jahren auf die massenhafte Herstellung von Klimaanlagen spezialisiert, die Wärmepumpen technisch ähneln.

Bernd Ulrich übernimmt das Narrativ der Klima-Radikalen

Leider wirkte Frei, der als einziger Gast eine dezidierte Gegenposition zum Kurs der Ampel bezog, trotz allem etwas blass im Vergleich zu seinen Gesprächspartnern. Dies könnte auch damit zu tun haben, dass das Profil seiner Partei in Sachen Klimapolitik recht konturlos bleibt – umso konturloser im Vergleich zur radikalen Kompromisslosigkeit einer Partei wie den Grünen. Jedenfalls ist das der Eindruck, den man bekam, als zum Ende der Sendung ein O-Ton des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz eingespielt wurde, der mit den Worten begann: „Jeder von uns nimmt das Thema Klimaschutz sehr ernst. Wir sind allerdings nicht so im Alarmismus unterwegs wie hier einige in der Bundesregierung.“

Einleuchtend ist es, dass die Christdemokraten ihre grundsätzliche Zustimmung zur Energiewende immer wieder bekräftigen, wähnen sie doch die Gefahr, aus dem stark eingegrünten Diskurs ausgeschlossen zu werden. Diese Relativierung (nach dem Motto: „Sehen wir auch so, nur nicht so extrem“) hat aber die Nebenwirkung, dass sich die stärkste Oppositionspartei eher durch ein Ausbremsen der Regierungspolitik anstatt durch eine originelle eigene Stoßrichtung auszeichnet.

Diesen Vorwurf erhob auch Bernd Ulrich, der die Gefahr durch den Klimawandel absolut setzte: „Natürlich haben wir überhaupt keine Zeit. Das ist vielleicht schwer zu verstehen für konventionelle Politik, auch für Herrn Merz. Es gibt etwas ganz Neues in diesem Jahrhundert und das ist: Die Agenda der Politik ist nicht mehr nach hinten offen. Das heißt, wir können nicht mehr verschieben.“ Wer also behaupte, so Ulrich, man müsse Rücksicht auf die Bürger nehmen, der verschärfe auch die Klimasituation immer weiter.

Er übernahm damit – wofür Ulrich, der sich den Kampf gegen den Klimawandel zur journalistischen Lebensaufgabe gemacht zu haben scheint, ohnehin längst berüchtigt ist – das totalitäre Narrativ, das bereits von Klima-Radikalen aus verschiedenen Lagern bekannt ist: ob von Fridays for Future, der sogenannten Letzten Generation oder den Grünen selbst: Rücksicht und Kompromisse können wir uns nicht leisten, denn alle Einschränkungen, die wir heute zu machen gezwungen sind, würden in zwei, in fünf, in zehn Jahren nur umso härter ausfallen.

Ulrich ließ damit keinen Zweifel mehr daran, dass die wirtschaftliche Lage – und damit auch die Frage, was der Viessmann-Teilverkauf für den Industriestandort Deutschland zu bedeuten habe – für ihn eher nebensächlich ist. Schon zu Beginn der Sendung hatte er das Heizungsverbot, weil es zu einer Unabhängigkeit von undemokratischen Staaten wie Russland oder Saudi Arabien führe, als „Freiheitsdienst“ bezeichnet. Dennoch wiederholte er auch seine Kritik an Scholz’ Kommunikation: „Die Idee des Bundeskanzlers ist, dass man die Klimawende den Leuten liefert.“ Die Versprechungen der Politik, dass die Energiewende ohne Zumutungen für die Bürger ausfallen könne, schaffe eine falsche Erwartungshaltung.

Grüne bewerten den Viessmann-Teilverkauf einseitig

Zustimmende Blicke bekam er immer wieder von Franziska Brantner, die, entsprechend der Parteilinie, den Teilverkauf von Viessmann als ein positives Zeichen wertete. Der Kritik von Thorsten Frei, dass die zunehmenden Investitionen deutscher Hersteller in ausländische Produktionsstätten auf die Unattraktivität Deutschlands als Industriestandort hindeute, begegnete sie mit der Habeckschen Formel: „Wir haben eine sehr starke und große Investition eines amerikanischen Unternehmens in Deutschland. 12 Milliarden werden in Deutschland investiert. Das ist großartig.“

Brantners Schlussfolgerung über die Teilübernahme Viessmanns durch Carrier Global ist einseitig. Führt man sich vor Augen, dass die Marktposition des deutschen Unternehmens stark genug ist, um 12 Milliarden Euro für seinen wichtigsten Geschäftsbereich verlangen zu können und durch ein zusätzliches Aktienpaket größter Anteilseigner des US-Konzerns zu werden, so scheint dies ein gutes Licht auf die deutsche Industrie zu werfen.

Aber was sagt der Bruch eines Familienunternehmens mit einer 105 Jahre alten Tradition aus? Könnte Viessmann geahnt haben, dass die politisch erzeugte Nachfrage nach Wärmepumpen auf lange Sicht zu einem Vorteil für asiatische Hersteller wird? Das ist die andere Seite der Medaille. Womöglich verkaufen die Viessmanns lieber jetzt, zu den besten Bedingungen, bevor sie in einigen Jahren zum Notverkauf gezwungen sind.

Auswirkung der Wirtschaftspolitik Robert Habecks

Von dieser Sicht jedoch wollte Brantner nichts wissen. Die Gefahr für den Wohlstand Deutschlands wähnte sie schließlich nicht bloß in seinem Abbau, sondern in seinem Ursprung. Auch wenn der Klimaschutz nicht zu mehr Wohlstand führe, führe er „zu einem besseren Wohlstand“, der nicht mehr auf der Verbrennung, sondern auf der Wiederverwertung von Rohstoffen basiere. Dass sich mit dieser Doppeldenkweise selbst der finanzielle Ruin eines Landes rechtfertigen lässt, blieb unkommentiert.

Kritik am geplanten Verbot von Öl- und Gasheizungen äußerte auch Veronika Grimm, Wirtschaftswissenschaftlerin und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Zwar glaube sie nicht, dass der deutschen Wärmepumpen-Industrie das gleiche Schicksal drohe wie vor einigen Jahren noch den Herstellern von Solaranlagen. Jedoch sei „der Hochlauf durch das Vorziehen des Gebäudeenergiegesetzes so schnell, dass man eine Kapitalerhöhung braucht, um überhaupt diesen Markt zu bedienen.“

Insofern deutete Grimm den Teilverkauf von Viessmann durchaus als eine Auswirkung der Wirtschaftspolitik Robert Habecks. „Wenn man das optimal gemacht hätte, hätte man das besser vorbereiten müssen, sodass sich die heimischen Hersteller auch darauf einstellen können und entsprechendes Kapital beschaffen und wachsen können.“ Grimm warnte auch davor, die Bevölkerung durch zu eng gefasste Maßnahmen zu verlieren und Klimaschutz somit zu verhindern.

Klimaschutz zum „Erfolgsmodell machen“

Niedersachens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil folgte dem Beispiel seines Bundeskanzlers und äußerte sich während der gesamten Diskussion uneindeutig. Mit Blick auf Viessmann sei er „hin- und hergerissen“ sagte Weil gleich zu Anfang und trug entsprechende Anmerkungen zur Debatte bei: Ein Wirtschaftswunder sei denkbar, „wenn wir es richtig machen“, ebenso blieben die die positiven Effekte des boomenden Wärmepumpen-Marktes in Deutschland, „wenn man es richtig macht“.

Vorsichtig kritisch äußerte sich Weil immerhin zur Kommunikation mit der Bevölkerung, die man besser hätte gestalten können, und zu Teilen des Entwurfs für das Gebäudeenergiegesetz – zum Beispiel leuchte ihm die Ausnahmeregelung für Bürger ab 80 Jahren und älter nicht ein. Alles in allem aber sei er zuversichtlich, „dass wir dahin kommen, wo wir hinwollen“.

Globale Reduzierung von CO2

Einen entscheidenden Hinweis zur Rolle Deutschlands beim globalen Klimaschutz gab schließlich doch noch Thorsten Frei: Erfolgreich werde man am Ende nur sein, wenn es gelinge, aus dem Klimaschutz „ein Erfolgsmodell zu machen“. „Wir haben eine Vorreiterrolle“, so Frei, „aber wir werden nur erfolgreich sein mit dem Weltklima, wenn es am Ende auch gelingt, andere davon zu überzeugen, dass unser Weg richtig ist.“

Schließlich kann die globale Reduzierung von COnur gelingen, wenn Länder wie China, Saudi Arabien und Australien, die den größten Ausstoß verursachen, mitziehen. Angesichts der klaren Absicht Chinas, zur größten Wirtschaftsmacht der Welt zu werden, wird so ein Land wohl kaum dem deutschen Beispiel folgen, wenn Deutschland seine Wirtschaft mit Klimamaßnahmen vor die Wand gefahren hat.

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