Abwrackprämie zum Autogipfel - „Die Zeit vor der Pandemie nicht genutzt“

Zum Autogipfel fordern Hersteller eine staatliche Abwrackprämie, um den Konsum in der Coronakrise anzuregen. Arbeitsplätze könnten so aber nur gesichert werden, wenn dabei Klimaverträglichkeit berücksichtigt wird, sagt Baden-Württembergs IG-Metall-Chef im „Cicero“-Interview.

Sitzt der Stern? Die weltweite Coronakrise gefährdet die deutsche Industrie / dpa
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Roman Zitzelsberger ist Chef der IG Metall in Baden-Württemberg.

Herr Zitzelsberger, mitten in ihrer größten technischen Umbruchphase wird die Automobil- und Zuliefererindustrie von den Folgen der Corona-Pandemie erwischt. Wie ist die Lage?
Drei Dinge überlagern sich. Wir haben einen wirtschaftlichen Abschwung, der letztes Jahr schon absehbar war. Zugleich steht die Autoindustrie vor einer gewaltigen Transformationsaufgabe in Richtung Klimaverträglichkeit. Daraus resultiert ein enormer Veränderungsdruck. Ein erheblicher Teil der Unternehmen hat damit begonnen, sich systematisch auf die Veränderungen einzustellen, aber ein starkes Drittel hat die Zeit vor der Pandemie nicht genutzt. Wie unter einem Brennglas sehen wir jetzt, während die Nachfrage Corona-bedingt massiv einbricht, wer nicht vorbereitet ist auf die Transformation. Das treibt vor allem die Beschäftigten in Sorge um ihren Arbeitsplatz um. Die Marschrichtung der IG Metall ist klar: Sichere Beschäftigung jetzt in der Krise ebenso wie im weiteren Verlauf der Transformation.

Diese Transformation kann nicht mehr als vorübergehender Trend ignoriert werden?
Nein, es geht ganz klar um alternative Antriebe. Weg vom klassischen Verbrenner, hin zu CO2-neutralen und CO2-freien Antrieben wie dem batterieelektrischen. Dieser Wandel ist die Hauptaufgabe im Automobilbereich. Hinzu kommt die Digitalisierung von Produkten und Produktionen. Assistenzsysteme, autonomes Fahren und digitale Geschäftsmodelle sind eine Riesen-Herausforderung. Verdienen wir künftig noch mit der Hardware oder vielmehr mit der Software und der dazugehörigen Dienstleistung unser Geld? Wie verkauft sich das Auto der Zukunft? Wer kauft sich überhaupt noch Autos? Mit solchen Fragen werden wir uns künftig noch viel stärker beschäftigen.

Die Regierungsparteien propagieren Technologieoffenheit, die Grünen setzen vor allem auf den Elektroantrieb. Wie offen darf der Staat sein und was muss er vielleicht vorgeben?
Technologieoffenheit war für mich schon 2019 mein persönliches Unwort des Jahres. Manche Unternehmen glauben, man könne auch noch in 20 Jahren vor allem Diesel-Pkw verkaufen. Realitätsverweigerung schützt aber nicht vor der Realität. Technologieoffenheit führt zuallererst zu Unklarheit. Es muss aber klar sein, wohin die Reise geht. Dabei spricht nichts dagegen, die unterschiedlichen Angeln weiterhin im Wasser zu halten.

Roman Zitzelsberger, IG-Metall

Worauf wird es hinauslaufen?
Es wird seit drei Jahrzehnten versucht, die Brennstoffzelle im Pkw für den Massenmarkt zu industrialisieren. Die Technologie macht aber nur Sinn, wenn ich grünen Wasserstoff, also aus regenerativem Strom, als Antrieb nutzen kann. Im Vergleich zum rein batterieelektrischen Antrieb ist der Wirkungsgrad viel schlechter. Technologisch sinnvoll für die breite Masse ist deshalb der batterieelektrische Antrieb. Und auch Hybride werden noch eine große Rolle spielen. Die Brennstoffzelle ist eine unglaublich wichtige Technologie, aber derzeit in erster Linie für große, schwere Lkw auf langen Strecken. Außerdem für die dezentrale Stromversorgung wie etwa in Krankenhäusern, die heute noch mit Dieselgeneratoren geleistet wird.

Wie sollte der Staat diese Entwicklung jetzt unterstützen?
Er sollte nicht jedes einzelne Segment technologieoffen fördern, sondern pro Segment schauen, was zu welcher Zeit Sinn macht. Man müsste zum Beispiel heute sagen: Die Zukunft des Pkws ist batterieelektrisch. Und wenn sich in 15 Jahren die Brennstoffzelle im Lkw technologisch so weiterentwickelt hat, dass sie auch für Pkw attraktiv wird, könnte man den Schwerpunkt verschieben. Wir brauchen eine CO2-Gesamtbetrachtung von der Rohstoffverarbeitung bis zur Fahrzeug-Produktion und insbesondere für die Stromerzeugung der energieintensiven Industrien. Das werden wir aber nur europäisch lösen können.

Heute findet erneut ein Autogipfel in Berlin statt. Wie schon 2009 fordert der Automobilverband VDA eine Abwrackprämie. Was halten Sie von dieser Idee, die Arbeitsplätze sichern soll?
Allein der Umfang an Kurzarbeit zeigt jetzt schon, wie tief die Krise ist. Wir brauchen eine wirtschaftliche Belebung, um Arbeitsplätze zu sichern. Eine Abwrackprämie ist dazu nur ein Baustein von vielen. Im Kern soll eine solche Prämie der Verbraucherstimmung einen Schub geben. Es ist vollkommen unwahrscheinlich, dass die Leute jetzt wieder in großem Stil Autos kaufen, nur weil die Autohäuser wieder offen haben. Die Menschen sind jetzt vorsichtig und im Krisenmodus. Eine Kaufprämie könnte also einen realwirtschaftlichen Erfolg bringen und die Konsumstimmung allgemein verbessern.

Also sind Sie für die Abwrackprämie?
Unsere Erkenntnisse über den Klimawandel verbieten es, eine Kaufprämie ohne Berücksichtigung der CO2-Reduktion vorzunehmen. Ziel dieser Förderprämie muss es sein, besonders stark CO2-emittierende Fahrzeuge von der Straße zu bekommen. Dabei müssen sich die Bedingungen eines Kaufanreizes entlang der Stoßrichtung „Je höher die CO2-Einsparung, desto höher die Förderprämie“ ausrichten. Ansonsten wird es dafür weder eine politische, noch eine gesellschaftliche Zustimmung geben. Dies gilt übrigens auch, wenn die Automobilhersteller sich nicht an einer solchen Prämie beteiligen wollen und gleichzeitig Dividenden oder Boni ausschütten.

Die vergangene Abwrackprämie in der Finanzkrise wird heute als unwirksam kritisiert.
Als die letzte Abwrackprämie 2008/2009 erdacht wurde, war vor allem die Autoindustrie vom Abschwung betroffen und kein Sportverein oder Gastronom musste sich existenzielle Sorgen machen. Jetzt haben wir eine existenzielle Bedrohung unserer gesamten Wirtschaft und des gesamten Kulturbetriebs. Deshalb muss die Unterstützung der Autoindustrie Teil eines Gesamtkonjunkturprogramms sein, bei dem Innovationen und Klimagerechtigkeit in allen Branchen mitgedacht werden.

Aber wie könnte das konkret aussehen für die Automobilindustrie?
Weil es noch nicht genügend batterieelektrische Pkw gibt und zu wenig Ladeinfrastruktur vorhanden ist, könnte man zum Beispiel Prämien für das Leasing von Autos anbieten, die klimaschonender sind als das jetzige Auto. Um die Prämie zu bekommen, verpflichtet man sich, in zwei bis drei Jahren ein batterieelektrisches Fahrzeug zu kaufen. So würde man den CO2-Verbrauch jetzt senken, die Wirtschaft unterstützen und in wenigen Jahren noch mehr CO2 einsparen und die Hersteller weiter unterstützen.

Das Interview führte Bastian Brauns.

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