Ein mit Sensoren, Schweinehaut und Fett versehener Dummy ist am 18.08.2016 in einem Raum im Institut für Brand- und Löschforschung in Dippoldiswalde (Sachsen) zu einer Brandanalyse im Todesermittlungsverfahren des damals in Deutschland lebenden Sierra Leoner, Oury Jalloh, befestigt.
Das Verfahren um den grausamen Tod von Oury Jalloh könnte wieder aufgenommen werden / picture alliance

Tod von Oury Jalloh - Polizeigewalt braucht unabhängige Ermittler

Neue Erkenntnisse im Fall Oury Jalloh zeigen deutlich: Unser Rechtsstaat kann funktionieren. Aber man muss ihn unerbittlich drängen. Dafür braucht es endlich mehr als öffentliche Aufmerksamkeit

Bastian Brauns

Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Die Ermittlungen und zahlreichen Gerichtsverfahren in Sachsen-Anhalt im Fall des toten Flüchtlings Oury Jalloh waren und bleiben traumatisierend für all jene, die auf einen funktionierenden Rechtsstaat angewiesen sind. In erster Linie sind das die Angehörigen, aber auch wir übrigen Bürger, die darauf vertrauen wollen, dass Recht so gut es eben möglich ist, auch durchgesetzt werden kann.

Aufgrund der Beharrlichkeit viele Akteure ist der Fall Jalloh auch heute noch lange nicht abgeschlossen. Es zeigt sich so, dass der Rechtsstaat funktionieren kann, man muss ihn aber offensichtlich mühevoll und unter größtem Aufwand dazu drängen. Mehrere Gutachter, die sich mit Brandschutz, Medizin oder Chemie auskennen, kommen bezüglich Oury Jalloh laut aktuellen Recherchen des WDR-Magazins Monitor zu dem Schluss:

Der Mann aus Sierra Leone muss mit Brandbeschleuniger überschüttet worden sein und er war zu diesem Zeitpunkt wohl bereits tot oder handlungsunfähig. Er kann sich also nicht selbst angezündet haben. Letztere These wurde jahrelang verfolgt und ebenfalls nie schlüssig durch Beweise belegt. Was klar ist, Oury Jalloh verbrannte angekettet an einer Zellenwand auf einer Matratze vor mehr als 12 Jahren während er in Polizeigewahrsam war.

Erdrückende Indizien, aber wenig Beweise

Nach mehreren Verfahren reichten der Staatsanwaltschaft in Halle Indizien aber offensichtlich nicht aus für eine Anklage wegen Mordes. Sie stellte das Verfahren im Oktober dieses Jahres ein. Dabei wurde die Beweisaufnahme von Beginn an besonders behindert: Polizeibeamte konnten sich im Fall Jalloh nicht richtig erinnern, sie schwiegen, einige logen. Beweismittel wie eine Videoaufzeichnung verschwanden und viele weitere Ungereimtheiten kamen dazu.

Somit haben keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Beteiligung Dritter an der Brandlegung ergeben, teilte die Haller Staatsanwaltschaft mit. Eine weitere Aufklärung sei nicht zu erwarten. Man habe zahlreiche Gutachten verschiedener Fachrichtungen ausgewertet  und komme zu dem Schluss, dass konkrete Ausbruch des Brandes, dessen Verlauf und auch das Verhalten von Oury Jalloh nicht sicher nachgestellt und nicht eindeutig bewertet werden können. Eine Vielzahl von Möglichkeiten bleibe denkbar.

Öffentliche Aufmerksamkeit, die nicht alle haben

Die Öffentlichkeit befasst sich mit dem Fall Oury Jalloh auch deshalb seit Jahren, weil er ein institutionelles Versagen offenlegt, dass vielen Opfern von Polizeigewalt widerfährt. Das Ausmaß der Berichterstattung war und ist deshalb erfreulicherweise groß. Selbst ein in Salzgitter spielender Tatort (Verbrannt) war 2014 angelehnt an die Vorfälle in Dessau entstanden. Das Erste zeigt ihn nun aus gegebenem Anlass aufs Neue. Solch mediale Aufmerksamkeit, solch beharrliches Drängen auf Klärung aber gibt es nicht für jedes Opfer. Trotz der Wachsamkeit ist zwar noch immer nicht eindeutig geklärt, was in dieser Zelle einst geschah. Aber das Zusammenspiel aus Medien, Politikern, Menschenrechtsgruppen und Opferanwälten garantiert, dass weiterhin keine Ruhe dort einkehrt, wo keine Ruhe angebracht ist.

Schwerfällige Ermittlungen gegen Staatsbeamte

In gewisser Weise zeigt der Fall Oury Jalloh, dass der Rechtsstaat zwar dahingehend funktioniert, als dass nun beispielsweise erneut Beschwerde eingelegt werden konnte von Seiten der Angehörigen. Die Ermittlungen können wieder aufgenommen werden, wenn die Generalstaatsanwaltschaft Sachsen-Anhalt zu dem Ergebnis kommt, dass dies gerechtfertigt ist. Der Rechtsstaat versagt nicht. Aber er erzeugt auf schreckliche Weise ein Gefühl eigenen Desinteresses, wenn es um Gewalt geht, die von seinen eigenen Beamten begangen worden sein könnte. Man muss unerbittlich drängen, braucht unzählige Verbündete, um sich dann trotzdem immer wieder aufs neue in ihm zu verstricken. Das ist eine erschreckende Feststellung und sollte nicht sein.

Man vermag es sich nicht vorzustellen, welche seelischen Schmerzen etwa Angehörige wie die Mutter von Jalloh seit mehr als einem Jahrzehnt durchleiden. Ein undurchdringlicher Justiz-Apparat raubt ihnen Ruhe, Lebenszeit und zumindest ein Gefühl von Genugtuung. Die sogenannten Mühlen der Justiz müssen langsam mahlen, ja. Wenn es darum geht, genau und nicht vorschnell zu urteilen, aber sie dürfen nicht jene zermürben, die ihm hilflos ausgesetzt sind, weil ihnen das Wissen fehlt, die finanzielle Sicherheit oder schlicht die psychische oder physische Kraft.

Gegen Polizeigewalt muss anders ermittelt werden

Der noch immer ungeklärte Tod von Oury Jalloh führt auf kaum zu ertragende Weise vor, wie dringend Deutschland seine Ermittlungen gegen Polizisten reformieren muss. Menschenrechtsgruppen, Vertreter von Opfern durch Polizistengewalt, Politiker und auch die Vereinten Nationen fordern dies seit Jahren. In anderen Ländern wie beispielsweise Großbritannien ermitteln nicht etwa Kollegen gegen Kollegen.

Sebastian Striegel, der rechtspolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen-Anhalt fordert deshalb zurecht: Die Einrichtung einer unabhängigen Polizeibeschwerdestelle mit Ermittlungskompetenz ist notwendig. Und nicht erst, wenn ein Mensch in Polizeigewahrsam zu Tode kommt, sondern schon bei Körperverletzungen durch Polizisten müssen solche Ermittlungen institutionell unabhängig sein.

Viele Wissenschaftler, auch solche von Polizeiakademien forschen zu kriminellen Beamten und stellen fest, dass Polizisten bei Ermittlungen gegen sie selbst eine „Mauer des Schweigens“ errichten würden, um sich gegenseitig zu decken.

Auch weil gegen solche institutionellen Fehlkonstruktionen bislang nicht genügend getan wurde, braucht es leider die Öffentlichkeit, die Zivilgesellschaft, braucht es Ausdauer und finanzielle Mittel umso mehr, um politischen Druck zu machen und juristische Wiederaufnahmen überhaupt zu ermöglichen. Das Resultat müsste ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss sein und Sonderermittler, die keine direkten, sondern unabhängige Kollegen sind. Es geht um Oury Jalloh. Und es geht um viele andere.

 

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Bernd Lehmann | Fr., 17. November 2017 - 21:06

Bei deutschen ist das aber nach ner Minute vorbei und wird nicht jahrelang weitergetrieben.Hier wurden auch unbewaffnete Bürger hinterrücks erschossen (Berlin), der Richter bestätigte das die Beamten sich gegenseitig decken und....Freispruch erster Kajüte.
Zu Jalloh, ich glaube nicht an die Legende,mittlerweile gibts dieses in Afrika weit bekannte Phänomen auch in Deutschland. Leute zünden die eigene Zelle (oder heute Unterkunft) an, dann muß der Staat was anderes mit mir machen. So wurden auch Zelte in Mazedonien angezündet , gab schöne Bilder für die Lügenpresse. Das ist auch kein Einzelfall in Haft, kleines Feuerzeug im Hintern, Matratze anzünden, gabs auch damals öfter. Aber Osten, die pösen Nazis usw. ...
Die These wurde verfolgt aber nicht schlüssig belegt,genau. Die Antithese ist aber auch nicht schlüssig belegt. Kommt mir langsam vor wie das Phantom, wo man auch versucht hat, die eigene Geschichte zu beweisen.Und dann warens die Stäbchen.

Armin Latell | Fr., 17. November 2017 - 21:46

Schon nach den ersten Zeilen des Artikels von Herrn Brauns kam mir diese Art des Journalismus sehr bekannt vor. Richtig, nach den Ausschreitungen beim G20 Gipfel waren plötzlich die Polizeibeamten die Bösen und Gewalttäter, diese mussten sich vor Gericht verantworten, gesteuert und organisiert von linken Verbänden und Organisationen. Jetzt sozusagen ein Déjà-vu Erlebnis. Für den Autor steht fest, dass einer oder mehrere der Polizisten von damals Mörder sind, trotz aller Erkenntnisse zur behaupteten Tat in Konjunktiven. Dass diese „Enthüllungen“ von Monitor kommen, ist auch nicht überraschend. Entlarvend schreibt Herr Brauns von den vielen Opfern polizeilicher Gewalt.Wenn ich mich richtig erinnere, war Jalloh ein sehr aggressiver, gewalttätiger Mensch, der nicht umsonst in der Zelle gefesselt war, die Hintergründe hätte Herr Brauns noch aufführen können, aber das hätte möglicherweise das Mitleid gemindert. Diesen Artikel halte ich für pure Meinungsmache gegen Polizei!

Claudia Martin | Fr., 17. November 2017 - 23:37

Ich frage mich nur, ob man bei einem deutschen Häftling so lange ermitteln würde. Wahrscheinlich nicht. Zweite Frage: "Selbstzensur" Mir erscheint dieser Artikel ziemlich sinnlos. Noch vielleicht eine Anmerkung wg. aktueller Lage hinsichtlich Berliner Polizeischule: "Selbstzensur"

Gerdi Franke | Sa., 18. November 2017 - 09:24

Polizeigewalt ist Staatsgewalt. Und dient der Durchsetzung der Regeln des Staates. Da braucht man kein weiteres Kontrollorgan um diese Rechtmäßigkeit in Frage zu stellen. Das artet sonst in Beschäftigungstherapie aus. Siehe Migranten. Keine Deutschen aber deutsches Klagerecht!

Mathias Trostdorf | Sa., 18. November 2017 - 23:05

Das beste Mittel, "Polizeigewalt" zu entgehen, ist, sich an die geltenden Bestimmungen und Gesetze zu halten und so gar nicht erst mit der Polizei in Konflikt zu geraten. Ich wünschte mir, den vielen ständig im Dienst beleidigten und verletzten Polizisten würde soviel Aufmerksamkeit und Verständnis entgegengebracht wie vielen Leuten, die durch eigene Schuld mit der Polizei in Konflikt geraten. Ich erinnere an die besonders bei Grünen und Linken verbreitete Gesinnung, Täter zum Opfer zu machen oder zb. empathielos (mit den Beamten) zu twittern, daß man Gewalttätern in Extremsituationen doch erstmal ein Gespräch anbieten oder notfalls ins Knie zu schiessen soll. Polizeiverfehlungen müssen wie andere Verfehlungen aufgekärt werden, aber ideologiefrei und unter Beachtung der Fakten, wie überhaupt es zu den Vorfällen kam und welches Verhalten Beschuldigte gegenüber den Beamten an den Tag legten.

Konrad Kugler | Mo., 20. November 2017 - 14:32

Wer hat Kirsten Heisig geselbstmordet?
Wer hat die beiden Uwe erschossen?
Ein Strafprozess von drei oder gar mehr Jahren ist der Beweis, daß eine Legende gestrickt wurde.
Warum war die Türkei so scharf auf Prozessbeobachter? Abwiegelung von Verdachtgründen wg. Mafia.