Raketenangriffe auf Ukraine - Putins schwache Rache

Russlands Präsident rächt sich für die Attacke auf die Krim-Brücke mit massiven Raketenangriffen auf die gesamte Ukraine. Aber was erreicht er damit?

Eine Rakete wird am Montagmorgen von einem russischen Kriegsschiff im Schwarzen Meer abgeschossen / picture alliance
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Wladimir Putin hat sich erwartungsgemäß gerächt für die Attacke auf „seine“ Brücke, jenes milliardenteure Bauwerk, das drei Jahre nach der Annexion eine Verbindung zwischen der Halbinsel Krim und dem russischen Festland herstellte und über das seit dem 24. Februar Konvoi um Konvoi rollt, um die russischen Besatzertruppen im Süden der Ukraine zu verstärken und zu versorgen.

Für Beobachter, allen voran für die Ukrainer, kam Putins Rache nicht unerwartet: Am Sonntagabend hatte sich Putin von seinem obersten Ermittler Alexander Bastrykin darlegen lassen, von wem und wie der Anschlag ausgeführt wurde. Es sei ein „Terrorakt“, wiederholte Putin dann extra nochmal für’s eigene Fernsehpublikum, „gegen die zivile, kritische Infrastruktur der Russischen Föderation“.

Putins Image ist angeknackst

Der russische Präsident, dessen Macht zu einem großen Teil auf seiner zur Schau gestellten Virilität beruht, konnte diese Desavouierung seiner Macht nicht ohne Antwort lassen, ohne den Respekt seines Umfelds und der Armee zu verlieren. Sein Image des allmächtigen Obersten Feldherrn ist seit den militärischen Niederlagen der russischen Armee in den letzten Wochen ohnehin angeknackst.

Putin ließ also am Montag aus tausenden Kilometern Entfernung Langstreckenraketen auf eine Vielzahl ukrainischer Städte regnen, die vor allem auf „kritische Infrastruktur“ zielten, in erster Linie (Heiz)-Kraftwerke und Umspannwerke. Wollte er damit die Ukrainer beeindrucken? Sie davon abhalten, jemals wieder „seine“ Brücke zu attackieren?

Ukrainer lassen sich nicht mehr einschüchtern

Das ist ihm nicht gelungen. Natürlich haben die Angriffe die Bewohner vieler ukrainischer Städte, die in den letzten Monaten zwar immer wieder Luftalarm, aber keine Einschläge mehr hörten, aufgeschreckt. Im westukrainischen Iwano-Frankiwsk etwa ist der letzte Raketeneinschlag sechs Monate her. Aber anders als zu Kriegsbeginn, als ähnlich viele Raketen auf die Ukraine niedergingen, gibt es heute keinerlei Panik in der Ukraine. Damals flohen die Ukrainer zu Hunderttausenden in alle Himmelsrichtungen, weil Putin eine Aura der militärischen Unbesiegbarkeit umgab. Heute hat sich das geändert. Natürlich betrauern die Ukrainer die Opfer der Angriffe, aber sie reparieren ihre Infrastruktur, schütteln den Staub ab und antworten Putin: Jetzt erst recht.

 

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An der für die Russen miserablen militärischen Lage an der Front ändern die Angriffe vom Montag: nichts. Im Süden und Osten haben die Ukrainer seit September weit über 6000 Quadratkilometer Land befreit. Auch die Zahl der von der ukrainischen Flugabwehr abgefangenen Raketen zeigt, dass sich die Zeiten seit Februar geändert hatten: Von den 84 russischen Raketen wurde etwa die Hälfte über der Ukraine abgeschossen, bevor sie ihr Ziel erreichen konnten. Viele Raketen, so zynisch es klingen mag, erreichten zudem nicht ihr geplantes Ziel: Die Rakete, die neben der „Klitschko-Brücke“ in Kiew einen Krater schlug, oder jene, die auf einem Kinderspielplatz im Stadtzentrum einschlug, sollten sicherlich einen anderen Zweck erfüllen.

Teures Vergnügen

Berechnet man ein, dass jede dieser Raketen Schätzungen zufolge 10-13 Millionen Euro kostet, war Putins Rache ein teures Vergnügen. Zumal die Schäden in der Ukraine zwar schmerzhaft sind und jedes der 12 Todesopfer eines zu viel ist: Die Ukraine versank am Abend dieses Tages nicht in Finsternis, auch wenn die Situation in einigen Regionen zu zeitweiligen Stromausfällen führte und die Ukraine den Stromexport in die EU vorübergehend eingestellt hat, um das Netz zu stabilisieren.

Weitere derartige „Strafaktionen“ in dieser Größenordnung kann Putin sich zudem nicht leisten, denn die Arsenale an diesen hochmodernen Raketen sind begrenzt: Von den Raketen, die Russland gestern von Land und Meer abgeschossen hat, produziert Russland etwa 200, von den Luft-Boden-Raketen KH-32 etwa 20 pro Jahr.

Schwierig ist die Lage dagegen in frontnahen Städten, insbesondere Saporischja, das seit drei Wochen mit (massenhaft vorhandenen) modifizierten S300-Raketen beschossen wird, die niedrig und aus nur 40 Kilometern Entfernung auf die Stadt fliegen – und nur schwer von der Flugabwehr abgefangen werden können. Dort schlugen auch in der Nacht zum Dienstag wieder mehrere Raketen ein, während es im restlichen Land relativ ruhig blieb. Die Vorbereitungen auf eine ukrainische Offensive in diesem Frontabschnitt, um derartige Angriffe zu erschweren, laufen jedoch.

Mehr Raketenabwehrsysteme

Eine Antwort auf Putins Raketenterror gegen ukrainische Städte muss eine Verbesserung der ukrainischen Flugabwehr sein. Die vier T-Iris-Systeme, die Deutschland schon seit längerem verspricht, sollen laut Verteidigungsministerin Christine Lambrecht „in den nächsten Tagen“ geliefert werden. Auch andere westliche Partner der Ukraine haben Luftabwehrsysteme zugesagt. Das ist wichtig. Denn wie der Montag gezeigt hat, ist die Ukraine in diesem Bereich noch zu verletzlich. Obwohl zugleich klar ist: Auch die besten Raketenabwehrsysteme werden ein Land niemals vollkommen schützen können.

Eine weitere Antwort sollte eine klare Ansage des Westens an Wladimir Putin sein, dass wir uns von derartigem Terror nicht einschüchtern lassen. Wer das nicht kann, sollte es von den Ukrainern lernen.

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