Publikationsverbot von „Sinn und Form“ - Sind Sie eine Zeitschrift? Hier geht’s zur Selbstbedienung

Das gerichtliche Publikationsverbot von „Sinn und Form“ wirft grundlegende Fragen zur staatlichen Förderung von Periodika auf. Warum wir endlich transparente Kriterien für Publikationen benötigen, die am Tropf der öffentlichen Hand hängen.

Fachzeitschriften an einer Universitätsbibliothek in München / picture alliance
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Autoreninfo

Björn Hayer ist habilitierter Germanist und arbeitet neben seiner Tätigkeit als Privatdozent für Literaturwissenschaft als Kritiker, Essayist und Autor.

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Deutschland, du Olymp der Dichter und Denker! Diesen Ruf hast du dir bis heute bewahrt. Deine Pfründen hast du souverän verteidigt und deine breite Landschaft aus Theater, Musik und Literatur bewahrt – über sämtliche Debatten zum Kulturinfarkt hinweg, wie wir sie noch vor Jahren erlebten.

Damals forderten einige, den Etat für die Kunst und ihre Institutionen zu kürzen. Das Argument lautete: Zu viel Geld sorgt für Ineffizienz. Dass wir uns für unsere Meinungsvielfalt (ob es sie so wirklich noch gibt, steht auf einem ganz anderen Blatt!) loben können, verdankt sich mitunter der Beharrlichkeit zahlreicher Idealisten auf dem Kultursektor. Die Logik ist klar – je mehr Spieler sich auf einem Feld bewegen, desto mehr Positionen und Charaktere werden sichtbar.

Ungleichbehandlung seitens des Staates

Diese Gleichung gilt der Intuition nach erst recht für Zeitschriften und Magazine. Seit dem gerade viel diskutierten Urteil des Berliner Landgerichts stellt sich die Lage allerdings etwas anders dar. Nachdem der Herausgeber des renommierten Periodikums Lettre International, Frank Berberich, gegen die öffentliche Unterstützung der traditionsreichen Konkurrenz, Sinn und Form, geklagt hatte, gaben ihm die Richter recht.

Eben weil eine kaum zu erklärende Ungleichbehandlung seitens des Staates vorläge. Warum die eine Publikation, finanziert von der Akademie der Künste, Unterstützung erhält und eine andere nicht, lässt sich in der Tat nur schwer erklären. Man muss gar nicht erst den Vorwurf der Staatsnähe bedienen, um die Problematik der Gemengelage zu verdeutlichen, es genügt allein die Willkür dahinter. 

 

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Sie hat inzwischen viele Nutznießer wie beispielsweise auch die Zeitschrift Kulturaustausch oder die Zeitschrift für Ideengeschichte. Und damit nicht genug zum vom Staat mitfinanzierten Portfolio, zählen dazu doch ebenfalls zahlreiche wissenschaftlichen Journale. Sucht man im Netz etwa nach Zeitschriften allein für die Germanistik, so findet man über zwanzig, von denen – freilich – auch zahlreiche inzwischen ausschließlich oder teilweise online erscheinen.

Der Großteil findet sich hingegen in Universitätsbibliotheken, die hohe Lizenz- und Abogebühren dafür abführen müssen. Fragt man hier wie ebenso bei den populäreren Quartals- und Jahresschriften nach dem Ursprung der Finanzierung, so kommt man über mehrere Zwischeneinrichtungen immer auf einen Haupt- oder Nebenfinanzier zurück, nämlich den Steuerzahler.

Wovon hat die Gesellschaft einen Nutzen?

Richtig ist, dass jede nicht erschienene Zeitschrift den weiten Raum des Austauschs und des Dialogs, mithin der Wissenskommunikation ärmer werden lässt. Richtig ist aber auch, dass all die Publikationen am Tropf der öffentlichen Hand eine bislang wenig eingeforderte Legitimationsverpflichtung haben. Sie sollten also im Dienste der Gesellschaft stehen. Nur woran hat diese einen Nutzen? 

Ohne in einen utilitaristischen Tonfall abzurutschen, muss man doch diskutieren, ob bei aktuell annähernd sechstausend Erscheinungen zu Kafka (Quelle: Bibliographie der deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft) eine weiterhin intensive Förderung von Aufsätzen zu diesem kanonischen Autor noch vertretbar ist? Gewiss lebt Forschung weiter und gewiss ändern sich Perspektiven auf Werke und Diskurse. 

Aber wo entstehen Gefälle in der Subventionspolitik im Kultur- und Bildungsbereich, die nur noch schwer zu begründen sind? Wie lässt es sich erklären, dass in manchen Regionen das Geld für ein gesundes Mittagessen in der Schule fehlt, während anderswo Zeitschriften, die über keine ausreichende Leserschaft zur Eigenfinanzierung verfügen, quasi wie im Selbstbedienungsladen öffentliche Ressourcen abgreifen? Warum werden nicht mehr Kleinverlage von diesen Mitteln gerettet? Und noch weitergesponnen: Wie kann ein Staat wiederum dem Sterben der Lokalberichterstattung aufgrund der Digitalisierung einfach nur zusehen, obwohl sie doch einen so hohen Beitrag zum Demokratieerhalt leistet?

Ein Weiter so sollte es nicht geben

Da es auf all diese Fragen keine schlüssigen Antworten gibt, sollte die Förderungsstrategie des Staates unbedingt neu und transparent geregelt werden. Es steht ihm sicherlich zu Gebote, gewisse Publikationsformate zu unterstützen, um dem Pluralismus von Ansichten und Haltungen Rechnung zu tragen. Aber wenn wir die Gelder in dem gigantischen Kulturetat von Bund, Länder und Kommunen gerechter verteilen wollen, kann nicht per se jeder unter dem Deckmantel von „Diversität“ die Hand aufhalten. 

Auch wenn derlei Auseinandersetzungen stets große Herausforderungen bergen, müssen wir die Qualitätsdebatte führen und uns darauf einigen, was wirklich von allgemeinem Interesse ist und was nicht. Dazu zählen übrigens auch Minderheitspositionen, also manche Formate, die derzeit gänzlich im Off, häufig getragen von sich selbst ausbeutenden Ehrenämtlern, operieren. Ein Weiter so für die aktbekannten Dinos vor den vollen Subventionströgen sollte es jedenfalls nicht geben!

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