Weltsynode in Rom - „Jede Revolution beginnt damit, dass bestimmte Tabus gebrochen werden“

Am Sonntag ist die erste Etappe der Weltsynode zu Ende gegangen. Im Interview zieht Ludwig Ring-Eifel, Chefkorrespondent der Katholischen Nachrichten-Agentur, eine Zwischenbilanz und erklärt, warum die Zusammenkunft in Rom ein Quantensprung für die katholische Kirche war.

Bischöfe und Kardinäle nehmen an einer von Papst Franziskus geleiteten Messe zum Abschluss der 16. Generalversammlung der Bischofssynode im Petersdom teil / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Ludwig Ring-Eifel war lange Chefredakteur der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) und ist derzeit Chefkorrespondent der KNA mit Sitz in Rom.
 
Herr Ring-Eifel, seit fast 30 Jahren kennen Sie den Vatikan und berichten über ihn und die katholische Kirche. Am Sonntag endete die erste Etappe der sogenannten Weltsynode. Was hat Sie persönlich am meisten überrascht? 

Ich war wirklich überrascht, in welchem Ton diese Synode verlaufen ist. Es ist gelungen, vom üblichen Kirchensprech mit theologischen Begriffen und sehr allgemeinen Formulierungen wegzukommen. Es ging in den Beratungen oft um sehr persönliche Erfahrungen und Schicksale. Es wurde ganz offen über die Widersprüche gesprochen, die sich zwischen der kirchlichen Lehre auf der einen Seite und der Realität vieler Menschen auf der anderen Seite zeigen. Kirche trifft Wirklichkeit, das habe ich so im Vatikan noch nie erlebt und das hat mich überrascht. 

Hat sich also in Rom etwas Revolutionäres ereignet?

Ja, aber das Revolutionäre, das sich in Rom ereignet hat, zeigt sich noch nicht unmittelbar in Beschlüssen, sondern es passiert sozusagen schon, bevor es greifbar da ist. Jede Revolution beginnt damit, dass bestimmte Tabus gebrochen werden. Und das ist geschehen. So muss es auch bei der entscheidenden Sitzung des Zentralkomitees der SED, die zum Rücktritt von Honecker geführt hat, gewesen sein. Zum ersten Mal wurde offen ausgesprochen, dass das Volk nicht mehr auf der Seite der Führung steht, dass es so nicht weiter gehen kann. Das war damals die Situation in Ostberlin, und so ist es auch in der Kirche. Man erkennt, dass es so nicht weitergeht und man sagt das offen.

Sie würden die Führungselite um Papst Franziskus vergleichen mit dem SED-Regime in Ostberlin? 

Natürlich setze ich das SED-Regime nicht mit der Führung der Katholischen Kirche auf eine Stufe. Nur was die Funktionsweise einer Revolution angeht und was den Prozess des Umbruchs angeht, gibt es halt gewisse Ähnlichkeiten. In Rom haben die Vorsitzenden der mehr als 100 Bischofskonferenzen der Welt getagt, mit den Chefs aller vatikanischen Ministerien und den Oberen der wichtigen Ordensgemeinschaften. Es ist also wirklich die komplette Führungsschicht der katholischen Weltkirche versammelt gewesen. Und dann wurden Dinge angesprochen, die bisher so unsagbar waren.

Welche Tabus wurden gebrochen?

Zum Beispiel erzählt jemand die Geschichte einer jungen Frau, die sich umgebracht hat. Der Grund war, dass sie sich mit ihrer sexuellen Orientierung von der Kirche nicht angenommen fühlte. Die gläubige Frau war bisexuell und hat diese Orientierung auch praktiziert, was die Kirche untersagt. Das hat sie in einen so schlimmen inneren Widerspruch gebracht, dass sie sich am Ende umgebracht hat. Als das in der Synode erzählt wurde, haben einige Teilnehmer geweint. Diese Art der offenen Aussprache hat, so glaube ich, mehr bewirkt als eine komplette Enzyklika zum Thema Sexualität, weil das Problem mit der vollen emotionalen Wucht im Raum stand. Wenn man so eine Geschichte gehört hat, kann man danach nicht einfach weiterreden wie vorher. 

Beginnt also eine Revolution, die zu Änderungen grundlegender Vorstellungen, Normen und Glaubenssätze der katholischen Kirche führen wird? 

Der Papst würde wahrscheinlich sagen: Es wird keine Revolution, sondern eine Evolution werden. Die Lehre der Kirche wird sich ändern, aber es soll keinen Bruch mit dem Bisherigen geben. Es wird also zu greifbaren Veränderungen kommen, die nicht nur Kosmetik sind, und zugleich wird eine Kontinuität gewahrt werden. Vielleicht ist das so etwas wie ein katholisches Paradox.

 

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Wie sieht es mit der Machtfrage aus und der Rolle der Frauen in der Kirche?

Erstmals überhaupt haben Frauen mit Stimmrecht an einer Bischofssynode teilgenommen. Von den mehr als 50 Frauen haben einige sehr deutlich auf den Putz gehauen und eben diese Machtfrage und den männlichen Klerikalismus auch thematisiert. Nur Männer können in der katholischen Kirche Priester, Bischöfe und Papst werden, das führt offenkundig zu einem Machtgefälle. Dies wurde nun offen und auch kontrovers auf höchster Ebene diskutiert, dahinter kann die Kirche nicht mehr zurück.
 
Welche Folgen hat das?

Zunächst mal gibt es noch keine Folgen, nur kleine Zeichen. Bischöfe und Kardinäle auf der Synode baten darum, nicht mehr mit Exzellenz oder Eminenz angesprochen zu werden, sondern so wie alle anderen auch. 

Nun ist ja die hierarchische Struktur der Kirche mit dem Papst an der Spitze und den Bischöfen sozusagen über Jahrhunderte so etwas wie ein Markenkern der Kirche gewesen. Dass katholische Priester ehelos leben, war auch wie ein Erkennungszeichen des Katholischen über Jahrhunderte hinweg. Verschiebt sich die Identität des Katholischen?

Ja, es geht auch um Identitätsfragen. Auch wenn Papst Franziskus betont, dass er an die grundsätzliche Struktur nicht heran will. Seine eigene Rolle als Papst sieht er nach wie vor als die des Letztentscheiders. Er sagt, der Papst sei und bleibe der Garant der Einheit. Und dazu gehöre auch die Entscheidungsvollmacht. Wo das genau hinführen wird, ist noch unklar. 

Der Papst hat ja zum Beispiel auch immer wieder vor der so genannten Genderideologie gewarnt. Ändert sich das nun? Schlägt er nun sozusagen einen „woken“ Kurs sein?

Nein, so einfach ist das nicht. Ich habe den Eindruck, dass sich die Frontlinien aufzulösen beginnen. Nicht jeder, der auf die Problematik von geschlechtlichen Identitäten hinweist, wird jetzt gleich als „Gender-Ideologe“ gebrandmarkt. Der Papst wird weiterhin die Ideologien kritisieren, aber gleichzeitig vor einer Vorverurteilung von Menschen warnen, die Probleme mit ihrer geschlechtlichen Identität haben oder andere geschlechtliche Identitäten suchen. 

Wo waren die Konservativen auf der Synode, die Franziskus doch immer wieder deutlich kritisiert haben? Wie scharf waren die Konflikte in Rom? 

Die Konservativen haben sich zu Wort gemeldet, sowohl in den kleinen Zirkeln als auch im Plenum. Doch die Statements waren recht allgemein gehalten und haben wenig Rückmeldung bekommen. Den Konservativen ist es nicht gelungen, ihre Anliegen so zu formulieren, dass sie verstanden und wahrgenommen werden. Sie haben den Paradigmenwechsel dieser Synode auf der Ebene der Sprache und der Kommunikation nicht mit vollzogen und sind weiter auf der Ebene allgemeiner Prinzipien, Rechtsvorschriften und Dogmen geblieben. Nur wenn sie es schaffen, eine neue Sprache und Ausdrucksweise zu finden, eine Hinwendung zum Konkreten und Lebenspraktischen, werden sie überhaupt noch Einfluss haben. 

Würde es bei der Einführung des Frauenpriestertums in der katholischen Kirche noch zu einer Spaltung der Kirche kommen?

Wenn eine so gravierende Änderung wie die Einführung der Priesterweihe der Frau in den, sagen wir mal, nächsten vier Jahren passieren würde, dann käme es weltweit gesehen vielleicht zu einer Spaltung. Denn es gibt etliche Männer und auch Frauen, die in Rom ihre klare Ablehnung bei der Frage zum Ausdruck gebracht haben. Wenn aber, wie der Papst es will, ein Prozess beginnt, der auf allen Kontinenten eine Veränderung des Denkens befördert und eine Entwicklung in diese Richtung anregt, dann und nur dann kann es irgendwann zur Frauenweihe kommen, ohne dass dies die Kirche zerreißt. Tatsächlich werden Stimmen auch in Afrika und Lateinamerika lauter, die den Zugang der Frau zum Priesteramt fordern. 

In Europa wenden sich immer mehr Menschen von der Kirche und vom Glauben ab. In anderen Erdteilen wächst die Kirche. Diese innere Spaltung war bislang bestimmend für viele Debatten. Hat sich das verändert? 

Die Debatten auf der Weltsynode haben gezeigt, dass das Meinungsspektrum weit aufgefächert ist, aber nicht mehr so stark sortiert nach Kontinenten. Es gibt Stimmen aus der ganzen Welt, die ganz klar ein Ende klerikaler Machtstrukturen fordern. Mehr „Synodalität“, zu der Franziskus aufruft, führt ja schon per se zu einer Aufweichung der hierarchischen Strukturen. Das, was die Basis sagt, theologisch nennt man es „das Volk Gottes“, wird wichtiger. Und der Wunsch nach Veränderung wird gewiss nicht nur von der reformorientierten Theologie in Deutschland oder in Westeuropa formuliert, sondern auch anderswo.

Die deutsche katholische Kirche hat sich ja auf einen eigenen Reformprozess begeben, den „Synodalen Weg“, der zuletzt auch in die Kritik geraten ist und vor allem auch in Rom auf Widerspruch stieß. Können die deutschen Mitglieder und vor allem auch die deutschen Bischöfe unter dem Vorsitzenden Georg Bätzing sich jetzt in ihrem Kurs bestätigt fühlen nach dieser Synode? 

Die Deutschen, mit denen ich gesprochen habe, sind zumindest glücklich darüber, dass sie in Rom nicht als die Bösen schlechthin angegangen wurden. Es habe schon kritische Fragen gegeben, aber auch Schulterklopfen, heißt es. Der Hauptvorwurf war wohl in etwa so: „Ihr Deutschen wollt immer alles ganz genau und sofort und alles ganz gründlich und alles schwarz auf weiß.“ Das wurde als deutsche Mentalität gesehen. Aber ganz so negativ wurde insgesamt dann doch nicht bewertet, was die Deutschen vorgearbeitet hatten. 

Also ist Rom so etwas wie eine Bestätigung des deutschen Weges?

So einfach wird es nicht. Die Teilnehmer, die aus Rom zurückkommen, werden dem deutschen Verbandskatholizismus und den Interessenvertretungen erneut klarmachen müssen, dass man immer noch viel Geduld braucht. Die Änderungen in den Köpfen passieren in Jahren, nicht in Monaten. Und ob die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des „Synodalen Weges“ so viel Geduld aufbringen, das weiß ich nicht. Aber es gibt aus meiner Sicht keine Alternative zu diesem geduldigen Wandel.

Die katholische Kirche ist weltweit betroffen durch die Missbrauchskrise, durch die Taten von sexueller Gewalt in ihren Reihen. Wie wurde dieses Thema in Rom aufgegriffen? 

Durch einige Demonstrationen von Missbrauchsopfern wurde das Thema lautstark auf die Agenda gebracht. Es gab auch in der Synode immer wieder Stimmen, die dazu aufriefen, auf die Opfer zu hören. Auch in dem ersten Papier, das verabschiedet wurde, steht, dass die Missbrauchsopfer mit ihrer persönlichen Erfahrungen auf das hinweisen, was falsch läuft in der katholischen Kirche. Dieses Bewusstsein ist tatsächlich auch längst im Vatikan angekommen. Und noch am vorletzten Tag der Beratungen hat der Papst persönlich in dem Missbrauchsskandal um den Priester Marko Rupnik eine neue Untersuchung angeordnet und dies auch begründet mit dem Wunsch der Synode, mehr auf die Opfer zu hören.

Papst Franziskus ist vor zehn Jahren als Reformer gestartet. Inzwischen waren viele, vor allem auch in Deutschland, skeptisch, was sie von ihm halten sollen. Wie ist Ihre Zwischenbilanz seiner Regierungszeit? Ist er, trotz aller Kritik, ein Epoche machender Papst?

Das steht für mich ohne jeden Zweifel. Dieser Papst hat die Kirche grundlegend verändert, er hat einen Epochenwechsel eingeleitet, er steht für eine neue Zeit. Ich habe schon so viele Synoden erlebt, auch viele Bischofssynoden auf der Weltebene. Diese Weltsynode ist ein solcher Quantensprung, wie er vor wenigen Jahren noch kaum denkbar war. Es gibt ein völlig verändertes Diskussionsklima, einen enormen Zuwachs an Offenheit und Pluralität. Es ist kaum vergleichbar zu den früheren Synoden. 

Vor 60 Jahren tagte das Zweite Vatikanische Konzil, das die Kirche grundlegend verändert hat. Gibt es jetzt wieder so etwas wie einen welthistorischen Konzils-Moment? 

Tatsächlich glaube ich, dass wir auf diesen welthistorischen Moment zusteuern. Diese Synode zeigt, dass bestimmte innere Widersprüche der Kirche an ein Ende gekommen sind. Natürlich gibt es noch viele Meinungsverschiedenheiten über die Konsequenzen. Aber es wird dann möglicherweise auf ein Konzil hinauslaufen, das allgemein verbindliche Änderungen verkündet. 

Das Gespräch führte Volker Resing. 

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