Viel zu schade für die Tonne - Gourmet-Rösti aus Resten

Unser Genusskolumnist verabscheut es, Lebensmittel wegzuwerfen. Schon beim Einkauf gibt er sich alle Mühe, Übermengen zu vermeiden. Und wenn dann doch mal was übrigbleibt und bald verarbeitet werden muss, vertraut er auf seine kulinarische Kreativität.

Vorausschauend einkaufen und bedenken: Mit dem Mindeshaltbarkeitsdatum sind Lebensmittel noch nicht abgelaufen / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Nein, es gibt in Deutschland keine Lebensmittelkrise. Alles, was für eine gesunde und genussvolle Ernährung benötigt wird, ist im Überfluss vorhanden. Die Auswahl ist groß, und sollte es bei einzelnen Produkten mal zu Engpässen kommen, stehen unzählige Alternativen zur Verfügung. Und so leisten sich die meisten Deutschen einen ganz besonderen „Luxus“: Die massenhafte Verschwendung und Vernichtung von Lebensmitteln aller Art.

Verwirrung bei der Haltbarkeit

In die Tonne wandert so ziemlich alles: Frisches Brot, dass nicht mehr ganz so knusprig ist, Bananen mit braunen Stellen auf der Schale oder Äpfel mit kleinen Druckstellen, Tomaten, deren Schale nicht mehr so prall wie beim Einkauf ist, vor kurzem angebrochene Packungen, Gläser und Dosen, übriggebliebene Mahlzeiten. Und natürlich alles, was das sogenannte Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) erreicht hat, da sich anscheinend hartnäckig der Glaube hält, dass Lebensmittel ab diesem Zeitpunkt generell nicht mehr verzehrt werden sollten.

Was schlicht Unfug ist. Den wenigsten Menschen wird der Unterschied zwischen dem MHD und dem Verbrauchsdatum, das etwa bei Hackfleisch angegeben wird, geläufig sein. Denn dieses markiert tatsächlich den Zeitpunkt, ab dem das Produkt nicht mehr verzehrt werden sollte. Doch auch das könnte vermieden werden, wenn nicht viel zu viel eingekauft würde.

11 Millionen Tonnen für die Tonne

Die Lebensmittelvernichtung summiert sich in Deutschland auf 78 Kilogramm pro Person und Jahr. Und das erfasst nur die Privathaushalte, denn auch der Handel vernichtet große Mengen genussfähiger Lebensmittel, die nicht mehr verkäuflich sind. Dahinter steckt eine eigentlich unfassbare Geringschätzung von Lebensmitteln. Jedenfalls bei denjenigen, die sie sich mehr oder weniger unbeschränkt leisten können.
 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

Auch die volkswirtschaftlichen und ökologischen Kosten, die durch insgesamt rund 11 Millionen Tonnen vernichtete Lebensmittel pro Jahr entstehen, sind enorm. Denn all diese Lebensmittel wurden produziert, verpackt, gelagert, transportiert und teilweise auch gekühlt. In ihnen stecken jede Menge menschlicher Arbeitskraft, Technologie, Logistik und vor allem Energie. Und natürlich wird durch Lebensmittelverschwendung auch das Aufkommen an Verpackungsmüll gesteigert.

Fast alles ist genussvoll verwertbar

Ich bin kein besserer Mensch, und ich beklage auch nicht bei jeder Gelegenheit mit erhobenem Zeigefinger und bebender Stimme das Elend der Menschen in der Sahel-Zone oder anderen von Dürre- und Hungerkatastrophen betroffenen Regionen. Aber ich frage mich eigentlich schon, was daran so schwer sein soll, nicht ständig zu viel einzukaufen, seinen Kühlschrank im Auge zu behalten und unvermeidbare Reste sinnvoll zu verwenden. Wenn die Dose Rotkohl als Beilage nur zur Hälfte verbraucht wurde, macht man aus dem Rest ein paar Tage später eben eine schmackhafte Rotkohlsuppe, etwa mit Ingwer, Apfel , Gemüsebrühe, etwas Crème fraîche und dann püriert. Auch aus fast allen Resten von frischem Gemüse lassen sich Fonds und Suppen herstellen, die man auch einfrieren kann. Und die halbe Dose Kokosmilch, die man für sein Curry nicht gebraucht hat, verarbeitet man eben eine Woche später zu einem Pudding, mit Sahne und Früchten oder zu einer einfachen Eisspeise.

Einfach gucken, was allmählich weg muss

Es gibt unzählig viele Möglichkeiten für eine sinnvolle, kreative und ausgesprochen wohlschmeckende Resteverwertung, und viele berühmte, „edle“ Gerichte  wie Paella oder Bouillabaisse sind ursprünglich nichts anderes gewesen. Aber natürlich ist es bequemer, alles wegzuwerfen, und wieder was neues zu kaufen.

Für mich kommt das nicht in Frage. Vielmehr inspiriert mich der Blick auf angebrochene Packungen und Dosen im Kühlschrank oder in der Kammer immer wieder zu neuen Kreationen, die man manchmal in keinem Kochbuch finden wird. So auch in dieser Woche. Der Resteverwertung harrten ein wenig Speck (war bei einer Carbonara übriggeblieben), eine halbe Tüte Pinienkerne (war zu viel für das Basilikumpesto) und die letzten verwertbaren Stengel Schnittlauch auf dem Balkon. Die aktuell noch vorrätigen, bereits dezent schrumpelnden Kartoffeln sollten auch allmählich weg, bevor sie keimen, und Zwiebeln waren auch noch da.

Schnell, einfach und köstlich

Los geht‘s. Die Kartoffeln weich kochen, auskühlen lassen, schälen und grob raspeln. Den Speck in feine Streifen schneiden und glasig anbraten. Pinienkerne und fein gewürfelte Zwiebeln trocken anrösten, Schnittlauch fein schneiden. Dann alles mit ein wenig Olivenöl gründlich vermischen, salzen und pfeffern, ein wenig ziehen lassen und zu kleinen Fladen formen. In einer beschichteten Pfanne bei mittlerer ohne weitere Fettzugabe braten und dabei mehrmals vorsichtig wenden und aufpassen, dass die Unterseiten nicht zu stark gebräunt werden. Fertig und köstlich. Und eben nicht in der Tonne, sondern auf dem Teller.

Auf die Zutatenliste verzichte ich in diesem Fall. Es war eine reine Zufallskombination, die man als eine Art Rösti-Variante bezeichnen könnte. Jeder fühle sich hiermit ermuntert, seine eigenen Reste zu begutachten und daraus etwas zu zaubern.

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