Corona-Verschwörungstheorien - Bill Gates, der geheime Lenker des Weltgeschehens?

Krisenzeiten sind die besten Zeiten für Verschwörungstheoretiker. Aus berechtigter Kritik wird – wie das Beispiel Bill Gates zeigt – schnell Unsinn. Doch inzwischen ist selbst das Bürgertum davon befallen. Ein Alarmzeichen.

Viel Geld, viel Einfluss, viele Theorien: Bill Gates / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Impfpass heißt im Englischen Certificate of Vaccination. Und eine Ausweisnummer ist eine ID. Gibt zusammen das Akronym COVID. Das kann doch kein Zufall sein, oder? Willkommen in der Welt der Verschwörungstheoretiker. Verschwörungstheorien sind ein Produkt unserer Hirnarchitektur. Geradezu zwanghaft suchen wir die Welt nach Kausalbeziehungen und Zusammenhängen ab.

Dabei waren wir so erfolgreich, dass wir es von einer schwächliche Population hominider Savannenbewohner bis auf den Mond geschafft haben. Der Preis dafür: Wir sehen Muster und Zusammenhänge auch dort, wo überhaupt keine gibt. Munter bastelt unser Gehirn zufällige Ereignisse zu scheinbar sinnvollen Geschichten zusammen.

Uralte Stereotypen

Das beginnt beim kleinen Alltagsaberglauben und endet im großen Welterklärungsmodell. Entsprechend entsprangen Verschwörungstheorien über Jahrhunderte religiösen Bilderwelten. Etwa von Bevölkerungsgruppen – Juden oder „Hexen“ beispielsweise – die mit dem Satan im Bunde waren und Unheil brachten. Aufklärer vergangener Jahrhunderte folgerten daraus, man müssen den Menschen nur Bildung und Wissenschaft bringen und aller Aberglaube und alle Verschwörungstheorien würden sich in Luft auflösen – der Jahrtausendirrtum.

Wissenschaft und Bildung schafften nicht die Dummheit aus der Welt. Sie gaben ihr nur andere Mittel in die Hand. Und so blühten schon im Zeitalter der Aufklärung Alchemie, Geheimlehren und Okkultismus. Diese Schattenseiten ihrer selbst hat die Moderne nie verlassen. Das tief in der menschlichen Psyche verankerte Bild von der oberflächlichen (aber eben nur scheinbaren) Realität und der tieferen, verborgenen Wahrheit bestimmt nicht nur das Denken von ein paar abgedrehten Esoterikern, sondern ist nach wie vor ein Massenphänomen. Und natürlich wird dabei immer wieder auf uralter Stereotypen zurückgegriffen.

Gates, der schwarze Lord des Weltgeschehens

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Als eigentliche Drahtzieher gelten nach wie vor Juden, die CIA, Illuminaten, Rosenkreuzer oder Freimaurer – man schaue sich nur die Symbole auf einem Dollarschein an oder den Grundriss Washingtons, das sagt doch alles. Doch auch Verschwörungstheoretiker müssen ihre Weltsicht den veränderten Gegebenheiten anpassen. Und so tauchen regelmäßig neue Akteure in ihrem Welttheater auf, etwa der amerikanische Software-Milliardär Bill Gates.

Insbesondere in der Corona-Krise ist Gates für viele Menschen zum schwarzen Lord des Weltgeschehens avanciert. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Gates ist unendlich reich. Wer reich ist, hat Einfluss. Zudem engagiert sich Gates im heiklen Gebiet der Gesundheitshilfe, und die ist anfällig für allerlei Unterstellung. Und so hat sich ein buntes Potpourri aus Impfgegnern, Pharmakritikern, Antikapitalisten und Wirrköpfen zusammengetan, um Gates als das Haupt einer Verschwörung wider die Menschheit zu entlarven.

Ein Plan zur Vergiftung der Menschheit?

Befeuert wurden die Verschwörungstheorien dadurch, dass Gates schon seit geraumer Zeit vor einer Pandemie warnt. So etwa auf der TED-Konferenz im Jahr 2015. Um das Risiko einer gefährlichen Pandemie zu erkennen, muss man weder Bill Gates noch ein Genie sein. Doch nicht wenige hören aus Gates damaliger Rede einen Plan zur Vergiftung der Menschheit heraus. Oder für gigantische Geschäfte.

Denn eindringlich wirbt Gates für weltweite Impfungen und die Bereitstellung entsprechender Ressourcen. Oder will Gates uns qua Massenimpfungen gar Mikrochips implantieren lassen, wie auch vermutet wird? An dem Fall Gates kann man gut studieren, wie Verschwörungstheorien funktionieren: Man nehme ein paar unbestreitbare Tatsachen wie Gates milliardenschweren Einfluss, würze sie mit Zitaten, schmecke mit bösartigen Unterstellungen ab und garniere alles mit diskussionswürdiger Kritik.

Zwischen Kritik und Verschwörung

Denn natürlich kann man über Gates Finanzierung der WHO streiten, einer Organisation, die überdies auf fragwürdige Weise mit der Pharmaindustrie verwoben ist. Und selbstverständlich muss man darüber diskutieren, ob gegen ein vergleichsweise harmloses Virus wie SARS-CoV-2 überhaupt geimpft werden muss und wer daran verdient. Doch Kritik ist das eine.

Aus ein paar harmlosen Einwänden eine große Verschwörung zu basteln, mit bösartigsten Motiven und absurden Vorstellungen von irgendwelchen Machenschaften ist aber etwas ganz anderes. Dass solch irrationaler Unfug inzwischen weit in das Milieu der Normalbürger vorgedrungen ist, zeigt, wie fragmentiert unsere Gesellschaft schon ist. Die Maßstäbe gehen verloren. Ein Alarmzeichen.

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