„Mündig“ von Ulf Poschardt - Hey, Freiheit tut nicht weh!

Ulf Poschardt schreibt in seinem neuen Buch gegen die Trends einer unreifen Epoche an. Er fordert eine existenzielle Mündigkeit, erkennt aber auch im Liberalismus ungenutzte Chancen: Es gelte, die physische Dimension der Freiheit wiederzuentdecken.

Wünscht sich mehr Rennfahrer auf der liberalen Überholspur: Ulf Poschardt / picture alliance
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Autoreninfo

Norbert Bolz ist emeritierter Professor für Medienwissenschaften. Er ist Autor zahlreicher Bücher; zuletzt erschien von ihm „Das richtige Leben“ (Verlag Wilhelm Fink, 2013). Im Jahr 2011 wurde Bolz mit dem Tractatus-Preis für philosophische Essayistik ausgezeichnet

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Das ist kein Buch, sondern ein Fanal. Während die FDP nach dem Thüringer Debakel und der Canossa-Rede von Parteichef Lindner in Feigheit und Verzagtheit erstarrt ist, ertönt hier die Stimme eines radikalen Liberalen, die optimistisch und kraftvoll zu einer neuen Aufklärung aufruft. Ulf Poschardts Titel „Mündig“ signalisiert zweierlei: Wir leben heute in einer infantilen Gesellschaft, und dieser Rückfall in die Unmündigkeit ist selbst verschuldet. 

Das schließt natürlich an Immanuel Kant an, der Aufklärung als Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit definiert hat. Doch Kant hatte Zweifel daran, dass das einem Einzelnen gelingen könnte. Poschardt, Chefredakteur von WeltN24, ist optimistischer und mutet es jedem, der noch Würdegefühl hat, zu, den Mut und die Risikobereitschaft aufzubringen, den Panzer des wohlfahrtsstaatlichen Paternalismus zu sprengen. Statt sich von der Wiege bis zur Bahre von Vater Staat an die Hand nehmen zu lassen, macht sich der mündige Mensch zum Autor seiner eigenen Biografie.

Poschardt versucht nicht, wie Kant eine dialektische Lösung des Aufklärungsproblems zu finden, sondern er zeigt uns Figuralparadigmen der Freiheit, also Menschen, die die Idee des Liberalismus vorleben. Das sind nicht unbedingt Heldentypen. Zu den Mündigen gehören auch das bürgerliche Individuum und der souveräne Konsument, vor allem aber der Unternehmer im schumpeterschen Sinn, dessen fabelhafter Mut zur „schöpferischen Zerstörung“ das Neue in die Welt bringt. Dem entspricht dann auch, was man „hartes Grün“ nennen könnte, nämlich die Verknüpfung einer ökologischen Aufklärung mit dem westlichen Stolz auf den wissenschaftlich-technischen Fortschritt – gegen die letztlich entmündigende Rhetorik der Klimaapokalyptiker.

Vom Ritter der Überholspur

Die unmündige, infantile Gesellschaft, der Poschardts Weckruf gilt, ist natürlich die deutsche. Und sie muss es sich sagen lassen, dass das Land, dessen Schicksal wir uns wie keinem anderen verpflichtet wissen, das genaue Gegenbild darstellt. Poschardt schreibt: „Länder wie Israel, von Feinden umgeben, von der Auslöschung bedroht, haben eine existenzielle Mündigkeit entwickelt. Sie sind mündig, um zu überleben. Nirgendwo ist Politik so wenig luxuriöse Distinktion und so sehr radikale Realpolitik wie in Israel. Die mündigsten Staatsbürger leben vermutlich in Israel.“ Derartige Überlegungen hätte vielleicht auch ein wacher Soziologe anstellen können. Doch seinen eigentlichen Drive bekommt Poschardts Manifest durch etwas anderes.

Den Begriff der existenziellen Mündigkeit macht er ebenso provokant wie plausibel am Rennfahrer fest, dem „Ritter der Überholspur“. Er ist der Inbegriff von Mut und Risikobereitschaft. Eine solche These heute in Deutschland zu verfechten, ist selbst äußerst mutig und riskant. Aber Poschardt tut es, und er schreckt auch nicht vor der alles bekennenden Parole zurück: „Ayrton Senna statt Robert Habeck“.

Ein Einmannunternehmen

Poschardts entscheidende Intuition liegt also darin, die Idee des Liberalismus nicht nur in den Abenteuern des Geistes zu suchen. Er findet sie auch in Filmen und in Popsongs, in Discos und Subkulturen – also eher im Nachtklub als im Parteibüro der FDP. Es ist diese „physische Dimension der Freiheit“, die der politische Liberalismus wohl wiederentdecken müsste, um für junge Leute attraktiv zu sein. 

Im Augenblick ist das noch ein Einmannunternehmen. Und wenn man zurückdenkt, ob man schon einmal eine so freie, souveräne Stimme im Nachkriegsdeutschland gehört hat, fällt einem nur Karl Heinz Bohrer ein, der Essayist und ehemalige Merkur-Herausgeber. Mit ihm trifft sich Poschardt in der Überzeugung, die alle politisch Korrekten hysterisch aufschreien lassen wird: „Schönheit ist wichtiger als Moral.“

Ulf Poschardt „Mündig“ Klett-Cotta, Stuttgart 2020. 270 Seiten, 20 €

Dieser Text ist in der April-Ausgabe des Cicero erschienen, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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