Top Gun: Maverick - Der Letzte seiner Art

Seit dieser Woche läuft „Top Gun: Maverick“ in den Kinos, die Fortsetzung des Klassikers von 1986. Als Genrefilm funktioniert die Produktion. Der Schauwert ist erheblich. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film in mehrfacher Hinsicht ein Anachronismus ist. Das allerdings macht ihn schon wieder sehenswert.

Tom Cruise auf einer Pressekonferenz zu „Top Gun: Maverick“ in Tokio / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es ist eine der populärsten Eröffnungssequenzen der Kinogeschichte: Ein synthetischer Rhythmus setzt ein. Das Paramount-Logo erscheint. Ein Glockenschlag ertönt. Dann wird die Leinwand schwarz. Der Paramount-Schriftzug wird eingeblendet, die Namen der Produzenten, des Regisseurs, des Hauptdarstellers, der Hauptdarstellerin, schließlich eine Tafel. Sie informiert, dass am 3. März 1969 die US-Navy für ihre besten Piloten eine Eliteschule gegründet hat. „Today, the Navy calls it Fighter Weapons School. The flyers call it: Top Gun.“ Was für eine Titelsequenz!

Danach sieht man, wie Männer auf einem Flugzeugträger Kampfflugzeuge einweisen, Jets in ihre Startposition rollen, den Schlitten der Dampfkatapulte einhaken und Gasstrahlabweiser im Sonnenaufgang aus dem Startdeck klappen. Und als dann bei Minute 02:39 eine Maschine Vollschub gibt und die Triebwerke aufheulen, setzt Kenny Loggins „Danger Zone“ ein. Eine Pathosformel des Genre-Kinos reiht sich hier leichthändig an die andere. Schwer, sich dem zu entziehen.

Dass Regisseur Joseph Kosinski 36 Jahre später die berühmte Anfangssequenz für das Sequel „Top Gun: Maverick“ detailgenau rekonstruiert, ist nicht verwunderlich. Zudem setzt er damit ein klares Zeichen. Auch der 2022 Top-Gun-Film ist ein echter Top-Gun-Film.

Optik wird hier über Dramaturgie gestellt

Genau dieses Bekenntnis zur übergroßen Vergangenheit hätte allerdings auch Ballast werden können. Dies umso mehr, als die alte Hauptperson auch die neue Hauptperson ist: der durch Tom Cruise dargestellte Captain Pete „Maverick“ Mitchell. Und auch einige Konfliktlinien aus dem Klassiker haben die Autoren in die Fortsetzung übernommen: der von Glen Powell gespielte Hangman übernimmt die Rolle des Iceman, die berüchtigte Volleyballsequenz des Originals wird ebenso zitiert wie die bekannte Barszene. Das hätte gründlich schief gehen können. Doch Kosinski gelingt es, Aspekte des Originals als Hommage aufzugreifen, zugleich aber der Fortsetzung eine eigene Identität zu verschaffen. Nicht ungeschickt spielt er das Spiel mit den Genres: Sequel oder Requel, Fortsetzung oder Neubearbeitung? Es gehört zu den klugen Entscheidungen der Verantwortlichen, dass man sich für ein entschlossenes „Beides“ entschieden hat.

Schon beim alten Top Gun spielte die Story nur eine untergeordnete Rolle. Die wenigsten werden sich an sie erinnern. Und ähnlich marginal ist die Handlung auch in der aktuellen Fassung: Pete „Maverick“ Mitchell wird aus seinem Status als Testpilot reaktiviert, um Absolventen von Top Gun auf eine gefährliche Mission vorzubereiten. Dabei trifft er auf Bradley „Rooster“ Bradshaw, den Sohn seines seinerzeit verunglückten Freundes Goose. Der gibt Maverick die Schuld an dem Tod seines Vaters. Doch wir sind in einem Blockbuster. Am Ende des Films werden die beiden über eine gemeinsam bestandene Gefahr zusammengewachsen sein und sich die Hände reichen. So weit, so gut.

Das alles ist erwartbar hochklassisch inszeniert. Und obwohl gleich mehrere Autoren in den vielen Entwicklungsjahren an dem Stoff gearbeitet haben – etwa Peter Craig, Ehren Kruger und Christopher McQuarrie –, merkt man dem Skript den Willen an, tatsächlich eine Art Geschichte zu erzählen und Charaktere zu entwickeln. Dass dennoch vor allem die Flugszenen die eigentlichen Protagonisten sind, liegt im Wesen der Sache. Das hat hohen Schauwert, wenngleich die Spannung hier häufig der Dynamik geopfert wird. Optik wird hier über Dramaturgie gestellt. Man kann das auch als langweilig empfinden.

Schon der alte Top Gun war seltsam unpolitisch

Vielleicht hätte „Top Gun: Maverick“ nicht ganz die Aufmerksamkeit bekommen, wenn er nicht mitten in eine Zeit des Krieges hineingestartet wäre. Dabei war schon der alte Top Gun seltsam unpolitisch. Zwar waren die gegnerischen Flugzeuge MIGs, doch wer hier genau der Gegner war und warum, war eigentlich nicht zu sagen. Ähnlich aus der Geschichte gefallen präsentiert sich nun der zweite Teil. Doch was in den letzten Jahren des Kalten Krieges halbwegs funktionierte, weil die Fronten ohnehin klar waren, wirkt in Zeiten des Ukraine-Krieges und einer sich neu sortierenden Weltordnung nur noch museal. Und auch die Vorstellung, dass menschliche Piloten Sonderaufträge ausführen, ist im Zeitalter von Phoenix Ghost und Bayraktar TB2 bestenfalls romantisch.  

Doch auch konzeptuell ist „Top Gun: Maverick“ vor allem eine Erinnerung an eine untergehende Form des Kinos. Ein Kino mit einem Superstar, männlich und weiß, um den sich alles herumgruppiert und auf den hin alles ausgerichtet ist. Tom Cruise ist ein letzter Vertreter dieser Art Hollywoodstar. In Zukunft wird auch Hollywood demokratischer werden, diverser und pluralistischer.

So gesehen ist „Top Gun: Maverick“ auf Zelluloid gebannte Erinnerung an ein Hollywood, wie es einmal war, an eine politische Welt, die Vergangenheit ist, und an Kriege, in denen einzelne Menschen, allen Massenvernichtungswaffen zum Trotz, Entscheidendes leisten konnten. Doch diese Zeiten sind vorbei. Im Kino, in der Politik, im Krieg. Allerdings ist der Film klug genug, genau das zu wissen: „Das Ende ist unvermeidlich, Maverick“, sagt in einer Szene Konteradmiral Chester „Hammer“ Cain zu Maverick. „Ihre Art wird aussterben.“ Gemeint sind damit nicht nur analog fliegende Piloten.

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