Serie: Urlaub extrem - Weintrinken in Moldawien

Während seines Urlaubs in Moldawien schloß „Cicero“-Kulturchef Alexander Kissler Freundschaft mit dem moldauischen Wein. Das kleine Land produziert jährlich so viel Wein wie das ungleich größere Deutschland und ist alleine deshalb schon eine Reise wert

Erschienen in Ausgabe
Nationalstolz Wein: Moldawische Tänzerinnen auf dem Wein-Festival in Chisinau / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Als ich nach Chisinau hinüberflog, war es Dezember und also sehr kalt. In Wien stieg ich um, Direktflüge gab es nicht. Mittlerweile bedient Wizz Air zweimal wöchentlich Chisinau direkt von Berlin. Ein Zeichen wachsender Bedeutung? Im Dezember, als ich nach Ki-Schi-Nau flog – so spricht man die Hauptstadt Moldawiens, genauer: der Republik Moldau aus –, war davon keine Rede. In Wien stiegen Moldauer auf Heimaturlaub zu, Weihnachten im müden Blick, die Koffer schwer, die Herzen voll. „Woher stammt wohl des Moldauerlandes Volk? Jedermann sei versichert: Aus Roms Ländern.“ Heißt es in Miron Costins Chronik aus dem 17. Jahrhundert.

Der Flughafen von Chisinau ist ein funktionales Schmuckstück, klein, sauber, am Rand der Metropole. Der Weg ins Zentrum führt über löchrige Straßen, vorbei an verfallenden Häusern. Klein sind auch die Autos. Nichts scheint weiter entfernt als Rom. Doch man spricht Rumänisch, und „der Römer Wall in unserem Land“ (Costin) ist Geschichte. Rund 800 000 Menschen leben in Chisinau, ein Fünftel der Gesamtbevölkerung. Universität, Oper, Theater, Philharmonie gibt es nur hier. Puschkin lebte in Chisinau, Mannheim ist Partnerstadt, Europa und Russland sind die Vektoren der Sehnsucht. Am Straßenrand verkauft ein Mütterchen acht Gläser mit Gurken, adrett aufgereiht. Sie buhlt nicht um Kunden. Bettler sah ich keine. Moldawien ist arm, doch es hat seinen Stolz. Und seinen Wein.

Gewaltige Wein-Produktion

An hässlichen Hinterlassenschaften der Sowjetzeit herrscht kein Mangel; „Tor von Chisinau“ wird ein brutales Gegenüber zweier scharfkantiger Hochhausklötze genannt. Im Kaufhaus sind die Abteilungen kleine Kaufverrichtungsboxen, hineingewuchtet in eine Lagerhalle. Kein Stalin aber, kein Breschnew konnte den Moldauern ihren Eigensinn nehmen. Nationalheld Stefan der Große reckt im schönsten der vielen Parks von Chisinau (und auf den Banknoten) das Kreuz in die Höhe. Von 44 Schlachten gewann er 40 für sein Fürstentum – wer kann da mithalten? Ein Heer aus 120 000 Türken schlug er 1475 mit nur 40 000 Mann. Das nach zehnjähriger Umbauzeit eröffnete Nationale Kunstmuseum, Muzeul National de Arta al Moldovei, ein freundliches Prachtgebäude in bester Lage, dessen Werke von Mihail Grecu oder ­Antoine Irisse in Rom keine Schande machten, erzählt nicht von einstigen Helden, sondern von Beharrung, von Trotz und Lakonie: hier ein Selbstporträt, ein Fluss, dort Farbkaskaden.

Am Abend war das Mütterchen mit ihren Gurken verschwunden, am Morgen stand sie wieder da, mit neuen Gläsern und mit Handtüchern im Angebot. Mittlerweile hatte ich Freundschaft geschlossen mit dem moldauischen Wein. Das kleine Land produziert Jahr um Jahr etwa so viel wie das ungleich größere Deutschland, für den heimischen, den russischen, den chinesischen Markt. Die Weißweincuvée „5 Elemente“, ein Biowein von Equinox aus Olanesti, ist jeden Anflug wert, kann aber auch in Deutschland erstanden werden. Warum nur flog ich im Dezember ins bitterkalte Chisinau hinüber? Um das herauszufinden, muss ich noch einmal hin.

Bereits erschienen in der Serie Urlaub Extrem: „Baden in Somaliland“Bergwandern in Afghanistan, Mit Prince Charles in Siebenbürgen, Detox in Tschetschenien, Angeln auf Poel.

Dieser Text stammt aus der Titelgeschichte der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.















 

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