Serie: Urlaub extrem - Angeln auf Poel

Waren Sie schon mal auf Poel? Das ist eine Insel in der Wismarer Bucht in der Ostsee. Dabei ist sie eigentlich gar keine richtige Insel. Wer keinen Sonnenuntergang auf Ibiza mehr ertragen will, dafür aber gebratenen Dorsch, Aal und Zander, muss hier her

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Strandkörbe am Strand von Timmendorf (Mecklenburg-Vorpommern) auf der Insel Poel / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Es fängt schon mal damit an, dass die Insel Poel gar keine richtige Insel ist: Keine Fähre setzt über, kein Sund wird überspannt – nur ein kleiner Engpass auf der Bod­denseite, der hier Breitling heißt. Die Brücke ist keine zehn Meter lang, das kleine Mahlströmen drunter könnte ebenso gut ein Kanaldurchstich sein. Linker Hand, dort, wo die Pferde im Abendlicht auf den Sumpfwiesen grasen und die Austernfischer wichtigen Schrittes durchs seichte Wasser waten und ihre roten Schnäbel im Schlamm versenken, erscheint die Silhouette einer mächtigen Papierfabrik vor den Toren Wismars. Ein riesenhafter Schuhkarton, der sich bei genauem Hinsehen als Werft erweist, macht das Panorama auch nicht schöner.

Und doch ist diese Insel, die keine ist und kaum einer kennt, für mich ein himmlischer Ort. Weil er so normal ist. Hier ist kein Gewese, hier fahren keine Porsche Panamera, hier gibt es keine Gosch-Lokale, wo Hummer in Champagner ersäuft werden. Die Ortschaften in rotem Backstein heißen Seedorf und Kirchdorf oder Timmendorf und könnten von Michael Ende erfunden sein. Überhaupt ist das hier das reale Lummerland, nur dass keine Molly über die Insel fährt und, soweit ich weiß, auch kein Viertelvorzwölfter König ist. Der Supermarkt in Kirchdorf aber hat schon wieder Ähnlichkeit mit dem Laden von Frau Waas. Eine ungeheure Ruhe liegt über dieser kleinen Insel, die gerade mal 36 Quadratkilometer groß ist und sich wie kühlendes Gel auf die Großstadtseele legt.

Die Insel, die kaum einer kennt

Der alte Apfelbaum am Leuchtturm bei Gollwitz treibt jedes Jahr wieder Hunderte weiß-rote Blüten aus, obwohl das Meer an seinen Füßen nagt und er sich krümmt gegen den drohenden Abhang und auflandigen Wind. Kein Sonnenuntergang von Ibiza kann da mithalten, und ein Café del Mar gibt es zum Glück auch nicht. Dafür überall gebratenen Dorsch oder Aal oder Zander, so frisch, dass man meint, die Muskeln im Fleisch noch zucken zu sehen. Dazu Bratkartoffeln, so braun und rösch, dass sich die Acrylamid-Bekämpfer von Brüssel mit Grausen abwenden würden. Leider lecker, muss man ihnen sagen, bei einem Pils. Und dann am besten mit dem Rad durch die sattgrünen, sanft gewellten Wiesen und Felder fahren, über denen die Feldlerchen singend aufsteigen und immer wieder ein Seeadler kreist.

Bestimmt finden sehr viele Menschen Poel, die Insel, die kaum einer kennt und von der die wenigsten wissen, wie man sie ausspricht (Pöhl), bestimmt also finden viele Menschen Poel sehr langweilig. Gott sei Dank, denn dann bleibt sie auch so. Für mich kann es Anfang Juni keine schönere Zeit geben. Wenn der Raps gelb leuchtet und der Hornhecht vor der Küste steht, der Zug von Berlin-Friedrichstraße in einem durch bis Wismar fährt, und die letzten 20 Kilometer Radweg über die kleine Brücke bis zur kleinen Pension im Ortszentrum von Gollwitz führen, in dessen Dorfteich die Frösche ihrer Paarungslust mit grollendem, rollenden Knattern Ausdruck verleihen.

Dieser Text stammt aus der Titelgeschichte der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.

Bereits erschienen in der Serie Urlaub Extrem: Weintrinken in Moldawien„Baden in Somaliland“Detox in Tschetschenien, „Mit Prince Charles in Siebenbürgen“Bergwandern in Afghanistan“.














 

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