Richard Schröder über die Ablehnung des Bibelzitats am Berliner Stadtschloss  - „Peinlich und blamabel“

Christliche Symbole stehen unter Verdacht. Zuletzt wurde das Kreuz aus dem Friedenssaal in Münster entfernt. Auch über Kreuz und Spruchband an dem wieder errichteten Berliner Stadtschloss wird wieder diskutiert. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) kritisiert den biblischen Schriftzug und will ihn „überblenden“. Der evangelische Theologe Richard Schröder widerspricht und erklärt, was die Kuppel-Inschrift sogar mit Willy Brandts Kniefall in Warschau zu tun hat. 

Kuppel des wiederaufgebauten Berliner Stadtschlosses mit Kreuz und Spruchband. /dpa
Anzeige

Autoreninfo

Richard Schröder ist Philosoph und Theologe. Er ist Vorsitzender des Fördervereins Berliner Schloss. Schröder war 1990 SPD-Fraktionsvorsitzender in der frei gewählten DDR-Volkskammer.

So erreichen Sie Richard Schröder:

Anzeige

Die Kuppel des Berliner Schlosses mit dem Kreuz und der Umschrift aus zwei Bibeltexten sorgt immer noch für Aufregung. Nun hat die Staatsministerin für Kultur und Medien sich das vom Humboldt-Forum konzipierte Projekt zu eigen gemacht, welches vorsieht, dass nachts die Kuppelinschrift von einem Leuchtband überstrahlt wird, welches alternative Texte bietet. Das Humboldt-Forum hat Artikel 1 des Grundgesetzes und Texte zu den Menschenrechten vorgesehen.

Darf man denn so etwas machen? Man darf. Geschmacklosigkeiten sind nicht verboten. Aber sie sind peinlich und blamabel, deshalb ist von solcher Selbstschädigung in aller Freundschaft fürsorglich abzuraten. 

Warum ein Kreuz auf einem Schloss?

Ein Kreuz über einem Schloss ist ja tatsächlich ungewöhnlich und wäre weder Friedrich I. noch Friedrich II. in den Sinn gekommen. Es erklärt sich daraus, dass Friedrich Wilhelm IV. unter dieser Kuppel eine neue Schlosskapelle hat bauen lassen, die ihm schon als Kronprinz eine Herzensangelegenheit war. Es war die vierte in der Geschichte des Schlosses. Deshalb also Kuppelkreuz und Bibelsprüche, dazu – noch nicht aufgestellt – rings um die Kuppel acht biblische Propheten und zur Straßenseite Mose und Elia. Engel (Cheruben) tragen die Laterne der Kuppel, die aus Palmenblättern besteht, alles Elemente, die bei einem Sakralbau nicht verwundern. 

Nahezu alle Burgen und Schlösser Europas haben Kapellen, als private Gottesdiensträume des Schlossherren und des Hofes. Ungewöhnlich ist allerdings, dass sich eine Schlosskapelle sozusagen auf dem Schlossdach befindet. Das erklärt sich daraus, dass der ursprünglich von Eosander vorgesehene Turm mit Kuppel vom Soldatenkönig in seinem Eifer gegen den Luxus seines Vaters gestrichen worden ist. Insofern konnte Friedrich Wilhelm IV. seine Schlosskapelle zugleich als die Vollendung des Haupteingangs sehen. 

Aber heute befindet sich doch unter der Kuppel kein Sakralbau!  Kuppelkreuz und Bibelinschrift passen zudem nicht zur heutigen Aufgabe des Humboldt-Forums: Dialog der Kulturen. Das stimmt, gilt aber für das gesamte Bildprogramm der Schlossfassade, das feudal-absolutistisch geprägt ist. Dies Problem tritt immer auf, wenn herrschaftliche Schlösser zu bürgerlichen Kultureinrichtungen oder Hotels umgewidmet werden, wie es überall in Europa unzählige Male lautlos geschehen ist.  Der Louvre in Paris ist wohl das prominenteste Beispiel. 

Wie kam der Beschluss zur Errichtung von Kuppel und Kreuz zustande?

2001 hieß es im Abschlussbericht der Internationalen Expertenkommission „Historische Mitte Berlin“ zur Kuppel: „Was hier möglich und tunlich ist, muss die Arbeit am architektonischen Entwurf klären.“ Dieses Votum hat der Bundestag in seinen Beschlüssen zum Wiederaufbau des Berliner Schlosses (4.7. und 13.11.2003) übernommen. Im Ausschreibungstext des Bundesamts für Bauwesen (2008) hieß es dann: „Die Errichtung einer Kuppel im Bereich des ehemaligen Hauptportals ist vorzusehen.“  Der Sieger dieses Wettbewerbs, Franco Stellas Entwurf, sah Kuppel und Kreuz vor.

2011 hat der Bundestag das Budget für den Bau beschlossen und dabei Spenden in Höhe von 28,5 Millionen Euro für „bauliche Optionen“ vorgesehen, darunter die Kuppel. Vorrangig sollten Spenden aber für die Barockfassaden (80 Mio. Euro) verwendet werden. 2012 hat Stella der „Expertenkommission Rekonstruktion“, die von der „Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss“ einberufen worden ist, „die Rekonstruktion aller historischen Inschriften“ vorgeschlagen, darunter auch der Kuppel-Inschrift. Merkwürdigerweise werden die anderen Inschriften, die die Hohenzollern verherrlichen, nicht angegriffen oder zur Überstrahlung vorgesehen. 

Demokratische Entscheidungen 

Also: hier lief alles mit rechten Dingen und demokratisch korrekt ab. Kuppelkreuz und Kuppelinschrift mussten nicht unbedingt rekonstruiert werden. Man konnte auch vom Grundsatz „Wiedererrichtung wie vor der Zerstörung“ in diesen Fällen abweichen. Das hat aber damals niemand verlangt. Man kann einen Beschluss auch ändern, allerdings nur, wenn neue Sachverhalte aufgetreten sind, der Rechtssicherheit wegen. Und man braucht auch dafür Mehrheiten. 

Einen Beschluss zur Entfernung der Inschrift nicht anzustreben, aber sie nachts zu ersetzen, ist nicht Fisch und nicht Fleisch und eine unernste Spielerei am ungeeigneten Objekt. Zudem wird dann unvermeidlich suggeriert, Artikel 1 des Grundgesetzes und Menschenrechtserklärungen würden der Kuppelinschrift widersprechen. Aber Sätze, die sich nicht auf dasselbe beziehen, können sich auch nicht widersprechen.

Die Kuppelinschrift hat folgenden Wortlaut: „Es ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“

Der Ausspruch eines Verfolgten

Der König selbst hat diese Inschrift aus zwei Bibeltexten zusammengestellt, nämlich aus der Apostelgeschichte (4,12) und dem Philipper-Brief (2,10). Betrachten wir die Texte zunächst in ihrem biblischen Zusammenhang. Der erste Text aus der Apostelgeschichte erzählt, Petrus habe einen Lahmen am Tempeltor geheilt, dadurch Aufsehen erregt und sei verhaftet worden. Vor dem Hohen Rat sei er gefragt worden, in wessen Namen er gehandelt habe, und sagt in seiner Antwort: „In keinem anderen ist das Heil, auch kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden.“ Hier spricht ein Verfolgter, der sich von den Herrschenden nicht den Mund verbieten lässt und auf das Verbot, weiter von Jesus zu predigen, antwortet, man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen.

Der zweite Text stammt aus einem Hymnus, den Paulus zitiert. Es heißt dort, Jesus Christus habe sich erniedrigt bis zum Tode am Kreuz. „Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes.“ 

Was bedeutet ein Kniefall?

Ein Sieger kann den Besiegten in die Knie zwingen. Es gibt aber auch den freiwilligen Kniefall aus Respekt und Anerkennung, wie der Willy Brandts vor dem Mahnmal des Warschauer Ghettos. So muss es hier gemeint sein, denn es folgt ja ein Bekenntnis.

Dialektik von Erniedrigung und Erhöhung

Der Text handelt davon, dass Gott den gekreuzigten Jesus zum Herrn des Kosmos erhöht, dem alle Mächte auf den drei Ebenen dieses mythischen Weltbilds ihre Reverenz erweisen. Im Apostolischen Glaubensbekenntnis wird das ausgerückt mit den Worten „sitzend zur Rechten Gottes“. Diese Dialektik von Erniedrigung und Erhöhung macht tatsächlich den Kern der urchristlichen Botschaft aus, und dafür steht das Kreuz, der römische Galgen. 

Das Humboldt-Forum plant neben der Kuppel eine Informationstafel, die den Kuppelspruch erläutern soll. Diese Auslegung soll wohl die „temporäre Überblendung“ begründen. Im vorgesehenen Text heißt es: „Die Bekrönung des Schlosses mit Kuppel und Kreuz machte den christlichen Charakter der Monarchie deutlich. Das unterstreicht die Inschrift … Während die Kuppel gebaut wurde, brach 1848 die Revolution in Berlin aus. Sie kostete über 300 Menschen das Leben. Eine zentrale Forderung war eine vom Landtag erarbeitete Verfassung. Sie sollte die Macht des Königs einschränken. In dieser Situation war die Inschrift an prominenter Stelle eine Provokation: Der König machte damit deutlich, dass er sich nur Gott verpflichtet fühlte, nicht aber einer gewählten Volksvertretung.“

Das vor Gott kniende Königspaar. Foto: L. Wekenborg

Glühender Gegner der Revolution

Tatsächlich war Friedrich Wilhelm IV. ein glühender Gegner von Revolutionen, in denen er nur Chaos, Anarchie und Barbarei sah. Tatsächlich hat er eine vom Landtag erarbeitete Verfassung abgelehnt und selbst eine verfassen lassen, die er 1850 beeidet hat. Er hat das Gottesgnadentum so verstanden, dass es zwar mit dem Rechtsstaat und der Repräsentation der Stände vereinbar sei, nicht aber mit der Volkssouveränität, der Gewaltenteilung und den Menschenrechten – im Unterschied zum britischen und dänischen Königshaus, die ja noch immer den Titel Dei gratia führen. 

„Absolutistisch will ich nicht regieren, aber auf die Ständische Monarchie will ich zurückkommen“, hat Friedrich Wilhelm IV. gesagt. Man hat ihn den Romantiker auf Preußens Thron genannt, und tatsächlich hatte auf sein Selbstverständnis die Schrift „Glaube und Liebe oder der König und die Königin“ von Novalis (1798 veröffentlicht) großen Einfluss. Auch dort wird eine Verfassung als toter Buchstabe zugunsten des lebendigen Geistes der Liebe und Treue zwischen König und Volk gepriesen, ein familiäres Herrschaftsverständnis. Das kann an die von der SED beschworene „Einheit von Partei und Volk“ erinnern, womit der Formalismus des „bürgerlichen“ Verfassungsverständnisses abgelehnt wurde. 

Auch die Rolle, die der König der Kirche zugedacht hat, passt zu Novalis. Sie solle Einfluss auf das Volk nehmen, „damit das Verlangen nach Neuerungen und Umwälzungen, welches alle Völker Europas fast ohne Ausnahme ergriffen hat, aufhören und ein freudiges ruhiges Dasein auf die Zeit des Verfalls und der Zerstörung folgen möge“, so Karl Josias von Bunsen, ein Berater des Königs. 

Über Friedrich Wilhelm IV. braucht hier nicht gestritten zu werden. Bloß: was haben christliche Monarchie, Märzrevolution, Verfassungsfrage und Gottesgnadentum mit der Kuppelinschrift zu tun? Höchstens der Zeitpunkt: Sie wurde 1848 angebracht. Dann wird sie aber schon früher konzipiert worden sein und nicht erst als Antwort auf die Revolution. Dorothea Minkels („Schlossbewohner und Berliner“, 2022) verdanken wir den Hinweis, dass die beiden Bibeltexte des Kuppelspruchs schon früh für die persönliche Frömmigkeit des Kronprinzen wichtig waren. 

Garantie der Religionsfreiheit

In des Königs Gesangbuch fand sich nämlich ein Zettel mit einem handschriftlichen Gebet, datiert auf den 9. Oktober 1825: „Herr Jesu! In dessen heiligstem Nahmen alle Knie sich beugen sollen, alles Heyl entspringt und die Verheißung der Erhörung des Gebetes ruhet, siehe gnädiglich auf meine Seufzer der Reue und auf meinen Durst des Heils.“ 

Manche entnehmen der Kuppelinschrift, dass der König andere in die Knie zwingen solle. Da wird wohl übersehen, dass sowohl im Allgemeinen preußischen Landrecht als auch in des Königs Verfassung von 1850 die Religionsfreiheit garantiert wurde. Hier wird nun klar, dass auch der Kronprinz die Knie vor Gott beugt. Er hat sein Gottesgnadentum als von Gott verliehene und nur geliehene Herrschaftsbefugnis verstanden, für die er ihm rechenschaftspflichtig bleibt. Das war den Liberaldemokraten zu wenig Machtkontrolle. Aber uns wäre Schreckliches erspart geblieben, wenn sich diese Gewissensbindung der Herrschenden auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchgehalten hätte. Dieses Herrschaftsverständnis hat der König in einem Wandbild des Mausoleums seiner Eltern in Charlottenburg zum Ausdruck bringen lassen: Beide knien vor Jesus Christus und geben ihre Kronen zurück. 

Provokation ohne Provozierte?

Die Kuppelinschrift soll „an prominenter Stelle eine Provokation“ gegen die Revolutionäre gewesen sein. Kann es eine Provokation ohne Provozierte geben? Es wurden nämlich bisher keine gefunden. Das älteste uns bekannte Zeugnis für die Kuppelinschrift stammt aus der Magdeburgischen Zeitung vom 7.10.1848, ein gänzlich unaufgeregter Bericht. Hätte der König provozieren wollen, hätte er seine Provokation doch nicht hinter Propheten versteckt und in kleine Buchstaben gesetzt, die man von der Straße aus kaum lesen kann. 

Zudem wäre doch ein anderer Bibeltext viel geeigneter gewesen: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott“ (Römer 13). Auch dieser Text ist allerdings kein Votum für eine „christliche Monarchie“, sondern eines für Staatlichkeit, die das Recht wahrt. Aber so pietätlos war Friedrich Wilhelm IV. nicht, dass er seinen Augapfel, die Schlosskapelle, als Litfaßsäule missbraucht hätte, um zu provozieren. 

 

Das könnte Sie auch interessieren:

Anzeige