Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - Hilferuf aus dem System

Ein neues Manifest entwirft eine Zukunftsvision für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Es enthält viele kluge Ideen. Doch die eigentliche Stärke liegt in der Liste der Unterzeichner begründet: Kritik kommt auch von innen.

Würde man den ÖRR neu erfinden, sähe er heute gänzlich anders aus / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Wir, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ARD, ZDF und Deutschlandradio, sowie alle weiteren Unterzeichnenden, schätzen einen starken unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland als wesentliche Säule unserer Demokratie, der gesellschaftlichen Kommunikation und Kultur.“ Mit diesen Worten beginnt das „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“, das man besten Gewissens unterzeichnen kann. Es betont die Wichtigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gemäß seinem Auftrag, zeigt aber auch deutlich auf, wo derzeit die Fehler im System liegen. 

Das Manifest enthält keine gänzlich neuen, aber viele kluge Ideen, wie sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk reformieren ließe, damit er seinem Informationsauftrag wieder gerecht oder, etwas diplomatischer formuliert, wieder gerechter werden kann: schlankere Strukturen, bessere Kontrolle, mehr Transparenz, mehr Sachlichkeit, mehr Meinungsvielfalt und ein Ende jeglicher Orientierung an den Einschaltquoten, was bei einem von der Öffentlichkeit finanzierten Rundfunksystem ohnehin unsinnig ist. Auf Werbeeinnahmen soll komplett verzichtet werden. 

Kluge Impulse für notwendige Maßnahmen

Auch die Nähe zwischen den Öffentlich-Rechtlichen und der Politik wird thematisiert. Im Manifest heißt es hierzu: „Drehtür-Effekte zwischen Politik und dem neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind dank mehrjähriger Sperrfristen ausgeschlossen; professionelle Distanz ist jederzeit gewährleistet.“ Und auch: „Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk kontrolliert die Politik und nicht umgekehrt. Die Politik hat keinen Einfluss auf Inhalte. Es wird neutral, multiperspektivisch und zensurfrei im Rahmen des Grundgesetzes berichtet.“ 

Was hier nur noch einmal festgehaltene Selbstverständlichkeit ist, was deutliche Kritik an den bestehenden Verhältnissen, das darf nun jeder für sich selbst interpretieren. Denn auch das gehört zu den Stärken dieses Manifests: Die darin formulierte Zukunftsvision für den ÖRR wirkt weniger konfrontativ als nur mit dem Finger auf bestehende Missverhältnisse zu zeigen. Selbstverständlichkeiten, Lob, Kritik und neue Ideen fließen ineinander. Das versachlicht die Debatte und bietet mindestens kluge Impulse für dringend notwendige Reformen. Einzige Ausnahme bilden die parallel ebenfalls veröffentlichten Statements aktueller und ehemaliger Mitarbeiter des ÖRR, die teilweise sehr persönlich sind, inklusive jeder Menge Frust über die bestehenden Verhältnisse. 

Ein anonymisierter Mitarbeiter des WDR lässt beispielsweise wissen: 

„Es ist immer das gleiche ideologisch geprägte Weltbild, das sich in Sprache und Duktus durchsetzt – und letztlich auch so ausgestrahlt wird. Das Ringen um Positionen, das Verständnis für die Probleme der Bevölkerung, sind einer Art erzieherischem Haltungsjournalismus gewichen, der mich zutiefst anödet und gleichzeitig erschreckt. Das hat mit Meinungspluralität, wie im gesetzlichen Auftrag festgeschrieben, wenig bis nichts mehr zu tun.“

Ein anderer beklagt ebenfalls anonym das Verhalten seiner Kollegen während der Corona-Pandemie: 

„Kollegen, die ich seit 20 Jahren kenne und schätzte, distanzieren sich von mir, kritisches Nachfragen bei den Journalisten bleibt unbeantwortet. Sie strafen mich mit Ignoranz oder mit den Worten ,mit dir diskutiere ich nicht darüber‘. Für sie bin ich der ,Corona-Leugner‘, der ,Verschwörungs­theoretiker‘, kurzum – die ganze Klischeeschublade einmal aufgemacht und wieder zugemacht. Ich gehe ja auch ,mit Rechten Schulter an Schulter‘ auf die Straße. Dass ich mich sonst eher links eingeordnet hätte 

Bekenntnis zum ÖRR

Ob man, wie Ulf Poschardt von der Welt, nun der Meinung sein muss, dieses Manifest aus dem ÖRR mache „Hoffnung“, sei einmal dahingestellt. Aber in einem Punkt darf man sich einig sein: Die größte Stärke dieses Manifests liegt nicht in den guten Reformvorschlägen, nicht im deutlichen und zugleich meist sachlichen Tonfall begründet, sondern in der Liste der Unterzeichner. Denn diese besteht aus Externen, darunter auch ehemalige Mitarbeiter des ÖRR, genauso wie aus beim respektive für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk tätigen Personen. 

Die Kritik kommt also auch von innen. Von Menschen, die überzeugt sind von der Grundidee eines öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems, aber dennoch einen Hilferuf senden, weil bei ARD, ZDF und Deutschlandradio etwas im Argen liegt. Entweder, weil ihnen von anderen Personen innerhalb des ÖRR-Systems übel zugesetzt wurde, oder weil sie schlicht verstanden haben, was viele bei ARD, ZDF und Deutschlandradio sowie in der Politik und in den unendlichen Weiten der sozialen Medien leider immer noch nicht verstanden haben. Nämlich, dass Reformideen auch ein Bekenntnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk sein können, kein Angriff auf selbigen. Dass Reformideen überhaupt etwas gänzlich anderes sind als Forderungen, den ÖRR komplett abzuschaffen. 

Der unverhältnismäßige Gegenschlag

Schließlich war der Reflex vieler Verantwortlicher des ÖRR und jener pseudo-progressiven Lautsprecher, die der Staatsclown Jan Böhmermann anführt, in den vergangenen Jahren immer derselbe: Wann immer irgendwer, ob nun aus der Politik oder von woanders her, eine tiefgreifende Reform forderte oder sinnvollerweise zur Diskussion stellte, ob es weitere Erhöhungen des Rundfunkbeitrags überhaupt braucht, zeigten sich viele Vertreter dieses Systems wenig gesprächsbereit. 
 

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Im Gegenteil wurde der ÖRR dann gerne für geradezu sakrosankt erklärt. Was so sicher wie das Amen in der Kirche folgte, war der unverhältnismäßige, aber gut einstudierte Gegenschlag. Und zwar als immergleiche Leier von wegen, dass gleich die Pressefreiheit oder sogar die Demokratie in Gänze in Gefahr sei, wenn mal wieder wer richtig diagnostizierte, dass die Öffentlich-Rechtlichen zu groß, zu teuer und zu einseitig sind – und folgerichtig entsprechende Veränderungen forderte. Nicht, um den ÖRR zu schwächen, sondern ihn im Gegenteil dadurch zu stärken, dass das Vertrauen der Bevölkerung in das System auch dort wieder zunehmen kann, wo es irgendwo zwischen erster Migrationskrise, linksgrüner Volkspädagogik und regierungsfreundlicher Corona-Berichterstattung massiv abgenommen hat.  

Ein aufgeblähtes Monstrum

Denn eines ist doch so klar wie das kalte Wasser eines Tiroler Bergbachs: Würde man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk heute neu erfinden, sähe der sehr viel anders aus als das aufgeblähte, häufig bevormundend wirkende und in Gestalt seiner Vertreter dabei nicht selten wahnsinnig arrogant auftretende Monstrum, das über finanzielle Ressourcen verfügt, von denen viele private Medien nur träumen können: Zehn Milliarden Euro fließen derzeit jährlich aufs Konto von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Das ist fast doppelt so viel, wie der BBC zur Verfügung steht. Und die sendet weltweit in englischer Sprache, nicht nur in 16 Bundesländer und vielleicht noch in Teile Österreichs und der Schweiz, wobei die bekanntermaßen ihren eigenen ÖRR haben. 

Es ist eine Milliardensumme, die sich größtenteils aus den Rundfunkgebühren zusammensetzt, die zu entrichten jeder Haushalt bis auf wenige Ausnahmen verpflichtet ist. Und weil dem so ist, hat der Gebührenzahler auch ein Anrecht darauf, Kritik zu äußern, wo er es für nötig hält, und Reformen zu fordern, wenn etwas im Argen liegt. Dieses Manifest ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie man es richtig macht. Es wäre deshalb töricht, würden sich die Verantwortlichen von ARD, ZDF und Deutschlandradio nicht intensiv mit der darin formulierten Vision auseinandersetzen – oder ein Jan Böhmermann darauf nur wieder mit irgendeinem hirnlosen Hashtag reagieren. 
 

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