Politischer Islam in Ostdeutschland - Ein Gottesstaat bei den „Ungläubigen“

Der Osten Deutschlands entwickelt sich mehr und mehr zu einer Hochburg des politischen Islam. Die Muslimbruderschaft erwirbt Land und nutzt die Angst vor Rassismus-Debatten aus. Dabei wäre es dringend geboten, nicht nur die Rechtsextremisten zu beobachten

Wieso findet der Islam in Ostdeutschland so viele radikale Anhänger? / picture alliance
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Seyran Ateş arbeitet als Anwältin und Publizistin. Sie ist Gründerin der liberalen Ibn Rushd-Goethe Moschee in Berlin.

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Gottlos, verlassen und ohne eine Möglichkeit zur Erlösung – so würden Zyniker den Osten Deutschlands und seine Verbindung zur Religion beschreiben. Darüber hinaus galt der Osten stets als Region, in der man sich nicht wirklich gut mit Migranten auskannte. Schließlich gab es keine mit dem Westen vergleichbare Migration in die DDR. Lange Zeit hieß es daher, die „Ossis“ kennen sich nicht aus mit Ausländern. Die wenigen Ausländer, die im Osten lebten, kamen aus sozialistischen Brüderstaaten und lebten isoliert in Arbeiterwohnheimen. Sie wurden von der Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung selten wahrgenommen.

Diese Kriterien scheinen die idealen Voraussetzungen für die Ausbreitung eines aufkeimenden legalistischen Islamismus darzustellen. Anders lassen sich bestimmte Entwicklungen in den neuen Bundesländern schwer beschreiben. In Chemnitz beispielsweise – ehemals Karl-Marx-Stadt – sollen inzwischen 22 Moscheegemeinden existieren, die wenig miteinander und noch weniger mit der Regierung im Sinn haben. In Meißen war die AfD bei der aktuellen Landtagswahl mit Abstand stärkste Partei. Dennoch versuchen – nach Aussage mehrerer Kirchenvertreter, Kommunalpolitiker und Vertreter der Zivilgesellschaft – Personen, denen man eine Nähe zu den Muslimbrüdern nachsagt, in Meißen Land zu erwerben, um eine Moschee zu bauen. Warum ausgerechnet dort, wo die AfD so stark ist?

Das Erfolgsrezept

Es würde einem auf den ersten Blick kaum in den Sinn kommen, den Osten des Landes als neue Hochburg des politischen Islam zu bezeichnen. Aber faktisch ist es so, dass die Kirchenangehörigkeit von lediglich 26 Prozent der Bevölkerung in den neuen deutschen Ländern ein geradezu idealer Ort für Missionarstätigkeit ist. Wo könnte man Ungläubige bekehren, wenn nicht dort, wo es viele davon gibt? Zudem war die sogenannte Flüchtlingswelle und die damit einhergehende Zuweisung von Geflüchteten in den Osten ein Geschenk und großartiger Türöffner für den politischen Islam. Man muss sich ja schließlich um das religiöse Seelenheil der Brüder und Schwestern kümmern.

Also machten sich sofort wichtige Entscheidungsträger des politischen Islam mit gut gefüllten Geldkoffern auf in den Osten. Bei näherer Betrachtung der Akteure und Verfolgung des Geldes stößt man nicht selten auf die Muslimbruderschaft. Fernab von kirchlichen Angeboten und von konkurrierenden islamischen Verbänden, bauen diese an ihrer Vormachtstellung als islamischer Full-Service Anbieter. Zwei wichtige weitere Faktoren: Zeit und Beharrlichkeit. Seit ihrer Gründung im Jahr 1928 arbeitet die Bruderschaft leise, aber konsequent an ihren Zielen. Hier wird nicht in Tagen oder Wochen gedacht, hier denkt man in Generationen. Das ist das Erfolgsrezept.

Die Muslimbrüder kümmern sich

Wird es künftig mehr Muslime im Osten geben? Die Migrationsbewegungen und die demografische Entwicklung legen das zumindest nahe. Allein die Zahl der Geflüchteten aus islamischen Ländern, die in den neuen Bundesländern untergebracht wurden, ist ausreichend, um die Zahl der Muslime im Osten in den nächsten Jahr kontinuierlich zu erhöhen. Man muss keine Verschwörungstheoretikerin sein, um ein Wachstum zu prognostizieren, man muss nur rechnen können. Daher wird auch die Zahl der Muslime, die vor allem einen sehr konservativen und politischen Islam vertreten, im Osten zunehmen.

Wer kümmert sich also um die religiösen Belange dieser Menschen, vor allem wenn es darum geht, sie mit ihrem Glauben in die freiheitliche und offene deutsche Gesellschaft zu integrieren. Aktuell kümmern sich vorneweg die Muslimbrüder sehr intensiv um diese Seelen und gewinnen an Stärke für ihren politischen Islam.

Nicht weniger gefährlich als Nazis

Warum kann diese Entwicklung weitgehend ungehemmt erfolgen? Das müsste meines Erachtens Sorgenfalten auch auf die Minen von Menschen Abseits vom typischen Klientel von Pegida und AfD werfen. Ich kann bestätigen, dass sich jedenfalls sehr viele liberale und säkulare Muslime (Übrigens keine Islamhasser! So eine Erklärung muss man ja heutzutage dazu schreiben) große Sorgen darüber machen, was sich im Osten in Sachen politischer Islam im Schatten der medialen Wahrnehmung entwickelt.

Die rechten, muslimischen Identitären wirken im Schatten der rechten Deutschen und nutzen die Gunst der Stunde, dass die Rassisten und Nazis im Osten gerade so laut sind, dass die Medien und Politik sich auf sie stürzt. Wer wagt es da Vorbehalte gegen rechte Muslime zu äußern? Gibt es so etwas überhaupt? Ja, es gibt sie und sie sind für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat nicht weniger gefährlich als die Nazis.

Eine mögliche Erklärung für die Attraktivität des Ostens für Islamisten wäre, dass eine Art „religiöser Apathie“ existiert, die es erlaubt, dass konservative und extremistische islamische Gruppierungen unter der Deckung sogenannter säkularer „Gemeinschaftlicher Begegnungsstätten“ freizügig ausschwärmen.

Die Strategie der Muslimbrüder

Zweitens ist es auch nicht einfach, den Gruppen beizukommen oder sie zu erkennen. Beispielsweise verfügen die Muslimbrüder weder über eine feste Organisation noch sind sie ein eingetragener Verein Sie bedienen sich einer Reihe von Vereinen und nahestehender Personen. Das ist Teil der Strategie. Gut getarnt im eleganten Anzug und eloquent auftretend werden Liegenschaften erworben. Manchmal mag in einer strukturschwachen Region ein gewisses Investment durchaus finanziell willkommen erscheinen. Wenn der Preis stimmt, bleibt selten Raum für Moral. Könnte man meinen.

Nicht selten werden solche Überlegungen und Anschuldigungen als übertrieben, rassistisch und islamfeindlich bezeichnet. Doch das Bundesamt für Verfassungsschutz scheint diesbezüglich ebenfalls die Überzeugung zu vertreten, dass eine aktive Beobachtung solcher anscheinend harmlosen Organisationen nötig sei. Sowohl der sächsische als auch der brandenburgische Verfassungsschutz konstatieren außerdem, dass es eindeutige Ansatzpunkte dafür gibt, dass Organisationen wie die „Sächsische Begegnungsstätte“ (SBS) im Einklang mit verfassungsfeindlichen Ideologien der Muslimbruderschaft (MB) agiert.

Kaderschmieden des politischen Islam

Strukturen wie der „Sächsischen Begegnungsstätte“ wurde durch diese Situation ermöglicht, sich innerhalb kürzester Zeit unter der Führung von Dr. Saad Elgazar rasant zu entwickeln, eine Vielzahl an Immobilien zu erwerben, zu mieten oder zu vermieten und dadurch seinen Einflussbereich überproportional schnell zu erweitern. Görlitz, Meißen, Pirna, Riesa oder Zittau sind nur einige von den bekannten Ortschaften, von denen aus die SBS sich erhofft, ihr Glaubensmonopol aufzuziehen. Diese Strukturen wollen auch bespielt werden – hier macht sich das Europäische Institut für Humanwissenschaften in Frankfurt, aber auch im Elsass, Paris oder London nützlich. Dort werden die Seelsorger für die neuen Moscheen ausgebildet, Bruderschaft inklusive.

Der legalistische Islamismus ist ein neuartiges Phänomen in den neuen Bundesländern. Dass er von vielen Entscheidungsträgern der Region nicht einmal dann erkannt wird, wenn er in voller Weihnachtsbeleuchtung vor Ihnen steht, darf man diesen nicht alleine zum Vorwurf machen. Es herrscht bei nahezu jedem auch noch so vernunftbegabten Menschen im Osten eine manische Angst, als Rassist und Islamfeind bezeichnet zu werden. Man hat doch schließlich schon so viele Nazis im Bundesland. Die Gefahr, mit den Nazis in einem Topf geworfen zu werden, ist nirgends größer als im Osten.

Die Kopftuch-Debatte

Wir dürfen bei alledem natürlich nicht übersehen, dass auch in den alten Bundesländern wichtige Entscheidungsträger und Machtpolitiker diese Entwicklungen gerne kleingeredet und die Kooperation mit dem politischen Islam fleißig betrieben haben. Das europäische Institut für Humanwissenschaften beispielsweise befindet sich nicht in Frankfurt an der Oder, sondern in Frankfurt am Main. Hamburg, Köln und München, in all diesen Städten finden sich Kaderschmiede des politischen Islam. Der Westen hat die Saat gesät, die sich nun im Osten ausbreitet.

Der politische Islam, die Brüder, halten sich schlau und fromm an rechtsstaatliche Spielregeln. In den achtziger und neunziger Jahren haben sie sich schon weitestgehend von der Gewalt losgesagt, weil sie erkannt haben, dass der Marsch durch die Institutionen in Europa viel klüger und erfolgversprechender ist. Man findet sie daher inzwischen in allen möglichen Gremien und Parteien. Und zwar nicht nur Männer. Denn die Brüder haben auch Schwestern. Die Schwestern tragen sehr gerne sehr hübsche Kleider und Kopftücher. Zudem sind sie gut ausgebildet und können sich in perfektem Deutsche eloquent ausdrücken.

Das kann nur eine gute Muslimin sein

Das reicht aktuell im Westen, erst recht im Osten aus, um als „liberale, moderne“ Muslimin Herzen und Posten zu gewinnen. Nach dem Motto, eine Muslimin mit Kopftuch, die ihr Kopftuch selbstbewusst und nach ihrer Aussage selbstbestimmt trägt, kann nur eine gute Muslimin sein.

Nach einem Vortrag in Chemnitz, im September diesen Jahres, sprach mich solch eine Dame – wie oben beschrieben – an. Sie sprach relativ gut Deutsch und hatte ein hübsches, enggebundenes Kopftuch, auf ihrem Namensschild stand ein arabischer Name und „Diakonie“. Wir begrüßten und sehr freundlich. Dann fragte sie mich etwas erbost, was nach einem Kopftuchverbot kommen würde „etwa FKK“?

Als ich sagte, dass ich das Argument als dumm empfinde, da in Deutschland Frauen ohne Kopftuch nicht nackt rumlaufen würden, war sie beleidigt, drehte sich um und ging mit einer deutschen Kollegin Arm in Arm weg. Ich bekam keine Antwort, auf meine ihr zugerufene Frage, ob sie meine, dass alle Frauen in Deutschland ohne Kopftuch FKK praktizieren würden.

Den Spieß umdrehen

Ich habe mich schon häufig dazu geäußert, dass wir, wollen wir eine Aushöhlung ebendieses Rechtsstaates vermeiden – einen Schritt weiterdenken müssen. Organisationen, die unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen, sollten in einem ersten Schritt über „gläserne Kassen“ verfügen, dafür ließe sich wohl eine entsprechende gesetzliche Grundlage schaffen. Damit würde man dem aktuellen Expansionsboom zumindest einen temporären Riegel vorschieben. Darüber hinaus ist es – ich wiederhole mich hier – eine Frage der Ausbildung der Imame. Solange wir akzeptieren, dass die „Produktivsten“ Ausbildungszentren jene mit problematischem Hintergrund sind, wird sich nichts ändern. Es ist dringend nötig, die islamische Ausbildung in ganz Deutschland auf neue Beine zu stellen.

Dabei sollte man durchaus den Spieß umdrehen. Ein Ausbildungsmonopol für Imame, das gewissen Qualitätskriterien festgemacht ist, würde sehr schnell Veränderungen herbeiführen. Natürlich wäre dafür ein politischer Diskurs nötig, dieser ist aber leider (noch) nicht in Sicht. Die Regierung meines geliebten Landes zieht es stattdessen weiterhin vor, die Verbände als „große Verbände“ zu bezeichnen und ihnen damit die Deutungshoheit über den Islam zu überlassen. Der Osten leidet in Sachen Islam sozusagen an der Lebensmittelvergiftung des Westens. Solange wir sagen müssen, „im Westen nichts Neues“ wird der politische Islam im Osten noch stärker und noch schneller wachsen. Denn Geld spielt für die Brüder keine Rolle.

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