Richtlinienkompetenz - Das Wumms-Wort

Selten war ein Sprechakt so effektiv: Bundeskanzler Olaf Scholz hat mit einem Machtwort den Atom-Streit in der Ampel-Koalition beendet. Doch kann man mit starken Worten allein schon regieren? Und was hat unsere Sehnsucht nach klaren Entscheidungen mit diskursivem Zeitgeist-Gedöns zu tun?

Es knallt über dem Kanzleramt / dpa
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Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Es ist etwas geschehen! Endlich! Nachdem doch längst klar war, dass dringend was geschehen müsste. Ja, dass zumindest etwas geschehen sollte. Denn, so waren sich die meisten Beobachter doch mittlerweile einig, wenn nichts mehr geschehen würde, dann dürfte bald auch so wirklich gar nichts mehr geschehen können. Jetzt also, nach langem Aufschieben, Abwarten, Zögern, nach Lamentieren, Moderieren, Herumhantieren ist es endlich passiert: Olaf Scholz hat gesprochen. Aber nicht irgendwas.

Ein Machtwort ist über des Kanzlers Lippen gegangen. Nein, weit mehr: Der Kanzler hat das Wort sogar aufgeschrieben! In einem Brief an die zuständigen Minister Habeck (Grüne), Lindner (FDP) und Lemke (Grüne). Dies wurde am vergangenen Montag aus einer Mitteilung des Bundespresseamts bekannt. Demnach wies Scholz mit Verweis auf § 1 der Geschäftsordnung der Bundesregierung (Richtlinienkompetenz) die seit langem zankenden und sich gegenseitig behakenden Minister an, dem Kabinett Gesetzesvorschläge vorzulegen, damit die verbleibenden drei deutschen Atomkraftwerke auch über die Jahreswende hinaus weiterlaufen können. Causa finita! 

Beim Jupiter, er hat also tatsächlich gesprochen! Die gesamte Hauptstadtpresse scheint seither regelrecht aus dem Häuschen zu sein. Der Kanzler, der bereits im Wahlkampf aller Worte ledig schien und der schon als Finanzminister wie zuvor als Erster Bürgermeister von Hamburg lieber im Dunkeln oder gar im Halbseidenen blieb, als dass er im Scheinwerferlicht große Worte machte, hat endlich alle lästigen Kompromiss- und Konsensversuche beiseitegeschoben. „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“, hat Scholz 2009 einmal im Kampf um den Vorsitz der Hamburger SPD gesagt. Echte Macherworte eben. Er selbst aber schien sie vergessen zu haben. Bis vorgestern. Seitdem ist klar: Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland bleiben bis zum 15. April 2023 am Netz. Howgh, ich habe gesprochen!

Es werde Licht!

Soviel toxische Männlichkeit, wird man sich hernach wohl bei den Grünen gedacht haben, hat man seit Basta-Kanzler Gerhard Schröder …, ach, was ..., seit den Tagen der Antike nicht mehr gesehen und gehört! Das nämlich war die Zeit, in der Machtworte noch Wirkung zeigten; große Wirkung, bei der es selbst post-feministischen Sprechakttehoretikern wie auch anderen woken Wortakrobaten die Sprache verschlagen hätte. In einem alt-ägyptischen Hymnus aus der 11. Dynastie des Mittleren Reichs etwa heißt es vom damaligen Götterkönig Amun-Re, dass Menschen aus seinem Auge hervorgegangen und Götter aus seinem Mund entstanden seien. Und in einem Papyrus von ca. 1750 vor Christus ist von einem Urgott aus Heliopolis mit Namen Atum die Rede, der auf seinen Lippen ein „Schöpferwort“ führte.
 

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So, oder zumindest so ähnlich, dürfte es jetzt auch bei Olaf Scholz gewesen sein. Kaum nämlich, dass sein Machtwort gesprochen war, wurde es – wenn nicht Licht, so doch mindestens lichter. Am europäischen Terminmarkt fielen die Strompreise sofort unter 17 Cent je Kilowattstunde – so wenig, wie seit Monaten nicht. Es braucht manchmal eben nur ein „Wort von befehlender, zwingender Gewalt“ – so definiert das Wörterbuch der Gebrüder Grimm das „Machtwort“ –, und der Kanzler scheidet in vielen deutschen Haushalten das Licht endlich wieder von der Finsternis. Was für eine Sprachgewalt! Und das mitten aus dem Koalitions-Tohuwabohu hineindeklamiert in einer Zeit lähmender Diskursivität, laissez-fairer Führungsstile und anderem lästigem Zeitgeistgedöns. Als Machwortführer fasst Schöpfer-Scholz mit einem Mal eine fast schon kosmische Ordnung neu und tritt in dieser endlich seine Herrschaft an. 

Warten auf die Wumms-Wirkung

Es war übrigens niemand geringeres als der Volk-aufs-Maul-Schauer Martin Luther, der dem Kanzler bei diesem mutigen Sprechakt das Zepter führte. Der nämlich war wohl der allererste, der das Machtwort überhaupt in die deutsche Sprache brachte. Mit Bezug auf einen biblischen Gott, der über sich selbst einmal gesagt haben soll: „Was ich rede, das soll geschehen und sich nicht lange hinausziehen“ (Hesekiel 12,25), ersann sich der sprachbegabte Reformator einst eine Schöpfermacht, die über jenes Wort verfügt, „das da schaffet, was es lautet“.

Und eine eben solche Macht scheinen sich mitten in der Energiekrise auch viele von der Politik zu wünschen. Vielleicht verständlich. Hätte Gott die Welt nur mit Palaver geschaffen, das Himmelsgewölbe wäre wohl zu niedrig für auch nur einen einzigen Offshore-Windpark. Und dennoch: Man sollte das Wort so hoch unmöglich schätzen. Das gilt selbst für eines Kanzlers Machtwort. Denn wie heißt es schon in der berühmten Studierzimmer-Szene in Goethes „Faust“: „Auf einmal seh' ich Rat und schreib’ getrost: Im Anfang war die Tat“. Warten wir die Wumms-Wirkung von Scholz Worten also erst einmal ab. 

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