Neuer Documenta-Chef Andreas Hoffmann - Hamburger Sonnenschein

Der Kulturmanager Andreas Hoffmann wird neuer Geschäftsführer der Documenta. Nach dem Antisemitismus-Skandal setzt der Hanseat Zeichen für einen Neuanfang.

Andreas Hoffmann zieht von Hamburg nach Kassel / Anna Mutter
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Gleich morgen geht’s los. Noch einmal die Hemden aufbügeln, den Laptop einpacken, die Keycard abgeben. Andreas Hoffmann sitzt noch einmal, ein vielleicht letztes Mal, an einem Konferenztisch im ersten Stock des Hamburger Bucerius Kunstforums und schaut auf das Wasser der Kleinen Alster. Vielleicht war dies 16 Jahre lang einer der schönsten Arbeitsplätze der Stadt. Wenn der heute 52-jährige Kulturmanager und Archäologe durch die kreisrunden Gläser seiner markanten schwarzen Brille hindurchschaut, dann blickt er auf den Kanal und auf eine dahinterliegende Edelboutique-Zeile am Neuen Wall: Louis Vuitton, Lacoste, Chanel.

Hamburg eben. Nobel. Gediegen. Teuer. Hier hat Andreas Hoffmann nahezu sein gesamtes bisheriges Berufsleben verbracht. Zunächst als Projektleiter im Museum für Kunst und Gewerbe, seit 2007 dann als Geschäftsführer des Bucerius Kunstforums. Auf den ersten Blick wirkt der gebürtige Niedersachse daher wie einer von ihnen. Ein Hanseat. Weltgewandt und gut betucht. Und das im wörtlichsten Sinne: Der klassische schwarze Anzug, den der Honorarprofessor für Museumsmanagement trägt, fügt sich perfekt in die dezente Linienführung der ihn umgebenden Architektur ein: Gerkan, Marg und Partner. Fa­shion trifft an diesem Morgen noch einmal Form. 

Bonjour tristesse!

Kein Wunder: Andreas Hoffmann hat dieses Umfeld einst selbst mit geschaffen. Die Sanierung des alten Geschäftshauses am Alten Wall, in dem sich seit nun gut vier Jahren die Erweiterung des 2002 eröffneten Bucerius Kunstforums befindet, zählt innerhalb des Ausstellungshauses sicherlich zu einem der schönsten Erbstücke der morgen endenden Ära Hoffmann.

Und dann? Dann wird es anders. Au revoir, noblesse! Auf Andreas Hoffmann wartet eine neue Anstellung. Nicht mehr in Hamburg, sondern in einer betonspröden Beamtenstadt, die 1949 zwar kurz einmal im Gespräch war, Hauptstadt der neuen Bundesrepublik zu werden, die sich dann aber dazu durchrang, eine architektonische Kriegsnarbe zu bleiben: Kassel. Statt „Tor zur Welt“ heißt es für Hoffmann ab morgen also nur noch „Hauptstadt der Deutschen Märchenstraße“. Bonjour tristesse!

 

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Er selbst indes scheint das ganz anders zu sehen. „Morgen ziehe ich um“, sagt er mit einer Freude in der Stimme, wie sie sonst nur einer hat, der sich einen lang gehegten Traum erfüllt. Und irgendwie ist da ja auch was dran. Denn bei allen Klischees, die man über die nordhessische Metropole pflegt: Kassel hat etwas, das macht die Stadt weltweit noch immer einzigartig: die Documenta. Seit der Künstler Arnold Bode 1955 auf die irgendwie spinnerte Idee kam, eine Welt­ausstellung der zeitgenössischen Kunst mitten im hessischen Outback zu veranstalten, geht ein eigentümlicher Zauber von der spröden Stadt an der Fulda aus. Zumindest in der Welt der Kunst.

Den Antisemitismus-Skandal im Nacken

Andreas Hoffmann erinnert sich noch gut an seine eigene erste Documenta: Es war 1992; die neunte Ausgabe unter Jan Hoet. Sie hat das Weltbild des damals 21-jährigen Norddeutschen kräftig durcheinandergewirbelt. „Ich habe das alles erst nachher wirklich einordnen können und verstanden, aber ich war auf jeden Fall schon beim ersten Besuch sehr fasziniert.“

Zum Glück hat Hoffmann die Unordnung in seinem damals vermutlich noch unfertigen Weltbild bald nachsortieren können. Er studierte Archäologie und Alte Geschichte und machte eine Karriere als Museumsmanager. Noch heute spricht er gerne über die „geordneten Strukturen“, in denen sich Privatleben wie Beruf befänden. Aber dafür ist jetzt etwas anderes durcheinandergeraten: die Documenta selbst. Der Antisemitismus-­Skandal, der um die Documenta Fifteen und das Kuratorenkollektiv Ruan­grupa tobte, hat der Ausstellung Schaden zugefügt. Letzten Sommer musste sogar Geschäftsführerin Sabine Schormann gehen – und in der Welt tobte ein heftiger Streit um die Freiheit der Kunst. 

Diese Debatte sowie die Aufarbeitung des Skandals wird Andreas Hoffmann fortsetzen. Denn der tritt nun die Nachfolge von Interimsgeschäftsführer Ferdinand von Saint André an. „Der Antisemitismus-Skandal liegt nach wie vor wie ein grauer Schleier über der Documenta“, sagt Hoffmann, ohne etwas beschönigen zu wollen. „Das hatte eine derart problematische Dimension, dass dahinter alles, was auch gut an der letzten Documenta war, kaum eine Chance hatte gesehen zu werden.“ Es liegen nun also große Aufgaben vor dem positiv gestimmten Hanseaten. Die Organisationsstrukturen müssen verbessert werden. Konsequenzen müssen gezogen werden. 
Darunter gerät das Schönste fast in Vergessenheit: 100 Tage Gegenwartskunst 2027. Für diese Verheißung werden jetzt die Weichen gestellt.

 

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe von Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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