
- Nicht ohne meine Kappe!
Wie wird man eine Ralph-Lauren-Polo-Kappe los? Und warum hat man überhaupt eine? Der Schriftsteller Jan Hoffmann über ein Kopfbedeckungsdilemma, Mutterhüllenbedürfnisse und die Neue-Toskana-Fraktion.
Kürzlich flog mir auf der Landstraße meine Ralph-Lauren-Polo-Kappe vom Kopf. Der Fahrtwind wirbelte sie aus dem Car-Sharing-Auto in eine Wiese, statt anzuhalten und durchs hohe Gras zu kriechen, gab ich Gas, froh und schuldbewusst wie jemand, der gerade ein ungeliebtes Haustier ausgesetzt hat.
Die Beziehung zu meiner Ralph-Lauren-Polo-Kappe begann während meines Studiums in Leipzig. Damals änderte sich die Mode, die statt des Hafenarbeiters nun wieder den Harvard-Absolventen ästhetisierte. Dieser Paradigmenwechsel kam mir aus zwei Gründen entgegen: Erstens war es unter einer Ralph-Lauren-Polo-Kappe weniger heiß als unter einer wollenen Fischermütze, zweitens konnte ich mit der Ralph-Lauren-Polo-Kappe, die mir aufgrund meiner schwäbischen Herkunft entgegengebrachten Vorurteile bestätigen.
„Schwaben zurück nach Berlin!“
Es war die Zeit, in der in Leipzig ein verbreiterter Schriftzug auf Gründerzeitvillen lautete: „Schwaben zurück nach Berlin!“ Aber ich zog nach München, wodurch meine Ralph-Lauren-Polo-Kappe ebenso wie die vergoldete Flohmarkt-Uhr, und das Hemd im Sonnenliegen-Muster schlagartig alles subversives Potential verloren. Für einen Stilwechsel waren die Mieten zu hoch, deshalb trug ich weiter Poloreiter, und tröstete mich damit, dass meine Kappe, im Gegensatz zu Kappen der anderen Münchner, immer verschlissener wurde.
Wahrscheinlich hätte ich mit ihr Frieden geschlossen, hätte ich nicht unlängst auf einer Dachterrasse in Italien mit einem jungen Ehepaar zusammengesessen - er Kunstwissenschaftler, sie eine in der SPD engagierte Politikwissenschaftlerin. Er trug eine weiße, sie eine gelbe und ich eine graue Ralph-Lauren-Polo-Kappe. Wenn ich mich richtig entsinne, sprachen wir darüber, dass das deutsche Tabu über Löhne zu sprechen, Lohnungleichheit zementiere.
Und als ich meine Dinkel-Pasta mit der Salsiccia-Sauce vermischte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Wären das die 90er Jahre würden wir statt Ralph-Lauren-Polo-Kappen Strohhüte tragen. Ich stand im Begriff, Angehöriger der Neuen Toskana-Fraktion zu werden!
Reden wir über Geld
An dieser Stelle wird es wichtig, über Geld zu reden: Eine Ralph-Lauren-Polo-Kappe kostet 38,85 Euro. Der durchschnittliche Immobilienkaufpreis in einer italienischen Stadt liegt pro Quadratmeter bei 3.350 Euro. Was ein Geisteswissenschaftler verdient, kann jeder selbst im Internet nachschauen. Als Angehöriger der Neuen-Toskana-Fraktion würde ich für immer unglücklich bleiben, denn ein Haus in Italien würde ich allenfalls tageweise mieten, aber niemals kaufen können. Die oben beschriebene Dachterrasse, wiederum stand uns ausschließlich der alten Toskana-Fraktion wegen zur Verfügung. Mit viel Glück konnte man ein Haus in Italien nämlich auch erben.
Für mich stand endgültig fest. Die Kappe musste verschwinden. Immer wieder schaute ich mir eine Stelle aus den Sopranos bei YouTube an. Ein Gourmet-Tempel: Tony Soprano überzeugt einen jungen Mann in tödlich-freundlicher Patenmanier davon, die Baseballkappe abzuziehen, und lässt dem gemaßregelten Wichtigtuer anschließend eine Flasche Montepulciano an den Tisch kommen. Nun versuchte ich, die Kappe so oft wie möglich im Büro aufziehen. Aber das Verlagswesen ist ein tolerantes Arbeitsumfeld, paternalistisch-autoritäre Maßnahmen gegen Kappe blieben vollständig aus.
Auf dem Weg zur Tonne
Ich fragte meinen 17-jährigen, kaufmännisch-versierten Neffen, ob er sie zusammen mit einigen Hemden derselben Marke auf „Kleiderkreisel“ verticken könne. Er sagte: „Da ist nichts mehr zu machen, Poloreiter gehen gar nicht mehr.“
Im wichtigsten Jugendroman der alten Bundesrepublik versucht der depressive Erzähler seine Barbour-Jacke zu verbrennen. Mein Neffe hätte solchen Defätismus sicher für ebenso überholt wie den Poloreiter gehalten. Deshalb würde ich die Kappe in die Altkleidersammlung geben.
Ich wollte mich gerade auf dem Weg zur Tonne machen, als mir die schmutzigen Ränder der Innenseite auffielen, verschämt setzte ich sie wieder auf den eigenen Schädel. Wenn ich nicht aufpasste, würde ich wie der Mann werden, der mir immer an der Bushaltestelle begegnete und dessen Haupt vermutlich seit den 80er-Jahren von einer der Funktion der Modekappe ähnlichen Frisur gekrönt wird: blondierte Billy-Idol-Stacheln.
Die Kappe als Mutterhülle
Ich wiederum trug Ende der 80er Jahre eine rote Haube auf dem Kopf. Das Foto, das ich beim Putzen entdeckte, war kurz nach meiner Geburt entstanden. Lag hier der Schlüssel zu meiner Kappen-Obsession? Meine Mutter erklärte mir, das rote „Wollkäpple“ sei in der anthroposophischen Klinik bei Stuttgart obligatorisch gewesen, warum genau wisse sie nicht.
In der einschlägigen Literatur lese ich nach, dass es sich bei dem „Wollkäpple“ um ein Symbol der „Mutterhülle“ handele, eingesetzt wird es, um dem sogenannten „Hüllenbedürfnis“ des in der Menschwerdung begriffenen Wesens gerecht zu werden. In modernerer, aber wissenschaftlich ebenfalls fraglicher Terminologie ausgedrückt, die Ralph-Lauren-Kappe erzeugt einen Safe-Space auf meinen Kopf. Der Schluss daraus in meiner eigenen Terminologie: Ich musste raus aus der Komfortzone!
Wie ein neuer Mensch
Als ich nach jener Überlandfahrt nach Hause kam, gönnte ich meinen über Jahre hinweg vernachlässigten Haaren eine Alpecin-Spülung. Meine Kopfhaut kribbelte und ich fühlte mich wie ein neuer Mensch. Im Alltag nahm ich nun mehr wahr: Die alte Dame, die seitlich neben mir in die Bahn einsteigen wollte. Den Flaschensammler, der geduldig darauf wartete, dass meine Kollegen und ich unsere alkoholfreie Biere leer tranken. Und meine Freundin stieß sich nicht mehr die Stirn oder die Augen am Kappenschild.
Dann rief der Kundendienst des Car-Sharing-Dienstes an. Auf dem Rücksitz des Mini war eine Ralph-Lauren-Polo-Kappe gefunden worden. Der Fahrtwind musste sie erst aus dem Fenster hinaus und dann wieder hineingedrückt haben. Sofort machte ich mich mit klopfendem Herz auf, sie abzuholen.