Man sieht nur, was man sucht - Unheilige Allianz im Katalog historischer Feindbilder

Angriff auf ein Denkmal: Immanuel Kant, vor 300 Jahren geboren, wird von russischen Nationalisten wie von linken Extremisten diffamiert.

Besudeltes Kant-Denkmal in Königsberg im Jahr 2018 / dpa
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Beat Wyss hat an zahlreichen internationalen Universitäten gelehrt. Er hat kontinuierlich Schriften zur Kulturkritik, Mediengeschichte und Kunst veröffentlicht. Beat Wyss ist Professor an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.

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Zwar kam Immanuel Kant vor 300 Jahren Ende April erst zur Welt, aber schon jetzt überbietet sich die Presse mit Gedenkartikeln zu Leben und Werk dieses Großmeisters westlicher Philosophie. Weitaus überwiegen die anerkennenden Worte, doch man darf nicht vergessen, dass Kant für ein Denken steht, das polarisieren kann: spiegelbildlich zur politisch polarisierten Welt heute. Im Frühjahr 2018 rauschte die Nachricht durch den Pressewald, wonach Studenten die wettergeschwärzte Bronzestatue von Kant zu Königsberg bunt verschmiert hätten, herausgefordert von dessen Denken.

Nun, so harmlos, so frech-fröhlich hat sich der Studentenstreich jedoch nicht zugetragen. Bei den Schmierfinken handelte es sich um russische Nationalisten. Angestiftet von Militärkreisen, besudelten sie das Denkmal des Gelehrten in Rosa, womit Kants Denken als „Schwulität“ verunglimpft werden sollte. Doch es blieb nicht beim Farbanschlag auf die Statue, auch Kants Grab im Domchor von Königsberg wurde rosa besudelt. 

Der kulturpolitische Hintergrund für diese Aufregung war der Plan, den neuen Flughafen von Kaliningrad nach dem Königsberger Philosophen zu benennen. Dagegen protestierte eine Gruppe, die sich „Unbekannte Patrioten“ nannte. Untragbar sei es, dass ein russischer Flughafen den Namen eines Deutschen trage, der nichts anderes geleistet habe, als unverständliche Bücher zu schreiben, die heute doch kein Mensch mehr lese. Jene Studierenden der Kaliningrader Universität, die sich für Kants Namen einsetzten, wurden aufgefordert, sich von diesem deutschen „Verräter“ zu distanzieren. 

Kant wird auch von linker Seite diffamiert

Schließlich wurden zwei patriotische Alternativen für die Namensgebung des Flughafens vorgeschlagen: Alexander Wassilewski, Feldmarschall der Sowjetunion, der Kaliningrad am 9. April 1945 in der Schlacht um Ostpreußen der Deutschen Wehrmacht entrissen hatte, sowie die Zarin Elisabeth Petrowna. Die Entscheidung zugunsten der Letzteren traf Wladimir Putin persönlich. So ist denn seit 2019 der Aeroport Chrabrowo Elisabeth Petrowna nach einer natürlichen Tochter Peters des Großen benannt, die sich vom Militär an die Macht hatte putschen lassen. Elisabeth profilierte sich religionspolitisch mit dem Erlass, es seien alle Moslems im Zarenreich zwangsweise zu christianisieren; die Juden hingegen, als Feinde Christi, per Dekret im Jahr 1742 aus Russland auszuweisen. 

 

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Solche Geisteshaltung war der Grund, die Statue Kants in dessen Heimatstadt und Wirkungsstätte zu beschmieren. Indes besteht eine unheilige Allianz im Katalog historischer Feindbilder da, wo sich rechts- und linksextreme Meinungen ineinander verschränken. Kant wird auch von linker Seite diffamiert.

Kant habe sich in der Menschenrechtsfrage disqualifiziert

Gegenwärtig will sich die Ansicht durchsetzen, dass „alte weiße Männer“ überhaupt das Recht verwirkt hätten, sich in die Diskussion gegen Rassismus einzumischen. Dieser Kampf gehöre den ethnisch Betroffenen. Schon Immanuel Kant habe sich in der Menschenrechtsfrage disqualifiziert mit seinen Königsberger Vorlesungen über Anthropologie, die er seit dem Wintersemester 1772/1773 hielt. Zwar seien, so lehrt nämlich der Philosoph, die Menschen alle „aus einem Stamm“, aber dem „Neger“ fehle der Antrieb zum Fleiß. Den Grund sah der Begründer der modernen Transzendentalphilosophie in der Hitze, die im fernen südlichen Afrika herrsche.

Zeit seines Lebens hat Kant Königsberg nie verlassen. Vom Rektorat der Universität war ihm aber vorgeschrieben, nebst seinem Fachgebiet auch über Geografie und Völkerkunde zu lesen. Und das tat Kant, so gut es ging, indem er sich auf das Bücherwissen über die für ihn exotischen Themen verlassen hat. Von den trägen Afrikanern hatte schließlich schon Aristoteles geschrieben, der dazu auch eine einschlägige Rassentheorie vertrat. Die Hautfarben der Menschen seien abhängig vom Klima – je heißer die Gegend, desto dunkler die Bewohner. Im Umkehrschluss seien die Menschen im kühlen Norden blond und bleich.

Kant gehört zu den Begründern moderner Philosophie; die Rassentheorie hingegen hat er, in Erfüllung seines Lehrplans, abgeschrieben aus Reiseberichten und Ethnografien, deren ethnozentrische Tradition auf die einschlägigen Schriften der griechischen und römischen Antike zurückgehen. 

 

 

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