Grün-gelbe Generationendebatte bei Maischberger - „Dann ist das ein Kaputtmach-Programm für Deutschland“

Was hält diese Ampel noch zusammen? Darüber diskutierten am Montagabend FDP-Vize Wolfgang Kubicki und Svenja Appuhn, Chefin der Grünen Jugend. Ein heiterer Schlagabtausch, obgleich Appuhn bisweilen ins Ökopopulistische abdriftete.

Wolfang Kubicki und Svenja Appuhn / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Es kann nicht schaden, vor einer inhaltlichen Debatte erstmal Gemeinsamkeiten zu identifizieren. So geschehen bei Sandra Maischberger am Montagabend (22. April), als FDP-Vize Wolfgang Kubicki und die derzeitige Chefin der Grünen Jugend, die 26-jährige Svenja Appuhn, aufeinandertrafen, um über Sinn und Unsinn dieser Ampelkoalition zu diskutieren. Die Gemeinsamkeit: Beide haben das Bundesverdienstkreuz auf dem Sideboard stehen (oder alternativ irgendwo an der Wand hängen). Wegen Verdiensten für die Demokratie. Das war es aber auch schon weitgehend mit den Gemeinsamkeiten. 

Die Unterschiede sind bereits äußerliche. Hier eine junge Frau, dort ein älterer Herr. Er im Anzug, sie in Jeans und Sneaker; quasi eine politische Generationendebatte, von der man sich mit ein bisschen Imagination vorstellen kann, dass sie beim Familienfest zwischen – wir wollen dem 72-jährigen Kubicki ja nicht zu nahe treten – Onkel und Nichte stattfindet. Einig war man sich dann auch immerhin darin, dass die Ampel kein Bundesverdienstkreuz verdient hätte. Appuhn findet: Nein, weil die „Ampel im großen Stil daran scheitert, für Gerechtigkeit im Land zu sorgen“. Und dass Kubicki so seine Probleme mit dieser Realampel hat, das müssen wir an dieser Stelle wohl nicht näher ausführen. 

Streitpunkt Schuldenbremse

Was auffiel: Appuhn wirkte für ihre 26 Lenze sehr souverän, hatte ihre Argumente beisammen und scheute nicht die Konfrontation. Dass sie dafür bisweilen auch ins Ökopopulistische abdriftete, liegt wohl als Chefin der Grünen Jugend in der Natur der Sache. „Mir fehlt jegliche Fantasie, wie das weitergehen soll“, sagte sie mit Blick auf Lindners jüngsten Finanzierungsplan zur Beschleunigung der Wirtschaftswende; vom Moratorium bei den Sozialausgaben bis zum vorläufigen Stopp der Finanzierung erneuerbarer Energien. Ist das Papier also geschrieben worden, um die Ampel zu sprengen? „Nein“, sagte Kubicki. „Wir haben alle festgestellt (…), dass es der deutschen Wirtschaft exorbitant schlechtgeht“ – Appuhn: „Woran unter anderem Ihr Finanzminister einen großen Anteil hat“ – Kubicki: „Ich möchte mit diesen Phrasen jetzt wirklich nicht belästigt werden.“ Hoppla! Und schon war Stimmung in der Bude. 

Appuhn will zum Beispiel die Schuldenbremse reformieren. Kubicki hielt dagegen, dass es dafür keine Mehrheiten gebe. Aber die andere Frage ist ja durchaus berechtigt: Warum schreibt die FDP einen Förderstopp für erneuerbare Energien in ein Papier, wenn doch klar ist, dass da die Grünen nicht mitmachen werden? Kubicki: „Wir können uns alle Überlegungen über Klimatransformationen und über Gerechtigkeit im sozialen Bereich sparen, wenn die Wirtschaft in die Knie geht.“ Hat die FDP nach Appuhn denn einen Punkt? Die Analyse sei unterm Strich richtig, argumentierte Appuhn, nur bei den Lösungen gehe sie nicht mit. „Ich bin froh, dass das ein bisschen Wahlkampfgeplänkel ist. Aber nichts davon steht im Koalitionsvertrag.“ Das Papier folge einem „neoliberalen Traum“, so Appuhn. „Was wirklich hilft, sind staatliche Investitionen und gute Löhne.“ 

Streitpunkt Sektorziele

Größter Streitpunkt war freilich die Frage, ob und inwiefern die Bundesregierung weiterhin erneuerbare Energien fördern sollte. Kubicki: „Zunächst einmal stellen wir fest, dass trotz der großen Förderung wir die Lose im Bund gar nicht mehr loswerden, um die Windkraftanlagen aufzubauen.“ Kubicki argumentierte also: Man finde trotz Förderung niemand mehr, der in Windkraftanlagen investieren will. „Und deshalb sollte man an Probleme rangehen nicht nur mit heißem Herzen, sondern auch mit kühlem Verstand.“ Dann wurde es kurz etwas sehr technisch, was an dieser Stelle einmal übersprungen werden soll, um Sie, werte Leser, nicht unnötig zu verwirren. 
 

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Ein weiterer Streitpunkt sind die Sektorziele, also dass jeder Sektor – ergo: jedes Ministerium – nachweisbar CO2 einsparen sollte, was Appuhn – weil von der FDP vorangetrieben – im Prinzip als Freifahrtschein für Verkehrsminister Volker Wissing wertet. Hier hat die Grüne Jugend übrigens einen Dissens mit der Grünen Partei, weil auch Robert Habeck die Sektorziele unterstützt. Daher war es von Kubicki auch nicht ganz falsch, gegenzuhalten, dass Appuhn eine Strategie verfolge, wonach die Grünen etwas aus ihrer Sicht falsch machen, was sie dann aber wiederum der FDP vorwerfe. Kubicki jedenfalls will nicht an starren Sektorzielen festhalten, etwa, weil auch die Herstellung von Dämmstoffen für den Wohnungsbau CO2 ausstößt. 

Schwierig zu vermitteln

„Wir haben eine Vereinbarung. Wir haben einen Vertrag. Wir haben einen Koalitionsausschuss gehabt. Wir haben die Änderungen des Klimaschutzgesetzes bereits dem Parlament zugeleitet vor sechs Monaten, und die Grünen blockieren das.“ Guter Punkt. Die Grünen blockieren also, was die Ampel vereinbart hatte. Maischberger fasste zusammen: „Es ist schwierig zu vermitteln, wenn sich die Koalition auf etwas einigt, und dann vergehen Wochen und Monate und es wird nicht umgesetzt. Es kommt kein Klimaschutzgesetz, weil dann Bedenken kommen. Da denkt man sich doch als dummer Bürger: Warum macht man das vorher nicht miteinander aus?“ 

Eine zufriedenstellende Antwort darauf konnte Appuhn nicht liefern – und hob gleich wieder auf die vermeintliche „Arbeitsverweigerung“ von Volker Wissing ab, die sich dieser „schönrechnet“. Kubicki: „Hier werden Behauptungen auf den Tisch gelegt, die einfach falsch sind.“ Die Bundesregierung sei verpflichtet, und daran halte sie sich bisher auch, jedes Jahr eine gewisse Menge an CO2 zu reduzieren. Kubicki: „Die spannende Frage ist: Macht es einen Sinn, wenn wir die CO2-Ziele insgesamt einhalten, bestimmte Sektoren noch besonders zu drangsalieren, damit sie ihre Klimaneutralität ein Jahr früher erreichen?“ Eine rhetorische Frage selbstverständlich. 

Kritik am Selbstbestimmungsgesetz

Nächstes Thema: Selbstbestimmungsgesetz. Sie erinnern sich: Das ist dieses Gesetz, das ein erster, aber entscheidender Schritt in ein postfaktisches Geschlechtersystem ist, in dem jeder seine Geschlecht nach Gefühl, nicht nach Fakten wählen kann. Ob man da von einem Erfolg sprechen kann? Wenn Sie mich fragen: nein. Aber klar, die Ampel hat das gemeinsam verabschiedet, also könnte man das als „Erfolg“ verbuchen. Kubicki hat diesem Gesetz jedoch nicht zugestimmt, sondern sich enthalten, weil er es als Jurist für problematisch hält, etwa mit Blick auf das Personenstandsregister und darauf, dass die Entscheidung, seinen Geschlechtseintrag ohne Beratung zu ändern, weitgehende Konsequenzen haben kann. Kubicki findet aber auch: Es gibt wichtigere Themen. 

Die Frage freilich, ob ein Thema wichtig oder weniger wichtig ist, ist Ansichtssache. Für Alice Schwarzer zum Beispiel ist das Gesetz hochproblematisch, auch für viele andere Feministinnen, die für ihre Rechte auf Basis ihres Geschlechts kämpfen wollen und die der Meinung sind, dass die Negierung biologischer Fakten diametral zum Kampf für Frauenrechte stehen. Alice Schwarzer wurde dann auch zitiert in der Sendung: „Die echten Transsexuellen brauchen eine Reform, die ihnen das Leben leichter macht. Aber deshalb sollte doch nicht jeder Mensch ab 14 Jahren zum Amt gehen und seinen Personenstand wechseln können. Und das jedes Jahr neu! Grotesk.“ 

Appuhn gefällt eine solche Kritik erwartungsgemäß gar nicht. Sie sprach bei Maischberger von einer „übelsten Unterstellung“, davon, dass „niemand aus Spaß den Personenstand“ wechseln würde. Appuhn findet, dass die Kritik Schwarzers mit den gesellschaftlichen Realitäten nichts zu tun habe: „Das ist ein Angriff auf Transpersonen, die diesen nicht verdient haben.“ Auch Kubicki glaubt übrigens nicht, dass dieses Gesetz nun zu einem „massenhaften Missbrauch“ führen wird. Er wies aber darauf hin, dass es Straftaten wie Exhibitionismus gibt, die nur Männer begehen können. Theoretisch könnte ein Exhibitionist sich also zur Frau erklären – und die Angelegenheit wäre vom Tisch. Solche potenziellen Fälle, findet Kubicki, müsse man schon auch beachten. 

Konsens mit der Grünen Jugend

Quo vadis, Ampelregierung? Darüber wurde also am Montagabend bei Maischberger diskutiert. Und so, wie Appuhn die Fantasie fehlt, wie diese Koalition weitergehen könnte, wenn sich die FDP mit ihrem jüngsten Papier durchsetzt, so fehlt auch dem Autor dieser Zeilen die Fantasie, wie das alles noch bis zur Bundestagswahl weitergehen soll. Und da hat meine Wenigkeit sogar einen Konsens mit der Chefin der Grünen Jugend, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Wenn das so weitergeht, dann „ist das ein Kaputtmach-Programm für Deutschland“. 
 

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