Stefan aus dem Siepen: „Wie man schlecht schreibt“ - Hommage an das Geglückte

Stilkunden für gutes Schreiben gibt es in großer Zahl. Aber eine Anleitung, wie man schlecht schreibt, braucht man die wirklich? Gewiss, wenn sie so charmant und amüsant daherkommt wie das neue Buch von Cicero-„Flaneur“ Stefan aus dem Siepen. Stilistische Missgriffe lassen sich auch bei den Großen der Literaturgeschichte finden.

Eine Bibliothek in Bologna / dpa
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Autoreninfo

Ulrike Moser ist Historikerin und leitet das Ressort Salon bei Cicero.

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Nein, einfach hat er es sich gewiss nicht gemacht. Schließlich hätte er sich auch einfach die Bestsellerlisten hinauf- und hinunterlesen können. Und wäre sicherlich ohne größeren Aufwand fündig geworden. Stattdessen: Goethe, Thomas Mann, Hermann Hesse, Friedrich Nietzsche und so viele andere, die über jeden Zweifel erhaben schreiben können. Und die sollen nun Gewährsleute für ein Buch sein, das den Titel trägt „Wie man schlecht schreibt. Die Kunst des stilistischen Missgriffs“? 

Geschrieben hat es Stefan aus dem Siepen. Cicero-Leser kennen ihn als den „Flaneur“, der geistreich und gewitzt Beobachtungen aus seinem Alltag festhält. Auch in seiner monatlichen Kolumne geht es oft um Stilfragen. Zieht man sich wirklich nicht mehr gepflegt an, wenn man die Oper besucht? Seit wann legen die Fahrgäste der 1. Klasse in der Bahn ihre Füße auf die Sitze? Oder warum wird man in E-Mails neuerdings immer geduzt?

Leidenschaftlicher Leser und profunder Literaturkenner

Nun zeigt sich aus dem Siepen, der ja auch Diplomat und Schriftsteller ist, als leidenschaftlicher Leser und profunder Literaturkenner. Stilkritik ist ja nicht nur eine Haltung, sie erfordert auch eine gewisse Bildung. Und wenn sie nicht von oben herab dozieren will, unbedingt Humor. Und so flaniert aus dem Siepen leichtfüßig durch die Literaturgeschichte und spürt bei den Großen kleinen Patzern nach und schwer verzeihlichen Unachtsamkeiten, Formulierungen, in denen sich Schriftsteller bei ihren Lesern anbiedern oder ihnen deutlich machen, wie wenig sie von ihnen halten. Denn um sie geht es aus dem Siepen ja, die Leser, denen der Genuss am Buch nicht durch Hochmut, Gleichgültigkeit oder Nachlässigkeit verdorben werden soll.  

„Wer nachlässig schreibt“, schreibt Arthur Schopenhauer, „legt dadurch das Bekenntnis ab, dass er selbst seinen Gedanken keinen großen Wert beimisst.“ So lebt etwa der Held von Klaus Manns Roman „Treffpunkt im Unendlichen“ in einem Berliner Hotel; die Nummer seines Zimmers gibt Mann einmal mit „Elf“, dann mit „Zwölf“ an. Hermann Hesse, der das Werk rezensierte, reagierte wenig nachsichtig. Die falsche Nummer zeige, dass der Autor es an der nötigen Sorgfalt habe fehlen lassen; das „hübsche Buch“ sei bloß für den Augenblick geschrieben, es verliere durch den Lapsus „an innerem Gewicht, an Verantwortung, an Echtheit und Substanz, alles wegen dieser dummen Nummer Zwölf“.

 

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„Unverständlichkeit“ ist natürlich auch so ein Vorwurf, den man so manchem Autor machen kann. Noch einmal Schopenhauer, der sehr nachdrücklich mitteilt, warum er nichts von Hegel hält: „Die größte Frechheit im Auftischen baren Unsinns, im Zusammenschmieren sinnleerer, rasender Wortgeflechte, wie man sie bis dahin nur in Tollhäusern vernommen hatte, trat endlich in Hegel auf.“ Auch Theodor W. Adorno konnte genial unverständlich sein: „In einer Welt“, heißt es in den „Minima moralia“, „in der längst die Bücher nicht mehr aussehen wie Bücher, sind es nur noch solche, die keine mehr sind.“ Die Rolle des Lesers erschöpft sich darin, die Worte für bedeutend zu halten. Und sich selbst für klein und nichtig. Auch bei James Joyce finden sich Sätze, die wohl niemand außer ihm selbst versteht. Immerhin gab Joyce einmal freimütig zu, dass es sein Ziel sei, nicht verstanden zu werden. 

Andere Autoren vergreifen sich bei der Wahl des Namens für ihre Figuren. Annette Kolbs Hespera Lautenschlag oder Hofmannsthals Andreas von Ferschengelder müssen ihn wie zu schweres Gepäck durch ihr Romanleben schleppen. Thomas Mann hatte eine Vorliebe für klamaukige Namen, man denke an Doktor Überbein, Meta Nackedey, Herrn Klöterjahn oder Frau Generalkonsul Wurmbrand. Und Richard Wagner, nun ja, nannte die Rheintöchter im „Ring des Nibelungen“ Woglinde, Wellgunde und Floßhilde.

Abstraktheit, Überfrachtung und schlechte Titel

Prahlereien, Belehrungen, geschmacklose Vergleiche und Übertreibungen sind auch so Stilmittel, mit denen man als Autor daneben liegen kann.  Kaum einer hat die Übersteigerung so leidenschaftlich genutzt wie Thomas Bernhard: „Es gibt überhaupt keine Eltern, es gibt nur Verbrecher als Erzeuger von neuen Menschen.“ Und da gäbe es noch viele Beispiele mehr. Auch der Superlativ ist oft nur ein wohlfeiles Mittel, um Aussagen in Scheinhöhen zu befördern, wie Klopstock es in seinem patriotischen Epos „Hermanns Schlacht“ vormacht: „O Vaterland! O Vaterland! … Du gleichst der dicksten schattigsten Eiche im innersten Hain, der höchsten, ältesten, heiligsten Eiche.“ Sechs Superlative in Folge, da leidet die stilistische Eleganz.

Nun, der Fehler gibt es viele. Da sind noch Abstraktheit, Überfrachtung, schlechte oder unverständliche Titel (Peter Handke: „Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“; Alfred Kerr „Die Allgier treibt nach Allgier“ oder Gabriele D’Annunzio: „Vielleicht – vielleicht auch nicht“). Und Anfänge, prahlerische, überladene und reißerische wie bei Oswald Spengler, der sein Buch „Der Untergang des Abendlandes“ mit den wenig demutsvollen Worten eröffnet: „In diesem Buch wird zum ersten Mal der Versuch gewagt, Geschichte vorauszubestimmen.“

Günter Grass sollte besser nicht über Sex schreiben

Auch Wiederholungen sollte man meiden, es sei denn, man macht sie zu seinem Markenzeichen. So hat Eichendorff in seinen Gedichten 36-mal Bäume auf Träume gereimt und die Kombination zu seinem poetischen Eigentum gemacht.

Robert Musil häuft Adjektive an. Und Günter Grass sollte besser nicht über Sex schreiben. Überhaupt das Thema Sex. Aus dem Siepen hat ein Kapitel diesem so schwierigem Unterfangen gewidmet, irgendwie angemessen über Koitus und Begleitumstände zu schreiben. Wer sich nun eine Handreichung erhofft, möglichst ohne Umwege über die Restlektüre pikante „Stellen“ zu finden, wird enttäuscht. Dass es bei Houellebecq zahlreiche Passagen gibt, die umstandslos als Pornografie durchgehen, wird zwar erwähnt. Mehr aber nicht. Suchen muss der Leser schon selbst. Die Belegstellen lässt aus dem Siepen in diesem Fall aus. Eine Stilfrage, natürlich. Dafür schenkt er uns diesen rätselhaften Satz von Günter Kunert: „Ein Gedanke wohnt, ach, in zwei Brüsten.“ Wohl dem, der sich davon erotisch berühren lässt.

Für jedes schlechte Beispiel gibt es stets auch ein Gegenbeispiel

Wobei, auch das erfährt man bei aus dem Siepen, wo Könnerschaft vorhanden ist, da erschafft sich Literatur ihre eigene Wirklichkeit. Wenn sich etwa in Theodor Storms Gedicht „Über die Heide“ eine scheinbare Nachlässigkeit, ein schiefes Bild findet: „Über die Heide hallet mein Schritt“ heißt es da. Dass die Heide „hallt“, ist zwar unrealistisch, verleiht dem Gedicht aber gleichsam eine akustische Anschaulichkeit. Oder wenn Stefan George auf Zeichensetzung verzichtet, fordert es dem Leser zwar eine größere Anstrengung ab. Doch die Auslassung der Interpunktion steigert die Intensität des Textes, verleiht ihm Strenge und einen verschwörerischen Ton. So dass man mitunter nicht von schlechtem Schreiben, sondern eigenwilligen Stilmitteln sprechen sollte. Für jedes schlechte Beispiel gibt es stets auch ein Gegenbeispiel. Manchen Autoren geraten selbst vermeintlich stilistische Missgriffe zu kleinen Kunstwerken.

Aus dem Siepens Büchlein ist überaus charmant, nicht nur wegen seiner amüsanten Kommentare, sondern weil er den Leser ernst nimmt, in seinen Erwartungen und seiner Überforderung. Und oftmals Entschuldigungen findet für literarische Missgeschicke, etwa den Zeitdruck, unter dem etwa Dostojewski seine Werke schuf. Nein, aus dem Siepen ist kein Besserwisser, der uns von hoher Warte belehrt und uns Grammatik- und Stilregeln einbimst. Sondern ein Literaturverliebter und Schwärmer, dem es, wie er schreibt, in Wahrheit um etwas anderes geht, um „eine Hommage an das Geglückte“.

Stefan aus dem Siepen: Wie man schlecht schreibt. Die Kunst des stilistischen Missgriffs
zu Klampen, Springe 2023. 280 Seiten, 24 €

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